Fischerei Leere Meere, volle Teller

Auf der Speisekarte ist Fisch zunehmend beliebt, im Wasser gibt es aber immer weniger davon. Welche Arten darf man eigentlich noch essen?  

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Fischer sollen ihren Beifang künftig nicht einfach wieder über Bord werfen dürfen. Das hat die EU beschlossen. Der Rostocker Experte Zimmermann begrüßt das. Quelle: dpa

Die Verhandlungen waren zäh. Fast einen Tag und eine Nacht lang saßen die EU-Minister für Fischerei im Luxemburger Ratsgebäude zusammen. Draußen schwenkten Greenpeace-Anhänger Plakate: »Minister, stoppt die Überfischung!« Der 12. Juni sollte zum Tag der Entscheidung werden – der Entscheidung über die Zukunft der Meere.

Denn die Zahl unserer Fische sinkt dramatisch. Nach offiziellen Zahlen der Europäischen Kommission sind 63 Prozent der Bestände im Atlantik überfischt, im Mittelmeer sogar 82 Prozent. Weltweit ist bereits ein Viertel der Bestände zusammengebrochen. Fische wie der Europäische Aal und der südliche Blauflossenthunfisch sind akut vom Aussterben bedroht. Und nach den allerdüstersten Prognosen wird es im Jahr 2048 überhaupt nichts mehr zu fangen geben. Daher traten die EU-Minister zusammen, um ein neues Regelwerk zu beschließen. Eine letzte Chance für die Fische.

Fisch wird hierzulande nahezu bedenkenlos in immer größeren Mengen verzehrt. 1980 aß ein Deutscher im Durchschnitt 11,2 Kilogramm Fisch, 2010 waren es schon 15,5 Kilogramm. »Alle zehn Jahre kommt rund ein Kilo dazu«, sagt Matthias Keller vom Fisch-Informationszentrum Hamburg.

Die teuersten Luxuslebensmittel der Welt
Eine Auster mit einer Perle Quelle: Fotolia
Ein gekochter Hummer Quelle: Fotolia
Kobe-Rindfleisch auf einem Tisch Quelle: Fotolia
Ein Wildlachs springt einen Flusslauf hoch Quelle: AP
Gläser verschiedener Kaviarsorten im Feinkostgeschäft Dallmayr in München Quelle: dpa
Ein Bauer stopft eine Ente Quelle: dapd
Perigordtrüffel Quelle: dpa

Ihren Fleischkonsum beginnen die Deutschen bereits einzuschränken. Aufgerüttelt durch Berichte über die Folgen der Massentierhaltung und verunsichert durch die jüngsten Lebensmittelskandale, kaufen sie Hühnerbrust und Rindersteak bewusster ein. Fisch erscheint als gesunde, natürliche und ethisch unproblematische Alternative. Er ist cholesterinarm und eiweißreich und enthält wichtige Vitamine und Mineralien. Die Lebensmittelindustrie bietet ihn in den verschiedensten Formen an, für jeden Geldbeutel und für jede Zubereitungsart. Und aus den Urlaubsländern gelangen immer wieder neue Fischgerichte auf den Speiseplan.

Früher waren die klassischen Fischesser gut situierte Mittfünfziger, die bisweilen ein teures Stück zum Abendessen brieten. Inzwischen ist Fisch zum schnellen Snack in der Mittagspause geworden. Nizzasalat mit Dosenthunfisch gehört zum Standard der Speisekarten, Sushi-Läden an allen Ecken machen den Burgerketten Konkurrenz.

Angesichts der Schreckensmeldungen aus den Ozeanen muss einem jedoch der Appetit vergehen. Darf man überhaupt noch Fisch essen? Gibt es noch Arten, die man guten Gewissens im Restaurant bestellen kann? Oder sollte man gleich ganz verzichten?

Fragt man Fischereiwissenschaftler, bekommt man sehr differenzierte Antworten. Ein »Fischbestand« ist in ihrem Fachjargon die Population einer Fischart (etwa Hering), die in einem bestimmten geografischen Bereich (etwa der Nordsee) lebt und dort eigene Laichgebiete hat. Halb so groß wie der unbefischte Bestand ist sein »maximaler Dauerertrag«. Wenn ein Bestand zu klein geworden ist, um diese Menge Fisch zu liefern, bezeichnen ihn die Wissenschaftler als »überfischt«. Wenn er weniger als ein Zehntel dessen liefert, gilt er als »zusammengebrochen«. Das muss nicht heißen, dass sich der Bestand nicht wieder erholen kann. Die Heringe in der Nordsee etwa vermehrten sich wieder, als dort konsequent weniger gefischt wurde.

Bei den heutigen Netzen keine Chance

Mit ausgeschwenktem Fanggeschirr zieht ein Krabbenkutter aus Greetsiel (Kreis Aurich) vor der ostfriesischen Insel Borkum (Kreis Leer) durch die Nordsee. Quelle: dpa

Da sich Fische im Wasser nicht einfach zählen lassen, fischen Biologen mit standardisierten Netzen an zufällig bestimmten Stellen. Sie erfassen, was ihnen ins Netz gegangen ist, und rechnen von dieser Grundlage aus hoch, wie viel Fisch in diesem Meeresgebiet lebt. Aufgrund ihrer Ergebnisse geben sie Empfehlungen für die Fischer ab, welche Bestände befischt werden können. Von Jahr zu Jahr werden das weniger.

Solange nur mit Segel- und Ruderbooten gefischt wurde, hatten die Tiere noch eine Chance, den Netzen und Angeln zu entfliehen. Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts aber stiegen viele Fischer auf maschinenbetriebene Schiffe um, die gewaltige Netze hinter sich herziehen konnten. Zum Beispiel das Scherbrettschleppnetz, das sich bald in der britischen Nordseeflotte durchsetzte: Eine schwere Kette pflügt über den Meeresgrund, gepanzerte Scherbretter an beiden Seiten spreizen die Öffnung wie ein gefräßiges Maul. Ein solches Ungetüm nimmt mit, was sich ihm in den Weg stellt – Grundfische, Plattfische, Hummer, Muscheln und Korallen. Wie einen Acker zerpflügt es den Meeresboden. In den sechziger Jahren wurden pelagische Schleppnetze entwickelt, die in halber Tiefe durch das offene Wasser gezogen werden. Sie zerstören zwar den Boden nicht, dafür sind sie noch gefräßiger. Bis zu 23.000 Quadratmeter groß ist ihre Öffnung heute. 13 Jumbojets würden neben- und übereinander durch ein solches Riesenmaul passen.

Rentabel wurden Netze von solchen Dimensionen durch automatische Fischfiletieranlagen und durch das Tiefkühlverfahren. Dadurch lassen sich die gewaltigen Fischmengen überhaupt erst verarbeiten. Auf riesigen Fabrikschiffen wird der Fisch noch an Bord zerlegt und eingefroren. Dieser technische Fortschritt ist die Hauptursache für die Misere, deren globale Dimension heute niemand mehr leugnen kann.

So wurden im Jahr 1950 weltweit 20 Millionen Tonnen Fisch aus dem Wasser geholt, 1990 waren es schon mehr als 80 Millionen. Die Fangmenge hat sich vervierfacht – in einem Zeitraum, in dem sich die Weltbevölkerung gerade einmal verdoppelt hat. Seit Mitte der neunziger Jahre stagniert die jährliche Fangmenge auf einem Niveau zwischen 80 und 90 Millionen Tonnen. Ein Grund zur Entwarnung? Keineswegs. Die Zahl der Fischer, die Tonnage der Fischerboote und die Größe der Netze sind nämlich weiterhin gewachsen. Da die Fische noch nicht gelernt haben, den Netzen zu entkommen, kann das nur bedeuten: Es gibt immer weniger Fisch in den Weltmeeren.

Wie auf diese Weise ganze Populationen verschwinden können, zeigt das Beispiel des Kabeljaus vor Neufundland. Lange vor Kolumbus hat er die Wikinger nach Amerika gelockt, als Stockfisch ernährte er die Seefahrer der frühen Neuzeit. Noch 1885 hieß es im kanadischen Landwirtschaftsministerium: »Wenn die Naturordnung nicht von Grund auf umgestürzt wird, werden unsere Fischgründe noch jahrhundertelang reiche Erträge bringen.« Die Naturordnung musste nicht umgestürzt werden.

»Die Menschen führen Krieg gegen die Fische«

Hai-Floßen für 400 US-Dollar in in Hong Kong: Das gefährlichste Raubtier der Weltmeere ist der Mensch. Quelle: REUTERS

Ein paar Jahrzehnte industrieller Fischerei mit Trawlern und Schleppnetzen genügten, um dem Bestand an Gadus morhua den Garaus zu machen. Als der kanadische Fischereiminister 1992 den Kabeljaufang stoppen ließ, war es schon zu spät. Wer heute Kabeljau isst, hat welchen aus Island oder aus Norwegen auf dem Teller – aber keinen mehr aus den ehemals reichen Beständen vor Neufundland.

Dabei berücksichtigen die Fangzahlen der Welternährungsorganisation FAO noch gar nicht die illegale und die unregulierte Fischerei. Gezählt wird auch nur das, was letztendlich an Land ankommt. Tonnen von Tieren aber landen tot oder halb tot wieder im Meer: Delfine und Meeresschildkröten, die sich in den Netzen verfangen haben, Seevögel, die sich auf den Köder einer Leine im Wasser gestürzt haben, Seesterne, Tintenfische und Krebse. Zurückgeworfen werden auch Fische, die zu klein für einen rentablen Verkauf sind. Das sind meist junge Tiere, die sich noch nicht vermehrt haben. So werden die Bestände zusätzlich dezimiert.

Wie viel dieser Beifang ausmacht, dazu gibt es nur vorsichtige Schätzungen. Die EU-Kommission geht von mindestens 23 Prozent des Gesamtfangs aus, Umweltschützer rechnen, dass im Lauf eines Jahres 30 Millionen Tonnen Tiere ins Meer zurückgeworfen werden. Einer Studie des WWF zufolge sind es allein im Südostatlantik jährlich sieben Millionen Haie und Rochen.

Und während so Fischbestand um Fischbestand zusammenbricht, entdecken die Fischer immer neue Arten, die sich vermarkten lassen. Ist eine Region leer gefischt, ziehen die Fangflotten weiter – Fische sind ein Allgemeingut, das derjenige zu Geld machen kann, der sich seiner am rücksichtslosesten bemächtigt. Nicht der weiße Hai ist das gefährlichste Raubtier der Weltmeere, sondern der Mensch. »Die Menschen führen Krieg«, sagt der amerikanische Meeresbiologe Daniel Pauly, »einen Krieg gegen die Fische. Und das Verrückte ist: Sie können diesen Krieg problemlos gewinnen.«

Wie bei einem Krieg an Land gäbe es ein Mittel, die Kampfhandlungen zu beenden: Politik. Vor allem eine Frau will die Weichen für eine bessere EU-Fischereipolitik stellen – die Griechin Maria Damanaki, EU-Kommissarin für Fischerei und maritime Angelegenheiten. Sie hat Vorschläge für eine Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) vorgelegt, die vom kommenden Jahr an in Kraft treten soll. Über diese Reform berieten die Fischereiminister am 12. Juni in Luxemburg.

Im Zentrum des Reformentwurfs steht eine Forderung, auf die sich die meisten Staaten der Welt schon im Seerechtsübereinkommen von 1982 verpflichtet haben: nur noch nachhaltig zu fischen. Also nur so viel, wie die Bestände langfristig produzieren können. Damanaki schlägt vor, die EU-Fischerei mit Mehrjahresplänen zu bewirtschaften und den Rückwurf des Beifangs zu verbieten. Gleichzeitig sollten übertragbare Fangquoten eingeführt werden. So könnte etwa ein Fischer, dem beim Schellfischfang Kabeljau ins Netz gegangen ist, auch diesen verkaufen. Dadurch verschwänden Überkapazitäten bei den Fangflotten, hofft die Kommissarin. Fischer würden außerdem gezwungen, selektiver vorzugehen und ihre Methoden zu verfeinern.

Gier der Verbraucher nach Lachs, Dorade und Co.

Thunfische in einer Fischmarkthalle in Tokio: In Japan werden 50 bis 100 Kilogramm Fisch pro Kopf und Jahr verzehrt - ein Mehrfaches des deutschen Konsums. Quelle: dpa

Bereits im Vorfeld der Beratungen waren Umweltschützer skeptisch, ob die EU-Minister den ehrgeizigen Plänen von Damanakis folgen würden. In der Nordsee etwa ist der Kabeljau-Bestand inzwischen so in Gefahr, dass Wissenschaftler seit Jahren empfehlen, die Fangquote auf null zu setzen. Die Fischereiminister der EU-Mitgliedsstaaten jedoch setzten sich immer wieder über diese Empfehlung hinweg.

Nun sehen sich Naturschützer in ihren Befürchtungen auf das Schlimmste bestätigt. Denn der jetzt von den EU-Ministern ausgehandelte Kompromiss wird vielen dienen – nur nicht dem Schutz der Fische. Die Verpflichtung zu nachhaltiger Fischerei wurde verschoben. Statt von 2015 an – wie noch 2002 beschlossen – soll sie erst von 2020 an gelten. Auch das Rückwurfverbot hielten die meisten Minister im Prinzip für wichtig, auf einen Termin für seine Einführung wollten sie sich aber nicht festlegen. So lange sind Fischer weiterhin nicht gezwungen, ihren Beifang zu reduzieren. Was schließlich übertragbare Fangquoten angeht, nahm man von Zwangsregelungen Abstand. Stattdessen bleibt es den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen, freiwillig Regelungen einzuführen. Ein Ende des Raubbaus an den Meeren rückt damit weiter in die Ferne.

Für den Fischereibiologen Rainer Froese hängt das auch damit zusammen, dass die Fischereiminister den Landwirtschaftsministerien untergeordnet sind. Diese sähen ihre Aufgabe vorrangig darin, die Fischereiwirtschaft zu fördern. Froese, der am Geomar-Institut in Kiel im Exzellenzcluster »Ozean der Zukunft« arbeitet, plädiert dafür, die Fischereipolitik den Umweltministerien anzugliedern. Die Umweltminister, so hofft er, würden sich eher um den Schutz der Fische kümmern.

Liegt die Schuld also bei der Politik? Nicht nur. Die Nachfrage nach dem vielen Fisch bedient jeder Einzelne, der ihn sich schmecken lässt. Gerade die wachsende Gier der Verbraucher nach Lachs, Dorade und Co. wird zum Problem für die Meere. Wer deren Überfischung stoppen will, muss bei seinem eigenen Teller anfangen. Noch wird Deutschland von Ländern wie Norwegen oder Japan bei Weitem übertroffen. Dort werden sogar 50 bis 100 Kilogramm Fisch pro Kopf und Jahr verzehrt, also ein Mehrfaches des deutschen Konsums. Doch auch unsere Essgewohnheiten bedrohen die Bestände zunehmend.

Auf Fisch aus Aquakulturen zurückzugreifen ist keine Lösung. Zwar kommt ein knappes Drittel der Fische hierzulande aus Fischfarmen. Doch auch die Fischzucht trägt – so paradox das klingt – zur Überfischung bei. Der meistgefangene Fisch der Welt, die Peruanische Sardelle, wird zum größten Teil zu Fischmehl verarbeitet. Damit wird dann etwa Lachs in Aquakulturen gefüttert. Bis zu fünf Kilo Sardellen sind nötig, um ein Kilo Lachs zu erzeugen. Zudem treten bei der Fischzucht im großen Stil ähnliche Probleme auf wie bei der Massentierhaltung an Land.

Die konsequenteste Reaktion wäre natürlich: gar keinen Fisch mehr essen. Wer auf dessen Geschmack und Nährstoffe nicht verzichten will, der kann zumindest Fisch sehr bewusst einkaufen. Das ist komplizierter als bei anderen Lebensmitteln, aber es ist möglich. Der Druck von Umweltverbänden und Verbrauchern hat bereits dazu geführt, dass die Hersteller von Tiefkühlfisch immer detaillierter angeben, woher der Fisch stammt. Er kann dazu führen, dass nur noch Fisch aus gesunden Beständen verkauft wird. Das ist dann weniger – aber besser für die Meere.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%