Fleischpreise Existenzgefahr in der Wurstbranche

Chinesen kaufen Schweinefleisch Quelle: imago images

Die gewaltige Nachfrage aus China lässt die Preise für Schweinefleisch durch die Decke gehen. Während Verbraucher davon nicht viel mitbekommen, schlagen Wursthersteller Alarm. Eine schnelle Beruhigung ist nicht in Sicht.

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Knapp über zwei Euro! Statt 1,30 Euro zu Beginn des Jahres. Die Preise für Schweinefleisch haben in den vergangenen Tagen neue Rekordhöhen erreicht. Einzelne Teile des Schweins wie Schultern sind seit dem Frühjahr sogar um 80 Prozent teurer geworden, der Preis für Rückenspeck hat sich verdreifacht. Die Gründe liegen auf der Hand: China, der größte Schweinefleischverbraucher der Welt, musste aufgrund der Afrikanischen Schweinepest rund die Hälfte seiner Tiere töten. Nun kauft das Land die Weltmärkte leer um die Bevölkerung ernähren zu können. Damit steigen auch die Preise in Deutschland - um rund 60 Cent je Kilogramm.

Das wiederum ruft die Wurstproduzenten auf den Plan, die die höheren Kosten an die Kunden im Lebensmittelhandel laut eigenen Angaben nur marginal weitergeben können. Nachdem sich einige Wursthersteller in Briefen hilfesuchend an den Handel gewandt hatten und um Verständnis für Preiserhöhungen geworben hatten, schob Hans-Ewald Reinert nun den Schwarzen Peter an die Schlachtkonzerne weiter. Der Inhaber der westfälischen Privat-Fleischerei Reinert hatte auf dem Fleischkongress der Lebensmittel-Zeitung den deutschen Rohstofflieferanten wie Tönnies oder Westfleisch vorgeworfen, die heimischen Fleischwarenhersteller ausbluten zu lassen. Reinert forderte die Unternehmen auf, ihre Schweinefleisch-Exporte nach China zu begrenzen und stattdessen lieber den deutschen Markt zu versorgen. Deutsche Wursthersteller seien sonst nicht mehr in der Lage, ausreichend Ware für den deutschen Einzelhandel zu produzieren.

Clemens Tönnies, Chef des milliardenschweren Fleischkonzerns und größtem deutschen Schweineschlachter Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück, weist die Vorwürfe von sich. „Der Anteil, den der gesamte Export an unserem Umsatz ausmacht, dürfte in der Menge von etwa 51,5 auf 54,5 Prozent gestiegen sein. Das ist eine mäßige Steigerung, vor allem, wenn ich das mit Wettbewerbern vergleiche“, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. Der Konzern könne laut Tönnies noch viel mehr nach China exportieren. „Dabei geht es vor allem um Scheinepfötchen, Köpfen und Rippchen“, sagt Tönnies. „Aber wir legen viel Wert auf unsere gewachsenen Lieferbeziehungen in Europa und die bestehenden Abmachungen.“

von Mario Brück, Christian Schlesiger, Peter Steinkirchner

Andere Schlachtriesen agieren da offenbar anders. Der dänische Schweineproduzent Danish Crown beispielsweise habe seinen Export nach China um das Sechszehnfache erhöht, sagt ein Branchenkenner. „Die haben das erheblich ausgebaut. Sie lassen aber für bessere Preise in China ihre Kundschaft im Heimatmarkt links liegen“, so der Vorwurf aus der Branche. Reinert erhält Unterstützung von seinen Kollegen, die ebenfalls von Problemen bei der Beschaffung von Rohstoffen berichten. Chinas staatliches Importunternehmen COFCO hatte kürzlich bekannt gegeben, es wolle im kommenden Jahr für rund 100 Millionen US-Dollar Schweinefleisch vom europäischen Schweinefleischproduzenten Danish Crown kaufen. Am Rande einer Import-Messe in Shanghai unterzeichneten die beiden Unternehmen einen vorläufigen Kaufvertrag. Ein Danish-Crown-Manager sagte, es seien zwar noch keine Mengen vereinbart worden, aber die Zusammenarbeit mit den Chinesen sei „einer der größten Deals, die wir hier seit langer, langer Zeit getätigt haben".

Der Hunger auf Schweine in China verändert dramatisch die Märkte in Europa und in anderen exportorientierten Ländern. Der Höhepunkt der chinesischen Importoffensive könnte sogar erst in drei Jahren erreicht sein, erwartet die US-Beratungsfirma Gira in einem Bericht für die US-amerikanische Schweinefleischindustrie, die mit den Europäern und Brasilien um den chinesischen Absatzmarkt konkurriert. Demnach werden Chinas Schweinefleischimporte voraussichtlich erst im Jahr 2022 ihren Höchststand erreichen, bevor sie allmählich zurückgehen. Dann, so die Berater, werde sich die einheimische Produktion von der Seuche erholen. Das Importvolumen werde jedoch noch bis ins Jahr 2025 hoch bleiben, bei allerdings wieder sinkenden Preisen. Die sehr hohen Schweinefleischpreise als Folge der schrumpfenden Bestände werden die chinesische Ernährung auch langfristig verändern, glauben die Gira-Berater. Sie gehen davon aus, dass viele Verbraucher auf billigeres Hühnchen umsteigen werden.

Laut neueren Daten der EU-Kommission sind die Exporte von Schweinefleisch aus den Mitgliedstaaten allein nach China in den ersten drei Quartalen des Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 55 Prozent auf rund 1,5 Millionen Tonnen gestiegen. Verschärft wird die Situation in Deutschland durch sinkende Schlachtzahlen, bedingt durch das geringere Angebot an heimischen Schlachtschweinen. Nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes kamen von Januar bis September 41 Millionen Schweine an den Haken; das waren rund 1,3 Millionen Tiere weniger als im Vergleichszeitraum.

Der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie verweist auf die wirtschaftlichen Probleme der Branche. „Die aktuelle Situation ist existenzgefährdend für viele Betriebe“, sagte Verbandspräsidentin Sarah Dhem. Die aktuelle Entwicklung gefährde die positiven Ansätze der vergangenen Jahre, vor allem auch die Investitionen in mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit. Dhem forderte daher einen „New Deal“ mit Handel und Verbrauchern: „Wenn wir mehr Tierwohl und eine höhere Wertschätzung von Fleisch in unserer Ernährung der Zukunft haben wollen, muss eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz von Preisen wie auch eine Offenheit des Handels gegenüber dieser Entwicklung gegeben sein.“



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