Aufgebrachte Demonstranten, verrammelte Läden in den Stadtzentren, Schlangen vor den Suppenküchen – diese Bilder prägen seit Beginn der Krise das Image der griechischen Wirtschaft. Die wenigsten Zeitgenossen denken beim Stichwort Griechenland an erfolgreiche Unternehmen. Doch es gibt sie, wenn auch selten. Eine der Vorzeigefirmen ist der börsennotierte Familienkonzern Folli Follie.
Folli…was? Tatsächlich ist der zehntgrößte Konzern Griechenlands in Deutschland noch so gut wie unbekannt. Dabei ist Folli Follie in vieler Hinsicht ein Ausnahmeunternehmen. Die Gruppe ist anders als viele griechische Großunternehmen weder ein Lizenznehmer wie die Nummer eins im Lande Coca Cola Hellenic Bottling oder Fourlis, die unter anderem Intersport und Ikea in Griechenland vertritt. Noch ist sie den klassischen hellenischen Branchen wie Seefahrt, Reisen, im Bankwesen oder im Großhandel aktiv.
Folli Follie macht seine Umsätze vor allem mit Schmuck, Uhren, Handtaschen oder Sonnenbrillen. Luxus und Lifestyle, made in Greece! Und anders als viele Unternehmen aus dem Land an der Ägäis, die ihre Umsätze vor allem auf dem Heimatmarkt machen, lebt Folli Follie vor allem vom Auslandsmarkt.
Vom griechischen Niedergang ist in den Fluren der Zentrale vor den Toren Athens wenig zu spüren. „Wir machen jede Woche einen neuen Laden in China auf“, sagt der Vorstandsvorsitzende Georgios Koutsolioutsos, 45 und Sohn des Gründerehepaars Ketty und Dimitris Koutsolioutsos. Zur Zeit ist die griechische Schmuck- Uhren- und Handtaschenmarke mit 210 Läden im Reich der Mitte vertreten. Irgendwann, so die interne Planung, sollen es 1000 werden.
Stabiler Exportschlager
Dank der vielen Verkaufsflächen in Wachstumsländern wie China, Indonesien, Malaysia, aber auch in den USA, Kanada oder England kann die Koutsolioutsos-Familie die Stagnation auf auf dem Heimatmarkt mehr als ausgleichen. Seit 2008 hat der Schmuckkonzern immerhin beim Umsatz um gut ein Viertel zugelegt. In der gleichen Zeit ging das Bruttosozialprodukt im Heimatmarkt um über 25 Prozent zurück. Noch erstaunlicher als das solide Wachstum des weltweiten Umsatzes ist die Tatsache, dass es der Familie gelungen ist, das Geschäft im krisengeschüttelten Inland auf einem stabilen Niveau zu halten.
In den Innenstädten von Athen oder Thessaloniki mussten nach Angaben des griechischen Einzelhandelsverbandes ESEE in den vergangenen Jahren rund ein Drittel aller Geschäfte schließen. „Es scheint wie ein Wunder, dass Folli Follie sich im Heimatmarkt so gut gehalten hat“, sagt Fotis Zeritis, Analyst beim Athener Broker Eurexx Securities. Seine Erklärung für das Mirakel im Schatten der Akropolis: „Die Familie hat über Jahrzehnte die Marke so ausgebaut, dass sie selbst unter Krisenbedingungen nicht einbricht.“
Zeritis und die meisten seiner Analystenkollegen empfehlen die Aktie zum Kauf, obwohl der Kurswert seit dem Tiefstand im April vergangenen Jahres um das sechsfache zulegte und sich seit Jahresbeginn mehr als verdoppelte. Offensichtlich wird die Stimmung der Anleger von der Erwartung beflügelt, dass die seit Jahren wachsenden Gewinne auch künftig weiter steigen. Legte das Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen im vergangenen Jahr noch um rund sieben Porzent zu, verkündete CEO Georgios Koutsolioutsos für dieses Jahr einen Sprung um 20 Prozent auf rund 165 Millionen Euro.
Mailand statt Tokyo
Dabei verlief die Gründung alles andere als spektakulär. Eigentlich wollte Folli-Follie-Chairman und Mitgründer Dimitris Koutsolioutsos 1958 nach Japan, um dort zu studieren. Ein ungewöhnlicher Plan damals: Die Schulfreunde des späteren Unternehmensgründers bemühten sich fast ausnahmslos um Studienplätze in England oder den USA. Selbst die japanische Botschaft war überrascht und genehmigte dem Antragsteller nicht nur das Visum in kürzester First. „Ich bekam zusätzlich ein Stipendium, weil ich der erste Grieche war, der Interesse an einem Studium in Japan bekundete“, erzählt Koutsolioutsos.
Doch die Eltern des jungen Mannes baten ihn inständig, doch wenigstens in Europa zu bleiben. Die Familie war, aus dem ägyptischen Alexandrien stammend, in den 50er Jahre wie viele andere Griechen vom nationalistischen Nasser-Regime aus dem Lande gedrängt worden. Und wie in vielen Flüchtlingsfamilien spielte der Zusammenhalt auch bei den Koutsolioutsos, die nach der Umsiedlung einen Olivenhandel aufgebaut hatten, eine große Rolle. Das Japan-Projekt gab Dimitris Koutsolioutsos deshalb vorerst auf, doch so ganz wollte er auf ein Studium im Ausland nicht verzichten. Er entschloss sich, an der Mailänder Elite-Uni Bocconi zu studieren.
Der Anstoß, im Schmuckhandel tätig zu werden, kam von seiner Frau, die nach ihren Studien der Anthropologie und Soziologie in England auch in Italien studierte. Ketty Koutsolioutsos hatte schon als Jugendliche angefangen, Schmuck zu entwerfen. In Italien begannen die Jungvermählten daraus einen Nebenerwerb zu machen und ließen sich kleinere Mengen Schmuck nach den Entwürfen fertigen, die sie auf Messen verkauften. Die Kunden waren begeistert, die Stücke waren im Nu ausverkauft. „Das hat uns darin bestärkt, in das Geschäft in größerem Stil zu betreiben“, erinnert sich Ketty Koutsolioutsos.
Glück mit verrückten Verrücktheiten.
In Italien mauserten sich damals die großen Luxusmarken von Namen, die unter Kennern geschätzt waren, zu internationalen Nobelbrands. Das junge Paar wurde schnell in der Modeszene bekannt, verkehrte unter anderem mit der Miuccia Prada, der Prinzipalin des gleichnamigen Taschenmachers. In jenen Jahren kam die Idee auf, ein eigenständiges Label zu schaffen.
Weil Italien damals als neu entdecktes Luxusland mehr in Mode war als je zuvor, gaben die Gründer ihrer Marke den italienischen Namen Folli Follie: Verrückte Verrücktheiten. Der Name erwies sich als glückliche Wahl. Er wird auch von Franzosen und Angelsachsen verstanden, ist überall leicht auszusprechen und hat in keiner Sprache der Welt eine lächerliche Nebenbedeutung. Vor allem wollten sich die Gründer mit dem ungewöhnlichen Namen von den klassischen Schmuck- und Uhrenmarken absetzen. Frech sollte die Marke sein, witzig und alles andere als staatstragend.
Die beiden sattelten noch eins drauf: Statt sich in der Modehochburg Mailand zu etablieren, beschlossen sie, ihre frisch geschaffene Marke in Griechenland aufzubauen. 1982 war es so weit: Sie eröffneten ihren ersten Laden an der Solonos-Straße. Für das junge Unternehmerpaar war der Start auf einer der führenden Athener Einkaufsmeilen ein mutiger Schritt, der sich jedoch schnell bezahlt machte.
Der neue Laden kam bei den Athenerinnen an – nicht zuletzt, weil Folli Follie geschickt die Marktlücke zwischen Modeschmuck und Luxus besetzte. Zielen die herkömmlichen Schmuckmarken auf die großen Ereignisse wie Hochzeiten, runde Geburtstage oder Verlobungen als Anlass für den Kauf ihrer Prezisiosen, so standen die Armbänder oder Ringe von Folli Follie von Anfang an für den kleinen Luxus, den sich die Kunden auch ohne feierlichen Grund leisten wollen. Bezahlbar sollte der Luxus bleiben, auf diese Positionierung legt die Familie bis heute Wert. Nur wenige Schmuckstücke kosten mehr als 300 Euro, die meisten Armbänder kosten weniger als hundert Euro, der teuerste Ring kommt auf hundert Euro. Einzig bei der britischen Marke Links of London, die seit 2006 zum Konzern gehört, gibt es preisliche Ausreißer, die bis zu 5000 Euro gehen.
Entsprechend ist das Design der Stammmarke: Verspielt, jung, ein Mix von verschiedenen Materialien. Edelmetalle finden sich bei Folli Follie nur an der Oberfläche der Schmuckstücke. Statt Edelsteine zieren Glas aus dem venezianischen Murano oder Strasssteine die Ringe und Ketten. „Die typische Folli-Follie-Trägerin ist nicht etwa Staranwältin mit einem Jahreseinkommen von über 500 000 Euro oder die wohlhabende Erbin, sondern die berufstätige Mutter, die möglicherweise noch einen Hauskredit abzahlt und im Büro gut gekleidet sein will, aber nicht 2000 Euro für eine Handtasche ausgeben kann“, sagt Georgios Koutsolioutsos.
Für diese Positionierung war Griechenland zur Zeit der Gründung von Folli Follie der ideale Markt, denn damals gab es im mittleren Preissegment so gut wie kein Angebot auf dem griechischen Schmuckmarkt. Hinzu kam, dass es im Land der Hellenen seit der Antike eine starke Juweliertradition gibt. Zwar hat das Unternehmen wie andere inzwischen einen Großteil der Produktion nach China und in andere Niedriglohnländer verlagert, aber die Produkte für Links of London werden noch immer fast ausschließlich im Stammland hergestellt.
Zukunft von Folli Follie liegt in Asien
Das Unternehmen wuchs in ersten Jahren nach der Gründung erfreulich, blieb aber bis Mitte der Neunzigerjahre beim Umsatz unter umgerechnet 10 Millionen Euro. Der große Schub kam mit der Internationalisierung. Auch hier ging die Familie einen ungewöhnlichen Weg. Statt im nächstbesten Nachbarland den Auslandsmarkt anzutesten, entschloss sich Dimitris Koutsolioutsos mit fast 40-jähriger Verspätung seinen Japan-Traum zu verwirklichen und eröffnete 1995 den ersten Folli-Follie-Laden jenseits der griechischen Grenzen in Tokio. Noch im gleichen Jahr startete die Familie mit Boutiquen in Guam und Hawaii, den bevorzugten Reisezielen japanischer Touristen, aber auch in New York.
Japan ist mit 73 Verkaufsstellen von weltweit rund 590 Verkaufsflächen noch immer einer der stärksten Märkte der Gruppe. Anders als in Deutschland kennt in Japan jedes Kind Folli Follie. Die Marke rangiert in Nippon inzwischen unter den zehn bekanntesten Accessoires- und Luxusmarken. Trotz der Erfolge im Ausland bleibt Griechenland heute mit 26 Prozent des Umsatzes von weltweit 1,11 Milliarden Euro (2012) noch ein beachtlicher Markt – auch wegen der drei Kaufhäuser, die Folli Follie in Athen und Thessaloniki betreibt und wegen des Handelsgeschäftes mit Sport- und Modeläden in Griechenland und einigen Nachbarländern. Die Krise haben die Koutsolioutsos’ nach typischer Manier eines Familienunternehmens gelöst: Es gab in Griechenland keine betriebsbedingten Entlassungen, aber die Angestellten verzichteten auf 15 Prozent ihrer Bezüge. Alle Geschäftsabläufe wurden durchleuchtet; die Mieten für die Läden im Fremdbesitz um die Hälfte gekürzt.
Die Zukunft von Folli Follie aber liegt in Asien, wo die Gruppe inzwischen fast zwei Drittel ihres Umsatzes macht. Vor allem in China legt die Marke zu. Im Reich der Mitte geht die Familie nach einem ähnlichen Muster wie seinerzeit bei der Gründung in Griechenland vor: Sie profitiert von der wachsenden Mittelschicht, die sich Armbänder von Cartier oder die Handtaschen von Hermès zum Preis von umgerechnet mehreren tausend Euro nicht leisten kann, aber auf schicke Accessoires für hundert oder 200 Euro nicht verzichten will.
Das boomende China-Geschäft ist auch der Grund, warum die Familie das Geschäft in Deutschland im Jahr 2006 – nur zwei Jahre nach dem Anlauf - wieder zurück gefahren hat. „Wir können mit gleichen Investitionen in China viel mehr erreichen“, heißt es in der Zentrale im Athener Vorort Agios Stefanos. Auch die Trennung von der Reisehandelstochter Hellenic Duty Free, dient vor allem zur Verstärkung der Feuerkraft in China. Mit dem Verkauf konnte Folli Follie seine Bilanz erheblich stärken. Die Restbeteiligung von 49 Prozent ging vor zwei Wochen an den Schweizer Duty-Free-Händler Dufry, der im Frühjahr bereits 51 Prozent der Anteile gekauft hatte. Folli Follie ist im Gegenzug mit vier Prozent an dem Schweizer Unternehmen beteiligt und verfügt damit einen Steigbügel für das internationale Duty-Free-Geschäft, den es mit Hellenic Duty Free, die nur in Griechenland aktiv war, nicht hatte. Erster Schritt soll die Eröffnung von Folli-Follie-Shops auf brasilianischen Flughäfen sein.
Dass Folli Follie weltweit weiter zulegt, liegt auch im Interesse von Guo Guangchang, Mitgründer und Vorstandvorsitzender der chinesischen Holding Fosun. Guo, der im Reich der Mitte häufig als der „chinesische Warren Buffett“ bezeichnet wird, stieg mit seiner Gruppe vor zwei Jahren bei Folli Follie ein und hält heute rund 14 Prozent des Unternehmens, das seit 1997 an der Börse gelistet ist. Ein weiteres Paket von rund sieben Prozent befindet sich in Händen von Fidelity Investment.
Die Gründerfamilie begnügt sich heute mit 39 Prozent der Anteile. Von einer spürbaren Verwässerung des Einflusses kann jedoch keine Rede sein. Sohn Georgios ist seit Anfang 2011 Vorstandsvorsitzender, Vater Dimitris sitzt dem Verwaltungsrat vor, in dem auch Mutter Ketty Koutsolioutsos vertreten ist. Und wie in den frühen Tagen des Unternehmens liegt die Verantwortung für das Design der Marke noch immer in Händen der Mutter.
Die Mehrheit der Verwaltungsräte folgt bei den Abstimmungen ohnehin den Familienvertretern – aus gutem Grund. „Seit über dreißig Jahre ist die Familie der Garant für den Erfolg“, sagt ein Athener Branchenanalyst, „die familienfremden Aktionäre wären ganz schön blöd, wenn sie die Familie vergraulen würden.“