Die grellroten Schilder verheißen 30 Prozent Rabatt. Während Kunden tütenweise Waschmittel, Duschgel und Nagellack aus den Läden schleppen und sich die Regale schnell leeren, tippen die Verkäuferinnen die reduzierten Preise mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung in ihre Kassen.
Genau fünf Jahre ist es her, dass sich solche Szenen in den Märkten der Drogeriekette Schlecker abspielten. Kurz zuvor hatten die Gläubiger die Abwicklung des insolventen Unternehmens beschlossen. Der Ausverkauf des zeitweise größten Drogeriekonzerns Europas begann.
Nur ein paar Wochen dauerte der finale Schlussverkauf. Dann war Schlecker Geschichte – und im deutschen Drogeriemarkt begann eine gewaltige Umverteilung, deren Folgen bis heute spürbar sind. Das Marktforschungsunternehmen Nielsen hat für die WirtschaftsWoche analysiert, wie sich die Schleckerpleite langfristig auf die Drogeriebranche ausgewirkt hat. Ein Resultat: Fünf Jahre nach der Schlecker-Havarie steht die Branche beim Umsatz besser da als je zuvor. Zwar hat sich die Anzahl der Geschäfte drastisch reduziert. Doch schon 2013 lagen die Branchenerlöse wieder auf dem Vor-Pleitenniveau. Doch wer konnte davon am stärksten profitieren und wie hat sich der Markt inzwischen sortiert?
YouGov Preis-Leistungs-Sieger 2017: Drogerie, Parfümerie & Schmuck
Diesem Ranking zum Thema Preis-Leistungs-Verhältnis liegen die Ergebnisse aus dem YouGov BrandIndex für Deutschland zu Grunde. YouGov führte im Rahmen dieser täglichen Markenperformance-Messung im Zeitraum vom 01. Februar 2016 bis einschließlich 31. Januar 2017 über 700.000 repräsentative Online-Interviews für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren durch und ließ insgesamt rund 1.000 Marken von ihren jeweiligen Kennern bewerten. Um das wahrgenommene Preis-Leistungs-Verhältnis einer Marke zu ermitteln, wurde den Umfrageteilnehmern folgende Frage gestellt: „Welche Marke steht für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis?“ sowie „Und welche Marke steht für ein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis?“.
Der ermittelte Preis-Leistungs-Score kann somit auf einer Skala von -100, sofern alle Markenkenner ein negatives Bewertungsurteil abgeben, bis +100, falls alle Markenkenner ein positives Bewertungsurteil abgeben, liegen.
Unternehmen: Drogerie Müller
Punkte: 23,3
Unternehmen: DocMorris
Punkte: 25,2
Unternehmen: shop-apotheke.com
Punkte: 31,2
Unternehmen: Rossmann
Punkte: 43,6
Unternehmen: dm
Punkte: 53,2
„Der Schlecker-Umsatz floss zum Großteil in Richtung der klassischen Drogeriemärkte. Supermärkte und Discounter profitierten deutlich weniger stark“, sagt Nielsen-Handelsexperte Fred Hogen. Das verwundert zunächst, waren es doch vor allem die großen Lebensmittelketten, die sich vom Schleckerende einiges versprochen hatten.
Mit Verve stürzten sich die Chefs von Edeka, Rewe, Lidl und Kaufland ins Geschäft mit Spüli und Schampoo, bauten ihre Deo- und Duschgel-Angebote aus und kreierten neue Eigenmarken, um die Schlecker-Kunden zu sich zu lotsen.
Doch das gelang nur zum Teil. „Zum einen dauerte es einige Zeit, bis die Lebensmittelhändler ihr Drogerieangebot ausgebaut hatten“, sagt Hogen. „Zum anderen schätzen die deutschen Konsumenten spezialisierte Anbieter – gerade im Drogeriebereich."
Stationen der Schlecker-Insolvenz
Schlecker meldet Insolvenz an.
Das Verfahren wird eröffnet. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hofft noch auf die Rettung von Teilen der Drogeriekette.
Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein zweites Grundstück soll sein Sohn bekommen haben.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker ein.
Die Schlecker-Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.
Der österreichische Investor Rudolf Haberleitner will 2013 bis zu 600 ehemalige Schlecker-Filialen mit dem Konzept eines modernen Tante-Emma-Ladens wiederbeleben.
Gut ein Jahr nach der Pleite zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter 10,1 Millionen Euro. Hintergrund ist der Streit um übertragenes Vermögen aus dem Unternehmen.
Haberleitner will einstige Schlecker-Filialen unter dem Namen Dayli wiederbeleben und Testläden in Deutschland eröffnen.
Noch vor dem geplanten Deutschland-Start ist der Schlecker-Nachfolger Dayli pleite.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts.
Der Insolvenzverwalter reicht Klage gegen ehemalige Schlecker-Lieferanten ein. Sie sollen Schlecker wegen illegaler Preisabsprachen um viel Geld gebracht haben. Geiwitz will Schadenersatz in Millionenhöhe.
Es wird bekannt, dass das Landgericht die Anklage zulassen will. Der Schlecker-Prozess soll im März 2017 beginnen.
Der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart beginnt.
Staatsanwalt Thomas Böttger fordert für Anton Schlecker drei Jahre Haft. Lars Schlecker soll nach dem Willen der Staatsanwälte zwei Jahre und zehn Monate in Haft, Meike zwei Jahre und acht Monate. Die Verteidigung hält die Forderungen für „überzogen“, nennt aber selbst kein empfohlenes Strafmaß.
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart ist am Ende doch eine Überraschung: Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis. Das Gericht verurteilte den 73-Jährigen wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 54.000 Euro. Schleckers Kinder Lars (46) und Meike (44) wurden dagegen zu Haftstrafen von zwei Jahren und acht Monaten beziehunsgsweise zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Beihilfe zum Bankrott.
Die Folge: Vor allem für die beiden großen nationalen Player dm und Rossmann begann eine drogistische Sonderkonjunktur. Während der gesamte deutsche Einzelhandel seit 2008 auf ein überschaubares Umsatzplus von neun Prozent kommt, konnten dm-Chef Erich Harsch und Rossmann-Anführer Dirk Roßmann die Umsätze ihrer Unternehmen in Deutschland mehr als verdoppeln. Sie forcierten ihre Expansion im Inland und eröffneten reihenweise neue Standorte.
"Inzwischen ist der Schlecker-Effekt vorbei und damit auch die Zeiten zweistelliger Umsatzzuwächse im Drogeriebereich“, sagt Hogen. Trotzdem würden die Drogeriemärkte weiter deutlich schneller wachsen als der Lebensmitteleinzelhandel insgesamt.
Allerdings dürften sich die Wachstumsraten in den kommenden Jahren wohl annähern. Denn für Rossmann wie dm wird es immer schwieriger werden, neue Läden zu eröffnen, ohne bestehenden Filialen Umsatz abzuknöpfen. Es gibt für die beiden Händler schlicht keine weißen Flecken mehr in Deutschland. Allerdings sei dm weiter vor allem im Süden stark, während „Rossmann seinen Umsatzschwerpunkt im Norden Deutschlands findet“, sagt Hogen.
Online-Geschäft ist im Drogeriemarkt ein Nischenthema
Auch der Gesamtmarkt scheint fünf Jahre nach dem Schlecker-Ausverkauf ein neues Gleichgewicht gefunden zu haben. 44 Prozent der Umsätze entfallen auf die Drogeriemärkte.
Der Marktanteil der Discounter liegt laut Nielsen über die letzten drei Jahre hing relativ stabil bei rund 25 Prozent.
Wird der Online-Handel daran etwas ändern? Immerhin prescht der amerikanische Versandgigant Amazon in den Markt vor. Erst vor wenigen Wochen wurde zudem bekannt, dass der US-Konzern zum Jahreswechsel europaweit ein Basis-Sortiment an Drogerie-Eigenmarken einführen will. Neben Windeln und anderen Hygienepapier-Artikeln sei auch von Babynahrung und Körperpflege-Produkten die Rede, berichtete die „Lebensmittelzeitung“. Vorangetrieben werden solle die Offensive von einem Amazon-Team in Luxemburg.
Zielgruppe seien vor allem junge Familien, deren Konsumverhalten ohnehin zum bisherigen Abo-Modell von Amazon passe. Bei der Preisgestaltung wolle sich der Konzern zwischen Marke und dem Einstiegssegment orientieren.
Bislang sei das Online-Geschäft „im deutschen Drogeriemarkt ein Nischenthema“, sagt Nielsen-Experte Hogen. „Der Anteil wächst zwar, aber die Online-Umsätze bewegen sich im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Frankreich und Großbritannien auf einem sehr überschaubaren Niveau.“ Nach seinen Daten liegt der Online-Anteil für sogenannte „Near-Food-Produkte“ wie Körperpflege- und Kosmetikartikel, Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel bei überschaubaren 2,3 Prozent. Eines scheint angesichts der Marktverhältnisse damit klar: Dass es in der Drogeriebranche in absehbarer Zeit einen neuen Schlecker-Fall geben wird, ist nicht zu erwarten.