
Frankfurt Die Deutsche Börse erwägt weitergehende Zugeständnisse, um aus Brüssel grünes Licht für die neun Milliarden Dollar schwere Fusion mit der New Yorker Nyse zu bekommen. Die Börse könnte den EU-Wettbewerbshütern anbieten, diverse Derivate-Geschäfte abzuspalten und daraus einen neuen eigenständigen Konkurrenten zu bilden, sagten zwei Personen aus dem Umfeld des Unternehmens am Mittwoch zu Reuters. „Das ist ein Ass, das wir im Verhandlungspoker mit der EU-Kommission noch in der Hinterhand haben“, sagte einer der Insider.
Nyse und Deutsche Börse hatten der EU Mitte November angeboten, sich von einem Teil des Europa-Geschäfts mit Aktienderivaten zu trennen und deren Abwicklung (Clearing) über die Tochter Eurex auch anderen Börsenbetreibern zu ermöglichen. Sollten sie diese Geschäfte nicht einzeln an Wettbewerber verkaufen, sondern einen neuen Anbieter schaffen, könnte das für mehr Wettbewerb sorgen und die EU-Kommission milde stimmen, so das Kalkül des Unternehmens. Allerdings prüfe die Börse auch andere Optionen, sagte der Insider weiter. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Der Konzern wollte sich dazu nicht äußern.
„Chancen stehen 50:50“
„Das wäre eine kreative Lösung, aber ich bin mir nicht sicher, ob sich das realisieren lässt und ob die EU-Kommission sich damit zufrieden gibt“, sagte Christian Muschick von Silvia Quandt Research. Manager beider Unternehmen hatten am Dienstag in Brüssel erneut mit den Wettbewerbshütern über die Fusion verhandelt und bekamen dabei die Einwände der Konkurrenten gegen den Zusammenschluss zu hören. Die Kommission habe verhalten auf die bisherigen Zugeständnisse der Börse reagiert, sagte eine weitere mit den Verhandlungen vertraute Person. „Die Chancen, dass die Kommission zustimmt, stehen 50 zu 50.“ Den Wettbewerbshütern stößt vor allem die dominierende Rolle der Deutsche-Börse-Tochter Eurex und der zu Nyse gehörenden Londoner Derivatebörse Liffe auf, die im Derivatehandel an europäischen Börsen zusammen auf einen Marktanteil von über 90 Prozent kommen würden. Bisher gebe es allerdings keine Anzeichen, dass die Behörde für eine Zustimmung den Verkauf von Eurex oder Liffe fordern wolle, sagte einer der Insider. „In diesem Fall würde die Fusion platzen.“ Die Aktien der Deutschen Börse gaben nach der Reuters-Meldung über mögliche neue Zugeständnisse nach. Am Nachmittag notierten sie fast sechs Prozent schwächer und waren damit größter Verlierer im Leitindex Dax.
Angst vor Konkurrenz
Die Konzerne haben EU-Kreisen zufolge bis zur dritten Dezember-Woche Zeit, um die Wettbewerbshüter mit einem „Angebot auf den letzten Drücker“ (“last gasp offer“) zu überzeugen. Die Behörde will bis zum 23. Januar endgültig über den geplanten Zusammenschluss zum weltgrößten Börsenbetreiber entscheiden. Bei der Abspaltung von Firmenteilen im Rahmen einer Fusion verlangt die EU-Kommission in der Regel, dass diese spätestens sechs Monate nach Abschluss des Zusammenschlusses verkauft werden.
Denkbar wäre eine reine Abspaltung, wodurch die Börse-Aktionäre Eigentümer des neuen Konzerns würden, oder ein Verkauf ans Management. Bei der Börse gibt es jedoch auch Sorgen, dass ein Konkurrent das neue Unternehmen früher oder später schlucken könnte, sagte ein Insider. Dann könnte bei den Frankfurtern die Gewinn-Margen im einträglichen Derivate-Geschäft unter Druck geraten. Aber auch Rivalen wie die Londoner LSE dürften vom Plan der Börse nicht begeistert sein, glaubt Analyst Muschick. „Er würde die Pläne der Wettbewerber durchkreuzen, die darauf setzen, sofort Teile der Börse zu übernehmen.“ Nasdaq -Finanzchef John Stephens erklärte, er wolle keine kleine Teile der Deutschen Börse kaufen. Nur eine Übernahme der gesamten Liffe wäre für die Nasdaq interessant.
Das Derivate-Geschäft gilt als größter Knackpunkt für die Zustimmung der EU zur geplanten Mega-Fusion. Börsen-Chef Reto Francioni argumentiert, dass der Handel mit den hochspekulativen Papieren - Wetten auf die Entwicklung bestimmter Papiere oder Märkte - längst ein globales Geschäft ist und eine großer Anbieter in Europa wichtig sei, um den Konkurrenten in Asien und Amerika die Stirn bieten zu können. Zudem verweist er darauf, dass vier Fünftel des Handels über außerbörsliche, kaum regulierte Handelsplätzen abläuft. Die EU will allerdings in den nächsten Jahren Teile des Handels und der Abwicklung an die regulierten Börsen zurückbringen.