Gastronomie in der Krise „Der zweite Lockdown trifft Nordsee extrem hart“

Filiale der Restaurantkette Nordsee Quelle: Presse

Drei von vier Gastronomen bangen um ihre Existenz. Auch die Restaurantkette Nordsee leidet unter den Corona-Schließungen. Unternehmenschef Carsten Horn über die Folgen der Pandemie und schleppende Hilfsprogramme.

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Die Zahlen sind dramatisch: Die Coronakrise hat dem deutschen Gastgewerbe 2020 das Geschäft verhagelt und zu seinem Umsatzrückgang von 36 Prozent geführt, wie das Statistische Bundesamt jüngst in einer ersten Schätzung mitteilte. Grund sind der Lockdown im Frühjahr und die Eindämmungsmaßnahmen im Kampf gegen die Pandemie ab November. Restaurants und Kneipen mussten schließen und durften nur noch Außer-Haus-Service anbieten. „Lage und Stimmung im Gastgewerbe sind katastrophal“, sagte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges vom Branchenverband Dehoga. „Verzweiflung und Existenzängste machen sich breit.“

Drei von vier Gastronomen und Hoteliers bangen einer Umfrage zufolge angesichts der Maßnahmen gegen die Coronapandemie um ihre Existenz. „Wir gehen davon aus, dass 70.000 Betriebe die Krise nicht überstehen werden“, hatte Hartges jüngst bereits erklärt. Wochenlange Umsatzausfälle könnten selbst die gesündesten Unternehmen nicht wegstecken. Auch die Restaurantkette Nordsee, mit 308 Standorten in Deutschland einer der großen Player in der Systemgastronomie, bekommt die Auswirkungen der Pandemie mit voller Wucht zu spüren. Insgesamt 329 Millionen Euro Umsatz bescherten die rund 17 Millionen Gäste der Firma noch 2019 – doch das war vor Corona. Unternehmenschef Carsten Horn sagt, wie es bei Nordsee jetzt weitergeht.  

Carsten Horn ist seit Februar 2020 Chef von Nordsee. Vor seinem Einstieg bei dem Unternehmen war er Geschäftsführer der Kinokette Cinemaxx, arbeitete bei Tchibo, Blume 2000 und der Baumarktkette Max Bahr.

von Max Haerder, Henryk Hielscher, Melanie Raidl, Dieter Schnaas, Lukas Zdrzalek

WirtschaftsWoche: Herr Horn, wie hart trifft der zweite Lockdown Ihre Restaurants? 
Carsten Horn: Der zweite Lockdown trifft Nordsee extrem hart. Wir versuchen, möglichst viele Restaurants im reinen Take-away und Home-Delivery-Service offen zu halten – das gelingt derzeit circa 55 bis 60 Prozent der deutschen Restaurants – die Umsätze sind allerdings marginal.

Wie steuern Sie gegen?
Der Fokus liegt im Geschäftsbetrieb auf der Einhaltung aller Hygienestandards und der Sicherheit für alle MitarbeiterInnen sowie Kunden und Kundinnen. Betriebswirtschaftlich wird sich in allen Unternehmensbereichen auf die Sicherstellung der überlebensnotwendigen Liquidität konzentriert.

Welche Folgen wird der zweite Lockdown für Ihre Branche haben?
Das kann man erst richtig einschätzen, wenn wir wissen, wie lange der zweite Lockdown dauern wird und wie gegebenenfalls die Verschärfung der Einschränkungen aussehen wird. 

Und für die Innenstädte?
Wir erwarten Geschäftsaufgaben und Leerstände in den Innenstädten aber auch in den Einkaufszentren und für die verbleibenden Unternehmen schwierige Rahmenbedingungen im ‚neuen Normal‘ durch weniger Frequenz im Allgemeinen und ebenfalls abnehmendes Kaufverhalten im stationären Einzelhandel sowie in der Gastronomie. Die Menschen werden sich zumindest in der ersten Zeit weniger an Orten bewegen, wo es Menschenansammlungen gibt und sie werden sich anders bewegen.

Wie bewerten Sie das Engagement der Politik für die Gastronomie?
Die Hilfsmaßnahmen sind in Gänze umfangreich, aber mit nicht ausreichender Wirkung. Folgende Limitationen beobachten wir: Prozesse, Systeme und Organisationen, die für die Beantragung und Auszahlung verantwortlich sind, sind der Situation nicht gewachsen. Der deutsche Behördenapparat braucht dringend eine ganzheitliche Transformation. 

Wo sehen Sie Versäumnisse?
Die potenzielle Hilfe kommt nicht oder nicht rechtzeitig an – das ist für die betroffenen Unternehmen teilweise fatal. Die initialen Hilfspakete haben für größere Firmen keinen Zugang vorgesehen – Nordsee hat nicht von den November- und Dezemberhilfen partizipiert. Die jetzt eingeführte November- und Dezemberhilfe Plus kommt eindeutig zu spät, wird aber grundsätzlich als positiv bewertet. Das Kernproblem: Die Hilfspakete sind bis heute nicht beantragbar, da die finalen Bedingungen scheinbar noch nicht feststehen und die Systeme noch nicht freigeschaltet sind. Die Mehrheit der betroffenen Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandelsunternehmen kommt zunehmend in extreme Schwierigkeiten.

Mehr zum Thema: Onlinekonkurrenz und Lockdown zwingen immer mehr Einzelhändler zum Aufgeben. Den Innenstädten droht der Tod. Jetzt sucht die Politik verzweifelt nach Auswegen.

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