
Hans Mehringer ist kein Typ, der sich schnell aufregt oder „gar freudig erwartend wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum sitzt“, sagt er. Mit fränkischer Gelassenheit spricht der Geschäftsführer von "Küchen Keie", einem Küchenanbieter aus dem Rhein-Main-Gebiet, also über seinen jüngsten Coup, die Kunden wieder in seine Küchenstudios zu locken. Wer bis Mitte März eine Küche gekauft hatte, kriegt das Geld zurück – vorausgesetzt es regnet am 1. April. Eine ähnliche Aktion, die „Schnee-Wette“, lief im Weihnachtsgeschäft bereits so gut, dass er das nun wiederholt, nur eben mit Regen.
Die zündende Idee für die Werbeaktion kam ihm kurz vor dem Weihnachtsrummel um die schönsten Geschenke: Warum nicht die Küchen, die seine Kunden in einem Aktionszeitraum von Anfang bis Mitte November bei ihm kaufen, an sie verschenken? Einzige Voraussetzung: Es muss schneien am Nikolaustag. Dann bekommen die Kunden ihr Geld zurückerstattet.
So sind deutsche Küchen
1,2 Millionen Küchen werden jährlich in Deutschland verkauft. Und die Hersteller verdienen gut an ihnen. Mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz machte die Branche laut der Arbeitsgemeinschaft Moderne Küche 2013 in Deutschland.
Den Großteil des Umsatzes macht die deutsche Küchenindustrie im Inland: 6,03 Milliarden Euro allein im Jahr 2013 (Vorjahr: 5,95 Mrd). Auch im Ausland kommen die deutschen Küchen gut an: Die Hersteller exportierten zuletzt Waren im Wert von rund 4,01 Milliarden Euro. Laut Branchenkennern entwickelt sich insbesondere China zu einem wichtigen Absatzmarkt, weil moderne Einbauküchen europäischer Prägung dort ein Statussymbol sein.
Laut den Konsumforschern der Gfk legte der Durchschnittspreis für Küchen bei Einrichtungshäusern und dem Küchenfachhandel (ohne Discounter) innerhalb von vier Jahren um mehr als 800 Euro zu. 2009 kostet die Durchschnittsküche 6.429 Euro. 2013 schon 7.243 Euro. Kochbegeisterte geben aber auch 30.000 Euro und mehr für eine Küche aus.
Die Küche läuft dem Auto als Statussymbol den Rang ab. Das hat zumindest eine Umfrage des Zukunftsinstituts im Auftrag von Siemens ergeben. 57 Prozent der Befragten gaben demnach an, dass ihnen eine "tolle Küche" wichtig ist. Nur 29 Prozent nannten das Auto und noch weniger Hi-Fi-/Videoanlagen (acht Prozent) und Smartphones und Tablets (sieben Prozent).
Geschneit hatte es dann nicht an diesem Nikolaustag. Und das wäre es doch gewesen. „Stellen Sie sich mal die PR vor, wenn das wirklich passiert wäre, da hätten alle drüber berichtet“, sagt der 54-Jährige und lacht. Ja, er hätte sich sogar gewünscht, dass es schneit und die Kunden ihr Geld zurückbekommen. Insgesamt fast eine halbe Million Euro, geht man von einem Durchschnittspreis von 10.000 Euro pro Küche aus. Doch selbst da wäre er in seiner fränkischen Art gelassen geblieben: Für diesen Fall hat Mehringer nämlich eine Versicherung abgeschlossen. Die wäre eingesprungen, das Küchenstudio selbst hätte keinen Cent an die Kunden zahlen müssen.





Hoffen auf Regen
Immer mehr Unternehmen machen auf diese Art Werbung für ihr Geschäft und lassen sich das Risiko absichern. Zuletzt machte das Möbelhaus Mahler Schlagzeilen als es sich seine Wetter-Wette von den Behörden nicht verbieten lassen wollte. Es klagte durch alle Instanzen und erhielt im vergangenen Juli vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht. Seither haben auch Unternehmer wie Hans Mehringer Rechtssicherheit: Die Wette aufs Wetter ist kein öffentliches Glückspiel.
Das kommt der hart umkämpften Küchen- und Möbelbranche gerade recht. Sie müssen sich einiges einfallen lassen, um Kunden ins Haus zu locken, kreative Verkaufsideen sind gefragt. Das merkt auch Hans Mehringer: Die Konkurrenz ist groß im Speckgürtel von Frankfurt, die Kunden heiß umworben – meist in Form von Prospekten in der Tageszeitung, dicke Letter, grelle Farben, schier unglaubliche Rabatte. Der Küchenstudio-Chef wollte rausstechen aus der Sintflut des Altpapiers von morgen.





Von diesem Wunsch nach außergewöhnlichen Werbeaktionen profitieren die Versicherer. Vor allem die großen Rückversicherer wie die Munich Re versichern Gewinnspiel- oder Promotion-Risiken – zumindest „in begrenztem Umfang“ wie die Munich Re, eine der größten Anbieter auf dem Markt, auf Anfrage mitteilt. Bei der Versicherung von Werbeaktionen wie der Wetter-Wette handle es sich um ein Nischenprodukt, das in der Regel zu bestimmten Zeiten wie Weihnachten gehäuft nachgefragt wird. „Wir sammeln seit langem Wetterdaten selbst und analysieren diese“, erklärt Andrew Duxbury, Experte für Sonderrisiken bei der Munich Re.
Neben den Möbelhäusern geben sich auch bekannte Unternehmen wie die Elektrokette Media Markt nicht nur mit Prospekten in grellen Farben zufrieden, sondern buhlen mit eher unkonventionellen Werbemaßnahmen um die Gunst der Kunden. So rief der Händler vor der Fußball-Europameisterschaft 2004 „die größte EM-Wette aller Zeiten aus“: ein am 1. Juni 2004 gekaufter Fernseher sollte kostenlos sein, wenn die deutsche Mannschaft die Europameisterschaft gewonnen hätte. Auch im vergangenen Jahr konnten sich Kunden zum Beginn der WM an einem Tippspiel beteiligen: Für die richtige Finalpaarung hat Media Markt die Rückzahlung des vollen Einkaufpreises versprochen.
Absicherung der Risiken
2,5 Prozent der Kunden lagen mit ihrem Tipp Deutschland gegen Argentinien richtig. Eine Gesamtsumme, wieviel insgesamt rückerstattet wurde, will Media Markt nicht nennen. „Bricht man es auf die einzelnen Kunden herunter, so waren es teilweise geringe Beträge, sehr oft aber auch höhere Summen im vierstelligen Euro-Bereich“, erklärt eine Sprecherin. Detailliert dazu äußern, welche Aktionen Media Markt versichert, will sich das Unternehmen nicht. „Ob wir eine Marketingaktion versichern oder nicht, entscheiden wir von Fall zu Fall“, heißt es von Seiten des Unternehmens. „Wir versichern solche Aktionen nicht generell, sondern wägen die Risiken vorher ab.“
Das Geschäft mit dem Wetter
Der Clou für die Unternehmen ist die Hebelwirkung: ohne die Versicherung können die Händler nur ein begrenztes Werbebudget einplanen. Riskante Aktionen wie die Wetter-Wette könnten sogar die Existenz gefährden. Setzen sie aber dieses Budget als Prämie für eine Police ein, können sie ein Vielfaches dieses Betrages ausloben, weil schließlich bei Eintreten eines Ereignisses die Versicherung einspringt.
Einer, der sich mit der Absicherung dieser Risiken beschäftigt, ist Alexander Strehl. Wenn für viele Schüler Stochastik ein im Lehrbuch stehender Alptraum ist, war Mathe für ihn das liebste Fach. Heute beschäftigt sich der 37-Jährige auch beruflich mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen, Statistiken – und mit dem Wetterbericht. Dass es sich bei den Wetter-Wetten genau genommen gar nicht um eine Wette handelt, ist ihm wichtig zu betonen. Er nennt das „Promotions“.
Für den Versicherungsdienstleister SRC Special Risk Consortium erstellt der Wirtschaftsingenieur Versicherungspolicen für Unternehmen, die sich gegen die Risiken bei Werbeaktionen absichern wollen. SRC ist eines der wenigen Dienstleister in Deutschland, die sich auf diese Versicherung spezialisiert haben. Sie schließen im Namen der großen Versicherer wie beispielsweise der Munich Re Versicherungen ab. Strehl schätzt, dass jährlich in Deutschland rund tausend Promotions versichert werden – ein Nischenprodukt in der Versicherungsszene also. Doch genaue Zahlen, wie groß der Markt tatsächlich ist, gibt es nicht.
Strehl´s Job ist es, die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, ob es am Nikolaustag schneit oder Deutschland Weltmeister wird. Danach berechnet sich dann die Prämie für Kunden: Je höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis auch eintritt, desto höher auch das Risiko für die Versicherung, desto höher die Prämie. Zwischen fünf und zwölf Prozent der Versicherungssumme muss der Versicherungsnehmer zahlen.
Auch mal gewinnen dürfen
Die Prämie hat Hans Mehringer gerne bezahlt. Sicher, die Schnee-Wette des Küchenstudios hätte mehr Aufmerksamkeit bekommen, hätte es tatsächlich geschneit. Für ihn war die Promotion aber auch ohne Schnee ein großer Erfolg, sagt er. 46 Kunden haben auf Grund dieser Aktion bei ihm Küchen gekauft. Deshalb hat der Küchenstudio-Chef vor einigen Wochen auch zur Regen-Wette ausgerufen und hofft dieses Mal auf kräftigen Regen am 1. April.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden auch gewinnen können, muss immer noch im Bereich des Möglichen bleiben. „Wenn es nie zu einem Gewinn kommen würde, wären die Promotions für die Veranstalter doch unattraktiv“, erklärt Alexander Strehl. „Denn kommt es zum Gewinn, berichten auch die Medien darüber.“ Und deshalb würden Unternehmen das ja machen.
Ein lachendes und ein weinendes Auge hatte Alexander Strehl übrigens im vergangenen Jahr bei den WM-Promotions, die er versichert hatte: Ein Lachendes, weil Deutschland Weltmeister wurde. Ein Weinendes, weil Deutschland Weltmeister wurde – und die Versicherung für viele Promotion-Aktionen einspringen musste.