Generationswechsel Bühne frei für den Patriarchen-Nachwuchs

Drogeriekönig Dirk Roßmann dankt ab und überlässt seinem Sohn Raoul den Thron Quelle: dpa Picture-Alliance

Drogeriekönig Dirk Roßmann dankt ab und überlässt seinem Sohn Raoul den Thron. Es ist nicht der einzige Wachwechsel im Einzelhandel: Auch bei Globus, dm, Deichmann und Otto mischt jetzt der Patriarchen-Nachwuchs mit.

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Kaum steht die Frage im Raum, springt Drogerieunternehmer Dirk Roßmann auf und ruft seinen Sohn Raoul ins Büro: „Junior, ich werde gerade gefragt, wann ich meinen Hut nehme“, sagt der Vater. Der Sohn antwortet: „Eigentlich übermorgen, da ist dein Sturz geplant“, lacht kurz auf und fügt hinzu: „Nein, das wirst du natürlich irgendwann selbst entscheiden.“ Der Patron wirkt zufrieden: „Sehen Sie, das ist das Schöne, wenn man selbstständig ist. Es ist eben nicht wie in einem Angestelltenverhältnis, bei dem man zum 65. Geburtstag automatisch verabschiedet wird.“

Mehr als zwölf Jahre liegt der denkwürdige Dialog zwischen Raoul und Dirk Roßmann nun schon zurück, der damals Eingang in ein Interview mit der WirtschaftsWoche fand. Nun will Roßmann umsetzen, was er einst angekündigt hat: Er werde sich mit 75 Jahren zum 30. September aus dem Geschäft zurückziehen, kündigte das Unternehmen an. Sprecher der Rossmann-Geschäftsführung wird dann sein jüngerer Sohn Raoul Roßmann. Dirk Roßmann werde sich künftig zunehmend der Schriftstellerei widmen. Nach seiner Biografie und dem zuletzt veröffentlichten Thriller „Der neunte Arm des Oktopus“ soll Mitte Oktober dessen Fortsetzung „Der Zorn des Oktopus“ erscheinen.

So ganz kann der Senior aber dann doch nicht von der Droge Drogerie lassen. Er bleibe im Beirat der Rossmann-Drogeriemärkte sowie Geschäftsführer und Sprecher der familieneigenen Beteiligungsgesellschaft. Die Familie Roßmann vollziehe so weiter „eine fließende Übergabe der Unternehmensverantwortung“, teilte das Unternehmen mit. Raoul Roßmann verantworte und präge bereits seit einigen Jahren das operative Geschäft der Drogeriemärkte, seit 2015 ist der 36-Jährige Geschäftsführer für Einkauf und Marketing. Tatsächlich steht Raoul Roßmann schon seit geraumer Zeit stärker in der Öffentlichkeit und äußert sich regelmäßig in Interviews. Die Beförderung zum Konzernchef ist somit eher formeller Natur. Und trotzdem: Ein Generationenwechsel birgt immer auch Risiken.

Zu hoch sind die Erwartungen an den Nachwuchs. Der Nachfolger soll sich emanzipieren, zugleich bleiben Vater oder Mutter lange Zeit die Messlatte für Mitarbeiter wie Geschäftspartner. Die Kinder sollen für neue Impulse sorgen, zugleich aber die Tradition wahren und ihre Geschwister einbeziehen, um Streit zu vermeiden. Kurzum: Der Wachwechsel ist ein gewaltiger Balanceakt. Und doch gibt es zahlreiche Beispiele, wie es funktionieren kann. Gerade im Einzelhandel schickt sich eine neue Generation an, den elterlichen Unternehmen wieder mehr Schwung einzuhauchen.

Ausgerechnet Rossmanns Erzrivale dm hat es vorexerziert. Vor zwei Jahren hat dort Christoph Werner, Sohn des dm-Gründers Götz Werner, den Chefposten übernommen. Ähnlich wie Raoul Roßmann arbeitet aber auch Werner schon längere Zeit im väterlichen Unternehmen und war seit 2011 Mitglied der dm-Geschäftsführung. Kurzum: der Übergang verlief fließend – und damit ganz anders als bei seinem Vater Götz Werner. Der war mit 28 Jahren von seinem Vater aus dessen Drogerieunternehmen gefeuert worden. Der Sohn hatte es gewagt, auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Drogerien hinzuweisen: „Vati, wenn du so weitermachst, gehst du pleite“, soll Götz Werner seinem Vater gesagt haben. Der Satz brachte den Patriarchen derart in Wallung, dass sein Sohn zwei Stunden später auf der Straße stand, was sich im Nachhinein als Glücksfall erwies, denn Götz Werner konnte nun seine Visionen umsetzen und baute mit dm ab 1973 die größte europäische Drogerie-Handelskette auf. Operativ ist Götz Werner längst nicht mehr im Unternehmen tätig, 2008 wechselte er in den Aufsichtsrat. Seine Unternehmensanteile hat er in eine Stiftung eingebracht. Der Abstand machte es womöglich auch seinem Sohn Christoph leichter, sich als Manager bei dm zu etablieren. Wenige Monate nach seinem Start begann die Corona-Pandemie. „Eine Feuertaufe“, wie es Werner selbst formuliert hat. Die hat er mit Bravour bestanden: Der Drogeriekonzern erzielte im Corona-Geschäftsjahr 2019/20 ein Rekordergebnis. 

‚Jugend forscht‘ im Einzelhandel

Ganz ähnlich lief es bei der saarländischen Handelskette Globus. Die Geschichte des Familienunternehmens, heute geführt in sechster Generation, begann 1828. Damals verkündete Urahn Franz Bruch per 'Etablissements-Anzeige' die Geschäftsaufnahme für seinen Kolonialwarenladen in St. Wendel, verbunden mit dem Versprechen 'billigster und reellster Bedienung'. Mit Pferdefuhrwerken belieferten die Bruchs bald Läden in den nahen Dörfern. Immer größer wurde das Unternehmen. Mittlerweile betreibt Globus europaweit fast 170 Filialen, darunter etliche Fachmärkte, vor allem aber riesige SB-Warenhäuser. Globus – das ist heute ein mittelständisches Unternehmen in Konzerndimensionen. Entsprechend heikel ist auch hier die Nachfolge, zumal Globus-Veteran Thomas Bruch selbst erlebt hat, was alles schief gehen kann. Er war 1978 als Assistent seines Vaters bei Globus gestartet. Wenig später erkrankte sein Vater. „Ich war relativ jung und neu dabei“, berichtete Bruch jüngst der WirtschaftsWoche. „Das war eine schwierige Zeit für die Firma.“ Wohl auch deshalb sollte es bei der Übergabe an seinen eigenen Sohn Matthias anders laufen. Der Wechsel wurde akribisch und langfristig vorbereitet. 

Matthias Bruch begann seine Karriere außerhalb des Familienunternehmens. Er studierte Betriebswirtschaft in Köln. Anschließend ging es zur irischen Supermarktkette Superquinn und zurück nach Deutschland zu Ferrero. Danach zu Globus: als Teamleiter Kühlregal im Markt in Zwickau, Bereichsleiter Frische in Waghäusel und Geschäftsleiter für den Markt in Saarbrücken. Im Juli 2020 folgte schließlich der nächste Schritt: Matthias übernahm die Geschäftsführung der Globus Holding - mitten in der Coronakrise und mitten im Kampf um die Aufteilung der Real-Märkte, von denen sich auch Globus einige sicherte.
 
In einigen Bereichen „wirke ich noch aktiver mit“, sagte sein Vater im Frühjahr. Ihm sei aber bewusst, dass er dabei auf die 'richtige Balance' achten müsse. Um den Wachwechsel zu begleiten, schaut ein langjähriger Freund und Berater der Familie auf den Übergang. „Alle drei, vier Monate setzen wir uns zusammen und besprechen das, was ihm aufgefallen ist“, berichtet Bruch senior. „Den Übergang der Verantwortung sehen wir als einen Prozess.“

Die Aussage dürften viele wohl Handelsgranden unterschreiben. Bei Europas größtem Schuhhändler Deichmann trat im August 2020 der damals 27-jährige Samuel Deichmann in die Geschäftsführung ein. Er kümmert sich seither um die digitale Transformation und das Beteiligungsgeschäft des Familienunternehmens. Sein Vater, Konzernchef Heinrich Deichmann, bezeichnete den Schritt der vierten Generation ins Unternehmen als „klares Bekenntnis zur Kontinuität unseres Unternehmens als Familienunternehmen“. Auch in Zukunft wolle man das Unternehmen „mit den Werten fortführen, mit denen mein Großvater, mein Vater und ich diese Firma geführt haben“.

Auch bei der Hamburger Versandhandelsdynastie Otto ist der Wechsel in vollem Gang. Benjamin Otto mischt als designierter Aufsichtsratschef und „gestaltender Gesellschafter“ im Hintergrund kräftig mit - auch wenn es noch etwas dauern dürfte, bis sein Vater Michael Otto das Feld räumt. Den Junior scheint das nicht weiter zu stören. Im Gegenteil: „Wir sind ein richtig gutes Team geworden, und das ist nicht selbstverständlich, da mein Vater aus einer anderen Generation stammt“, sagte er im Juli dem „Manager Magazin“. Und: „Ich dränge nicht, deshalb muss auch niemand Platz machen“. Ein Ansatz, der sich auch schon bei Rossmann & Co. bewährt hat.

Mehr zum Thema: „Das Konjunkturpaket ist Schwachsinn“, sagt Raoul Roßmann. Der Juniorchef der Drogeriekette erklärt im Podcast, wie er Rossmann durch die Coronakrise steuert – und wie er sich beim Tennis gegen seinen Vater durchsetzt.

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