Gesichtserkennung im Geschäft So anders wird das Shopping von morgen

Wer will was? An den Gesichtern wollen Unternehmen ablesen, in welcher Stimmung die Kunden sind und ihnen mit passenderer Musik oder bestimmten Angeboten entgegenkommen.Copyright: facemedia.io Quelle: PR

Kameras an Regalen oder in Brillen von Verkäufern, die Alter, Geschlecht und Stimmung der Kunden interpretieren. Was wie ein Überwachungsalbtraum klingt, soll Kunden ein besseres Einkaufserlebnis verschaffen.

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Das Phänomen kennt im Prinzip jeder Tourist, der sich dem römischen Colosseum oder dem Pariser Eiffelturm nähert: Die Souvenirhändler sprechen die Reisenden direkt in der jeweiligen Muttersprache an. Sie erkennen an Physiognomie und Kleidung zielsicher, aus welcher Nation die Besucher stammen. Und kommt ein Gast öfter in ein Geschäft, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Mitarbeiter sich erinnern und sogar gegebenenfalls den Kunden mit Namen ansprechen können.

Verantwortlich für diese Fähigkeit ist beim Menschen die sogenannte Fusiform Face Area, die sich in einer Spindelwindung der Großhirnrinde des Schläfenlappens befindet. Was in einem Menschen vorgeht, wie er sich fühlt, wie alt er ist, das ermittelt in den Boutiquen und Geschäften der Zukunft eine Kamera. Und alles, was wichtig ist, verrät sein Gesicht.

Die Überwachung des Kunden im stationären Handel ist in absehbarer Zeit nicht länger eine reine Sicherheitsmaßnahme, um Ladendiebstahl zu verhindern. Vielmehr soll sie das Einkaufserlebnis verbessern. Software soll den Kundenwunsch von dessen Antlitz ablesen, bevor sich er vielleicht überhaupt in ihm formt und ihn mit Angeboten, die vor seinen Augen auftauchen, versorgen.

Vollständige Überwachung, Kundenkontrolle, Auswertung von Gefühlen – es klingt wie ein Albtraum orwellschen Ausmaßes. Nicht zuletzt, wenn bestimmte Produkte Namen wie „Total Customer Recall“ tragen und damit an die Filmdystopie mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle erinnern. Auf der Messe EuroCIS zeigten Aussteller aus aller Welt im Februar, wie weit die Systeme für Identifizierung, Erkennung, Analyse und daraus folgenden Empfehlungen schon gediehen sind.

Die Vermessung des Kunden geschieht längst und in der Regel mit dem Einverständnis des Käufers. Wenn der Kunde einen Nutzen hat, dann hat er gegen die Nutzung seiner Daten keine Einwände, das lehren Beispiele aus dem Internet. Für die kostenfreie Nutzung von Diensten wie Facebook oder Google erklären sich mehr oder minder stillschweigend alle Nutzer mit der Verwertung ihrer Daten einverstanden.

Damit sind nicht zwingend Name und Adresse gemeint, sondern vor allem das Nutzerverhalten. Wer im Baumarkt einen Fuchsschwanz oder eine Stichsäge kauft, wird vermutlich über kurz oder lang Interesse an Ölen oder Lacken für Holzbearbeitung haben. Wer einen typischen Anfänger-Laufschuh kauft, dürfte vielleicht auch Interesse an Seminaren zu Lauftechnik haben.

Bereits 2013 berechnete das Beratungsunternehmen McKinsey, dass die Empfehlungen, die der Online-Händler Amazon dem User präsentiert, für 35 Prozent ihres Umsatzes verantwortlich sind. In einem Geschäft für Bekleidung obliegt es heute den Verkäufern, abzuschätzen, was es dem Paar, das vor den Regalen steht, vielleicht an weiteren Kleidungsstücken empfiehlt.

Das kann in nicht allzu ferner Zukunft ein Mix aus Apps, Software und Kameras für die Gesichtserkennung besser. Dazu ist es für die Ladenbetreiber nicht einmal nötig, Daten über die Kunden vor Ort zu sammeln. Der Kunde der Zukunft betritt das Geschäft und wird von einem abgestimmten System aus Kameras, Software und Informationsweitergabe – sei es zu Händen der Mitarbeiter oder Displays an Regalen – als sogenannte Session erfasst. Dabei wird verfolgt, wie lange sich ein Kunde in einer bestimmten Abteilung aufhält, welche Wege er zurücklegt. Und seine Mimik wird interpretiert. Systeme wie die des Unternehmens FaceMedia in Bratislava versprechen, etwa 95 Prozent aller Kunden zu verfolgen und einzuschätzen. Die Systeme werten dabei hängende Mundwinkel ebenso aus wie leuchtende Augen – und geben den Mitarbeitern so die Chance, auf die aktuelle Stimmung von Kunden zu reagieren.

Die möglichen Reaktionen für die Shopbetreiber sind heute und in Zukunft breit gestreut. Anbieter wie das chinesische Unternehmen Jardin Onesolution würde bei einer bestimmten Stimmungslage der Kunden im Geschäft diese mit Änderung der Musik unterstützen oder zu korrigieren versuchen.

Keine Warteschlangen dank Gesichtserkennung

Das Unternehmen Ultinous aus Budapest hat mit Unterstützung von Gesichtserkennung eine auf Anhieb abwegige Nutzung entwickelt. In den ungarischen Filialen des Drogeriemarktes Rossmann wurde die Technologie aus Kamera und Software genutzt, um die Schlange an der Kasse zu reduzieren. Ohne die Identität der Kunden zu erfassen konnte die Software aus den Gesichtsausdrücken, den Aufenthaltsorten und der Zahl der Kunden im Geschäft vorhersagen, wann sich binnen der kommenden Minuten eine Vielzahl der Kunden an die Kasse begibt. Das System warnte die Mitarbeiter so rechtzeitig, dass diese in der Lage sind, ausreichend Bezahlstellen zu öffnen.

Quasi die Wünsche von den Lippen und Augen ablesen, das ist das Ziel der Anbieter. „Artificial Emotional Intelligence“ ist die Umschreibung für etwas, das selbst bei den profansten Einkäufen und vermeintlich einfachen Kaufentscheidungen zum Einsatz kommen kann. Das Unternehmen Shelfpoint mischt die Erkenntnisse über den Typus Käufer mit Displays an den Regalen. Dort, wo früher Papierschilder die Preise anzeigten, können schon heute in strahlenden Farben ganze Filme und Animationen abgespielt werden.

Wer sich einem Regal mit Colaflaschen nähert, wird analysiert – Alter, ethnische Zugehörigkeit und die emotionale Reaktion auf die Displays. Die an dem Regal ausgestrahlten Angebote können so binnen kurzer Zeit auf ihre Wirksamkeit getestet werden. In A-B-Vergleichen kann ein Supermarkt so entscheiden, ob vielleicht die Offerte „Drei Flaschen zum Preis von zwei“ besser funktioniert als eine eher emotionale Ansprache, die die Vorfreude auf eine Gartenparty adressiert.

Was am Regal montiert wird, soll künftig auch beim Personal eingesetzt werden. Experten gehen davon aus, dass Kundenberater künftig mit Brillen ins Verkaufsgespräch gehen können, in denen eine Kamera die Daten ermittelt und sie aufbereitet dem Verkäufer ins Sichtfeld spielt. Kundenhistorie und derzeitige Gefühlslage können dem Verkäufer helfen, dem Kunden das richtige Produkt zu empfehlen.

Noch einfacher machen es Kunden dem Ladenbetreiber, wenn sie bereit sind als Stammkunden eines Geschäfts ihre Daten dort freizugeben. Im einfachsten Falle geben sich die Kunden beim Betreten des Geschäfts mit der Kundenkarte als Smartphone-App zu erkennen. Denkbar ist aber auch, dass der Shopper ein Foto von sich hinterlegt hat. Kameras erkennen den Kunden, sobald er das Geschäft betritt. Sowohl Nachrichten an sein Smartphone sind möglich wie auch stationäre Displays, die ihm auf Basis seiner Konsumhistorie beispielsweise den Lieblingskaffee zu einem Sonderpreis anbieten.

Die amerikanische Fastfoodkette CaliBurger nutzt in Zusammenarbeit mit NEC die Gesichtserkennung an Bestelldisplays, wie sie heute auch vielfach in Deutschland eingesetzt werden. Hat der Kunde sein Einverständnis gegeben, dass sein Gesicht seiner Kundenhistorie zugeordnet werden darf, erscheint bei seiner Bestellung sein Profil auf dem Display. Das, so die Kette, reduziere die Zeit für den Kauf um rund zehn Prozent. Der Kunde kann auf Wunsch auch mit seinem Gesicht bezahlen. Nach der Erkennung seiner biometrischen Daten muss er nur noch den Sicherheitscode der hinterlegten Kreditkarte eingeben.

Das britische Unternehmen Yoti geht noch einen Schritt weiter. Hier kann der Kunde sein Gesicht in einer App biometrisch erfassen lassen und mit seinem Ausweis verknüpfen. Sobald der Nutzer sein Smartphone anschaut und die App nutzt, kann er sich so bei Kunden des Systems per Smartphone ausweisen. Das kann er zum Beispiel an neuartigen Zigaretten-Automaten nutzen, um mit seinem Gesicht den Altersnachweis zu erbringen.

Traditionell tut sich die Kundschaft in Deutschland schwer mit diesen Technologien. Es spielt dafür keine Rolle, ob tatsächlich Daten gespeichert werden oder nicht. Der Gedanke, dass Maschinen unsere Emotionen interpretieren, ist für viele Menschen ein irritierender Gedanke. Menschen, die in Dörfern wohnen, kennen das. Wenn sie ein Geschäft betreten, in denen die Verkäufer ihren Namen und oft auch die Familiengeschichte gut kennen. Und weitererzählen.

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