Herr Klanten, erst wirbelt Corona das Geschäft durcheinander, jetzt droht der Buchbranche, ausgerechnet in der Hochsaison das Papier auszugehen – was ist da los?
Robert Klanten: Als im vergangenen Jahr viele Verlage dachten, jetzt kommt Armageddon, haben sie nachvollziehbarer Weise ihre Programme reduziert und den Papierbedarf zusammengestrichen. Die Papiermühlen haben sich daraufhin gedacht – wer braucht nun Papier? Und kamen auf Versender, auf Zalando und Amazon und haben entsprechend ihre Maschinen auf Packpapier, Pappen und Karton für den boomenden E-Commerce und seinen riesigen Bedarf umgestellt.
Die Kapazitäten fehlen nun für Buchpapiere?
Ja, genau – wenn der Bedarf an Buchdruckpapier 2019 bei 100 Prozent lag, dann schrumpfte der 2020 auf vielleicht gerade noch 20 oder 30 Prozent. Jetzt zieht der Bedarf wieder an, auf geschätzt gut 80 Prozent beim Feinpapier. Allerdings ist es nun so, dass der Markt maximal 50 Prozent dessen produziert, was er 2019 hergestellt hat.
Was dazu führt, dass die Preise steigen?
Ja, sie steigen teilweise um bis zu 300 Prozent. Wir verwenden ausschließlich FSC-Papier hoher Qualität. Ich habe von Kollegen gehört, bei denen alles bereit war für den Druck – aber dann kam kein Papier. Es kam auch vor, dass der Buchbinder anruft und sagt, er hätte keine Pappen bekommen. Diese werden aber etwa für den festen Einband eines Buches dringend gebraucht. Als Folge können diese Bücher nicht pünktlich fertiggestellt und ausgeliefert werden. Dadurch geht auch uns viel Umsatz verloren, den wir angesichts der vorhandenen Nachfrage eigentlich machen könnten.
Heißt, in der Verlagsbranche herrscht ein Hauen und Stechen, wer das kostbare Papier überhaupt bekommt?
Das ist tatsächlich so; wir gehören ja nun zu den kleineren Fischen und müssen aufpassen, dass wir nicht unter die Räder kommen. Und das geht nicht nur uns so, es ist mir auch von Kollegen im In- und Ausland bestätigt worden – alle haben das gleiche Problem, das sich auch nicht kurzfristig wird lösen lassen. Doch wir sind kein altmodischer Verlag, sondern haben auch eine globale Marke geschaffen. Dazu gehört eine digitale Community von mehreren Hunderttausend in den sozialen Medien. Beim Zusammenbringen von analog und digital gehören wir somit zu den Vorreitern in unserer Branche.
Sie drucken Ihre Bücher vor allem in Deutschland, verkaufen aber anders als die meisten hiesigen Verlage drei von vier Titeln im Ausland – wie sehr schmerzen Sie die gestiegenen Logistikkosten?
Wir produzieren zum größten Teil in Deutschland und sind damit auch glücklich. Wir konsolidieren die Bücher im Lager und verschicken sie dann in die ganze Welt. Unsere Lieferkette ist fein verzahnt – und deshalb schmerzt uns natürlich der große Logistik-Stau derzeit. Über Großbritannien müssen wir gar nicht sprechen, aber auch bei Lieferungen in die USA, wohin wir alle zwei Wochen einen Container schicken, müssen wir immer wieder neu schauen, ob es nötig ist, Lieferungen auf später zu verschieben. Dazu kommt, dass die Preise für die Container immens gestiegen sind.
Wenn die Kosten an allen Ecken steigen – heben Sie dann die Preise für Ihre Bücher an?
Unsere Kalkulationen werden angesichts der Abgabepreise über den Haufen geworfen, wir schauen daher gerade, was wir daraus machen. Als wir im Frühjahr die Preise in unserem Herbstkatalog festgelegt und angekündigt haben, konnten wir nicht wissen, dass Papier heute 200 Prozent teurer ist; und allein das macht bis zu 30 Prozent der Herstellungskosten aus, das ist substanziell. Deshalb wird es wohl im nächsten Jahr ganz ohne Preiserhöhung nicht gehen, nachdem wir die Preise jetzt acht Jahre stabil gehalten haben.
Sie verlegen Bücher zu Themen wie Design, Architektur und Fotografie, ihre Kundschaft kommt vor allem aus der Werbe-, Grafiker- und Kreativszene – wie preissensibel sind Ihre Leserinnen und Leser?
Eine Besonderheit bei uns ist, dass wir mit gut 40 Prozent einen großen Teil unserer Bücher in sogenannten non-traditional outlets verkaufen, also in Museums- und Concept Stores, in Möbelläden und Modegeschäften.
Warum?
Weil wir nicht die Leute zu den Büchern kriegen, sondern umgekehrt die Bücher zu den Menschen bringen wollen. Wir müssen unsere Zielgruppe dort abholen, wo sie unterwegs ist. Das funktioniert – sorgt aber für sehr unterschiedliche Abnehmer. Manche sind gar nicht preissensibel und meinen, von ihnen aus könnten die Bücher auch das Doppelte kosten. Andere wollen dagegen kein Buch in ihrem Laden anbieten, das mehr als 40 Euro kostet. Dennoch dämmert den meisten, dass die Preise nicht so bleiben können.
In den großen Buchketten und bei den Filialisten findet man Ihre Bücher eher nicht – meiden Sie die bewusst?
Ich würde mir einerseits schon wünschen, dass wir in der einen oder anderen Kette in Deutschland besser repräsentiert wären, vor allem mit unseren Kinderbüchern. Allerdings erscheint der Großteil unserer Bücher auf Englisch und das können die großen Filialisten nun einmal nicht stapelweise hinlegen, das funktioniert dort nicht. Hinzu kommt aber auch, wo unser Kunde und unsere Kundin die Bücher finden wollen, in einem tollen Motorradshop etwa oder in einem Fahrradladen. Wir sehen unsere Titel oberhalb vom Mainstream und unterhalb von Luxus beziehungsweise Status – das bedeutet auch, dass wir mit Leuten im Kontakt sein wollen, die kreativ und neugierig sind und noch Ziele haben. Je mehr wir daher in den großen Ketten gefunden würden, umso größer wäre die Gefahr, unsere Kernkundschaft zu enttäuschen. Und das will ich nicht.
In welchen Regionen verkaufen sich Ihre Bücher am besten?
Wir haben gelernt, dass wir vor Ort sein müssen und so lokale Inhalte für ein globales Publikum aufbereiten können. Im Wesentlichen haben wir in 20 Communities in der ganzen Welt eine Anhängerschaft, vor allem natürlich in Städten mit einer regen Medien- und Kreativlandschaft. Sydney und Melbourne liegt beispielsweise an achter Stelle, das hätten wir selbst nicht gedacht, weil es so weit weg ist und Bücher in Australien eher teuer sind. Auf Platz 1 unseres internen Rankings liegt tatsächlich Los Angeles, noch vor New York. Außerdem gehört London zu unseren wichtigsten Locations, und auch Berlin zählt sicher zu unseren Top 5, ist aber auch nicht etwas, was wir besonders forcieren würden.
Sie spielen also nicht offensiv die Berlin-Karte?
Nein – sehr viele Engländer schwören Stein und Bein, dass wir irgendwo im Londoner Stadtteil Shoreditch zuhause sind. Als wir 1995 angefangen haben, Bücher zu machen, hatten wir von Anfang an eine globale Community im Blick und uns auf eine bestimmte kreative Nische konzentriert. Ich habe mich als Jugendlicher für angelsächsische Popkultur interessiert, bin im Rheinland aufgewachsen, habe den britischen Soldatensender BFBS gehört und John Peel, dazu waren die Magazine Face und ID und NME mein Nektar. Später habe ich mich dann stärker Richtung US-Kultur orientiert.
Wie kam es dazu?
Dort entstand schlicht ein ganz anderer Kosmos aus Kreativität und Popkultur und Design mit viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten. Ich bin gelernter Industriedesigner, und in den angelsächsischen Ländern haben diese Themen, die in Deutschland noch immer als scheinbar leichtgewichtig abgetan werden, einen sehr viel höheren Stellenwert als hierzulande. Deutschland denkt da an vielen Stellen noch immer viel zu engstirnig—hier wird Design häufig auf Ästhetik reduziert—dabei haben Kunst, Design und Kultur auch einen enormen wirtschaftlichen Effekt. Design ist zum Beispiel seit langem ein Motor von Innovationen, vor allem im Bereich Industriedesign. Es schafft Verbindungen zu Produkten und letztlich Marken, wie etwa beim iPhone. Da kann Deutschland noch viel lernen. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass wir schon längst einen Vertrieb in England, den USA und Japan hatten, ehe Deutschland dazu kam.
Als Sie 1995 Ihr erstes Buch veröffentlicht haben – „Localizer“, einen Band über die Berliner Technoszene, finanziert im Prinzip dank der Vorbestellungen von Fans, quasi ein frühes Crowdsourcing –hat da niemand gesagt: Warum eigentlich ein gedrucktes Buch, das ist doch ein Auslaufmedium?
Klar, als ich anfing, haben viele gefragt, warum machst du keine CD-Rom? Stellen Sie sich mal vor, wir hätten das gemacht… Unsere Aufgabe ist es, Vorreiterthemen zu finden, sie zu dokumentieren, zu formatieren, sie begehrlich zu machen und damit mit Leuten in Kontakt zu treten, die so ticken wie wir. Und dafür ist das Format Buch immer noch ein gutes Medium. Als Menschen glauben wir an handfeste Dinge. Dazu überlegen wir uns ständig, wie können wir unser Angebot weiterentwickeln? Was hätten unsere Leute gern von uns? Wir beschränken uns nicht auf analoge Medien, wir bespielen auch sehr erfolgreich Pinterest, Twitter und Instagram. Das ist einer der Gründe, warum wir es seit einem Vierteljahrhundert schaffen, den großen Verlagshäusern die Stirn zu bieten. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass die Anforderungen und Bedürfnisse, die die Leute haben, nicht immer digital abgebildet werden können.
Sondern?
Wir haben als Menschen noch immer einen sehr starken Bezug zum Haptischen, zum Material, wir müssen die Dinge anfassen. Die große Hinwendung zu digitalen Endgeräten ist daher auf der einen Seite zwar sehr convenient. Auf der anderen Seite hinterlässt sie aber eine Lücke bei den Menschen. Bücher haben deshalb aus unserer Sicht drei Aufgaben – sie inspirieren, informieren und identifizieren.
Sie identifizieren?
Ja, und zwar nicht im Sinne von sogenannten coffee table books, die als irgendwie gearteter Gesprächsstoff dienen, wenn Besuch kommt. Das ist relativer Unsinn. Stattdessen brauchen die Leute heute ganz offensichtlich etwas, das ihnen hilft zu verstehen, wer sie sind und was ihnen wichtig ist. Deswegen kaufen sie sich beispielsweise ein Fotobuch über jemanden, der mit dem Fahrrad ans Ende der Welt gefahren ist. Sie wollen das auch gern machen, und dazu brauchen sie diesen sichtbaren Impuls. Wenn dieses Buch daheim liegt, erinnert es mich an diesen Traum und bringt mich damit näher an die Person, die ich wirklich sein will. Das ist ein wichtiges Thema geworden, und dabei funktionieren Bücher offensichtlich besser als alle digitalen Medien. Mal ehrlich: Did a website ever make you cry?
Mehr zum Thema: Vergessen Sie moderne Managementliteratur: Wer wissen will, wie das gute Leben gelingt, muss alte Klassiker lesen. Eine Anleitung zum Glück in sechs Kapiteln.