Eine wüst tätowierte Core-Metal-Band lärmt grunzend gegen den leichten Jazz-Funk der Jamiroquai Groove Section und den Krach von Akrobaten auf knatternden Motorrädern, die nebenan weitere Gitarren während einer halsbrecherischen Fahrt auf einer senkrechten Steilwand stimmen. Jedes Frühjahr wird mit der Leistungsschau der Musikinstrumentenbranche aus dem Gelände der sonst von Anzugträgern dominierten Frankfurter Messe vier Tage lang ein Inferno aus Radau und trinkfreudigen Gesellen mit langen Haaren in blutrünstigen T-Shirts.
Aber nur fast. Denn mitten in der Musikmesse genannten Veranstaltung hockt ein hagerer 60-Jähriger mit Krawatte und einem graugrünen Hemd: „Wie, ich rocke nicht“, entrüstet er sich über die Kritik an seinem Outfit. Er kramt eine fast zu den Ohren reichende Sonnenbrille aus seinem Aktenkoffer, verzieht die Lippen wie der legendäre Elvis Presley oder Skandalpunker Billy Idol und fragt mit knarzender Stimme. „Wer ist der König des Rock’n’Roll, Baby?“
Klare Antwort: Er, Henry Juszkiewicz, Chef und Inhaber einer Legende: Gibson. Die vor 120 Jahren gegründete Firma baut Les Paul, die wohl wichtigste elektrische Gitarre. Von Fans „Paula“ getauft, hat sie seit 60 Jahren wohl jeder Rockstar gespielt.
Henry, wie ihn die Branche nennt, ist selbst eine Legende. Der Mann mit zwei Ingenieurdiplomen und dem MBA der Harvard Business School rettete 1986 die von Schlampereien gebeutelte Firma aus Nashville im US-Bundesstaat Tennessee. Während der Umsatz mit Musikinstrumenten weltweit stagniert, wuchs Gibson um bis zu 20 Prozent pro Jahr von rund 100 Millionen Dollar Umsatz im Jahr 1986 zum weltgrößten Musikalienkonzern mit einer Milliarde Umsatz und rund zehn Prozent operativer Marge.
Wachsen gegen den Trend
Juszkiewicz zeigt, wie schwierige Branchen gegen den Trend wachsen können: durch Innovationen bei Produkten, die eigentlich als technisch ausgereizt gelten. „Henry ist der wichtigste Visionär der Industrie“, sagt Hans Thomann, dessen Musikhaus Thomann aus dem fränkischen Burgebach Europas größter Instrumentenhändler ist. Jetzt plant der Gibson-Guru den nächsten Schritt: Mit Unterhaltungselektronik soll der Gitarrenbauer zu einer Lifestyle-Marke werden.
Fast wäre es ganz anders bekommen. Der in Argentinien als Sohn polnischer Einwanderer geborene Juszkiewicz hatte nach drei Jahren als Mittelstandsspezialist der New Yorker Investmentbank Niederhoffer, Cross and Zeckhauser mit zwei Harvard-Zimmergenossen 1981 ein kleines Ingenieurunternehmen übernommen. Nachdem das wieder Gewinn macht, bot ihm ein Ex-Kollege einen prominenten Pleitekandidaten an: Gibson. Alteigentümer Norlin, ein etwas wirres Konglomerat aus Brauereien und Instrumentenbau, hielt Gibson angesichts des Siegeszugs von Synthesizern in den Achtzigerjahren für kaum überlebensfähig. Um dennoch möglichst viel Geld zu verdienen, sparte Norlin an der Qualität. „Der Ruf war mäßig“, erinnert sich Thomann.
Die 120-jährige Geschichte der Gibson-Gruppe
Orville Gibson verkauft seine erste Mandoline in Kalamazoo, Michigan.
1902 gründet Gibson mit Investoren die Gibson Mandolin-Guitar Ltd.
Einstieg ins Banjo-Geschäft.
Vorstellung der ersten E-Gitarre ES-150, die Fans nach dem Jazzmusiker Charlie Christian taufen.
Eigentümerwechsel durch Verkauf von an die Chicago Musical Instruments (CMI).
Vorstellung der legendären Les Paul, designt vom gleichnamigen Jazzmusiker und bis heute bekannteste Gibson-Gitarre. Weil sie keinen Klangkörper hat, kann sie ohne große Rückkopplung laut verstärkt werden.
Start eines Erneuerungsprogramms. Mit der futuristischen Flying V und der leichteren SG löst sich Gibson vom Jazz-Image und etabliert sich als Rockmarke.
CMI fusioniert mit dem Braukonzern FCL aus Equador. Der Konzern packt Gibson in seine Norlin genannte Musiksparte mit Moog Synthesizern und Lowrey, einem Hersteller von Orgeln und Klavieren.
Schrittweise Umzug nach Nashville, Tennessee, bis heute der Firmensitz.
Weil Gibson im Boom elektronischer Musik keine Neuerungen bietet, droht die Pleite. Die Investmentbanker Henry Juszekiewicz und David Berryman kaufen Norlin das Gitarrengeschäft ab und führen es als Gibson weiter.
Kauf von Dobro, Hersteller der in der US-Country-Musik genutzten Gitarren mit einem metallischen Resonanzkörper.
Erste Fabrik in China.
Wegen Nutzung von angeblich verbotenen Tropenhölzern droht das Aus. Die Ermittlungen enden 2012 mit einer Strafzahlung von 350.000 Dollar.
Mit dem Kauf von Stanton ergänzt Gibson sein Geschäft um Lautsprecher und Plattenspieler für Diskjockeys.
Durch Beteiligung am japanischen Hifi-Hersteller Onkyo steigt Gibson ins Geschäft mit Stereoanlagen ein.
Kauf von TEAC und Einstieg ins Geschäft mit professioneller Aufnahmetechnologie.
Juszkiewicz sah darin seine Chance. „Bewährte Dinge haben immer einen Markt, wenn man es richtig macht“, sagt der Hobbygitarrist. Nach zehn Monaten Gesprächen mit dem Management und den Arbeitern in den Fabriken, kratzte er sein Vermögen zusammen und schlug mit seinem Freund David Berryman für angeblich fünf Millionen Dollar zu. „Ich wollte nicht schuld sein am Untergang einer US-Ikone“, so Juszkiewicz heute. „Zumal ich eine Idee hatte, was Gibson brauchte.“
Zuerst strichen die Partner – ganz Investmentbanker – 20 der 100 Stellen. Dann trimmten sie die Produktion auf Qualität und verschenkten die neuen Paulas, SGs oder pfeilförmigen Flying Vs an prominente Musiker, auf dass diese durch viele Auftritte und mit dem Siegeszug des Internets auch auf Online-Workshops für das Klampfenimperium warben.