Gipfel der Textilbranche Bangladesch Das Dilemma der Näherinnen von Dhaka

Kurz vor einem Branchen-Gipfel hat Bangladesch zahlreiche Aktivisten freigelassen und damit einen Besuchsboykott westlicher Marken abgewendet. Doch schon bald dürften neue Konflikte aufkommen, befürchten Beobachter.

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Überlebende der zusammengebrochenen Rana-Plaza-Kleidungsfabriken arbeiten in einer Fabrik namens Oporajeo (Die Unbesiegten), einer Initiative zur Rehabilitation der Rana-Plaza-Überlebenden. Quelle: dpa

Bangkok Es waren schöne Versprechungen, die sich Bangladeschs Textilindustrie für ihren Branchen-Gipfel einfallen ließ. „Zusammen für ein besseres Morgen” stand in großen Buchstaben an der Wand des Tagungsortes in Dhaka am Samstag. Die Podiumsdiskussionen trugen Titel wie „Auf zu einem ein besseren Bangladesch”.

Doch die wolkigen Worte konnten kaum darüber hinwegtäuschen, dass in Bangladeschs Textilbranche derzeit nur wenig zusammengearbeitet wird. Noch kurz vor dem Gipfel hatte es zwischen den Interessengruppen laut geknallt: Aktivisten und westliche Unternehmen, darunter auch H&M, Zara-Eigentümer Inditex und Tchibo, warfen Regierung und Fabriken die Entrechtung der Näherinnen vor. Sie planten gar einen Boykott des Gipfels. Der Kongress drohte für Bangladesch zur PR-Katastrophe zu werden.

Der Konflikt hatte sich in den Wochen zuvor immer weiter verschärft: Nach Massenstreiks im Dezember in der Nähe der Hauptstadt Dhaka hatten Behörden 34 mutmaßliche Anführer des Streiks festgenommen. Fabrikbesitzer entließen außerdem mehr als tausend Näherinnen und verklagten sie. Trotz Protesten der Marken und Organisationen blieben sowohl die Fabrikbesitzer als auch die Behörden in Bangladesch stur - die mutmaßlichen Aufwiegler blieben eingesperrt.

Erst am Freitag wurden die festgenommenen Aktivisten freigelassen – woraufhin die Marken und Gesellschaften ihren Boykott wieder absagten. Die Nichtregierungsorganisation Clean Clothes Campaign begrüßte die Freilassung der Aktivisten als einen „ersten positiven Schritt”. Dennoch sieht sie zahlreiche offene Fragen und warnt: „Die Krise in Bangladesch ist noch nicht gelöst.”

Bei den Streiks forderten die Arbeiter eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns auf umgerechnet etwas mehr als 180 Dollar. Derzeit liegt er gerade einmal bei 67 US-Dollar im Monat, was etwa 32 Dollar-Cent pro Stunde entspricht. Während die Lebenshaltungskosten ständig stiegen, wurde der Mindestlohn in Bangladesch zuletzt vor rund drei Jahren angehoben. Die Nichtregierungsorganisation Fair Labor Association beklagt, dass der durchschnittlichen Lohn unter der Armutsgrenze der Weltbank liegt.

Große internationale Aufmerksamkeit bekam die Textilindustrie des Landes, nachdem 2013 das mehrstöckige Fabrikgebäude Rana Plaza einstürzte. Bei dem Unglück starben mehr als 1.100 Menschen. Seitdem engagiert sich die Industrie in einer Reihe von Initiativen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.


Ohne Druck von außen wird sich nichts ändern

Auch westliche Marken setzen sich mittlerweile für eine Erhöhung des Mindestlohns ein. „Wir sind besorgt, dass die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu weiteren Unruhen in der Textilindustrie führen könnte”, schrieben 20 Marken in einem offenen Brief an die Regierung, darunter Esprit, H&M und Tchibo. Die Regierung müsse einen Mechanismus finden, mit dem die Löhne regelmäßig überprüft und angepasst werden.

Die lokale Textilindustrie beharrt jedoch weiter darauf, dass es bis 2019 keine weitere Erhöhung geben soll. Auf dem Kongress am Samstag nahm Bangladeschs Handelsminister Tofail Ahmed auch die westlichen Marken in die Pflicht. „Die Fabriken werden höhere Löhne bezahlen. Aber was ist mit den Preisen für die Produkte?”, fragte er auf dem Podium.

Die Löhne in Bangladesch sind laut Weltbank allerdings auch deswegen so niedrig, weil die lokale Industrie kaum in seine Produktivität investiert hat. Angesichts Defizite bei Zuverlässigkeit und Qualität setzen die Fabriken hauptsächlich auf günstige Preise - und den erreichen sie eben durch Lohndumping. In anderen Textilstandorten wie Vietnam oder Kambodscha verdienen Näherinnen mittlerweile deutlich besser.

Gleichzeitig verhindern Fabriken und Regierung in Bangladesch eine echte Interessensorganisation der Belegschaften. Derzeit ist nur jeder 20. Beschäftigte in dem Sektor gewerkschaftlich organisiert. Dem entgegen stehen die lokalen Hersteller, die in Bangladesch erheblichen politischen Einfluss ausüben. Zahlreiche Fabrikbesitzer sitzen beispielsweise im Parlament.

Ohne Druck von Außen wird sich wohl kaum etwas verbessern. Instrumente dafür gibt es zu genüge: Derzeit profitiert das Land beispielsweise von vergünstigten Einfuhrregeln in die EU – doch die sind an Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO geknüpft. Schon die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens könnte bestehende Begünstigungen gefährden, warnen der Deutsche Handelsverband und der Deutsche Gewerkschaftsbund in einem gemeinsamen Brief. Die Aufhebung der Privilegien würde die Wettbewerbsfähigkeit Bangladeschs weiter schwächen und könnte das südasiatische Land hart treffen.

Denn Bangladesch ist massiv von der Textilindustrie abhängig. Rund 80 Prozent der Exporte des Landes stammen aus der Branche. Der boomende Sektor hat dem Land in den vergangenen Jahren regelmäßig Wachstumsraten von rund sieben Prozent beschert. Zuletzt hat sich das Exportwachstum jedoch verlangsamt. Will die Regierung ihr Ziel erreichen, die Textilexporte bis 2021 auf 50 Milliarden US-Dollar zu erhöhen, müsste es die Ausfuhren in wenigen Jahren fast verdoppeln.

Diese ambitionierten Ziele dürften nicht auf Kosten der Beschäftigten erzielt werden, warnen Nichtregierungsorganisationen. Die Freilassung der inhaftierten Aktivisten könne nur ein Anfang sein. Man werde weiter genau beobachten, ob die lokale Industrie und die Regierung wirklich beabsichtigen, die Repressionen und die Verletzung des Versammlungsrechts zu beenden, sagt Judy Gearhart, Direktorin des Internationalen Forums für Arbeitnehmerrechte. „Um diese Ziele zu erreichen ist, ein kontinuierlicher Druck der Marken und der internationalen Gemeinschaft unabdingbar.”

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