Handel Wie Osteuropa den Binnenmarkt ignoriert

Apfelernte in Polen. Regionale Waren sind überall beliebt, doch einige osteuropäische EU-Staaten bevorzugen einheimische Waren und Händler so, dass es nicht mehr EU-konform ist. Quelle: dpa

Die Regierungen in der Slowakei und Ungarn bevorzugen einheimische Unternehmen – zulasten deutscher Händler. Dabei müssten auf dem EU-Binnenmarkt für alle Unternehmen die gleichen Regeln gelten. Und was macht die Bundesregierung? Verweist nach Brüssel.

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Auf dem Papier ist die Sache klar: In der Europäischen Union herrscht unverfälschter Wettbewerb – und für alle Unternehmen, die im Binnenmarkt tätig sind, gelten die gleichen Regeln. In der Realität funktioniert der Binnenmarkt allerdings noch immer alles andere als perfekt.

Das trifft beispielsweise deutsche Einzelhändler: Die Regierungen mehrerer EU-Mitgliedsstaaten in Osteuropa erschweren ihnen das Geschäft vor Ort – und behindern den Wettbewerb zugunsten einheimischer Unternehmen und Produzenten. Der Bundesregierung ist das bewusst, ihr liegen einzelne Beschwerden des deutschen Einzelhandels vor, in denen Wettbewerbshemmnisse bemängelt werden. Das geht aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor.

Auch der Handelsverband Deutschland (HDE), der Unternehmen wie Rewe und Edeka vertritt, schreibt in einer Übersicht, viele osteuropäische Mitgliedstaaten verfolgten eine protektionistische Politik gegenüber EU-ausländischen Handelsketten. „Das anhaltende Phänomen der Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Handelskonzernen in Mittel- und Osteuropa höhlt die Prinzipien des europäischen Binnenmarktes nach und nach aus“, klagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

In dem Papier des Verbands ist von einem „protektionistischen Flächenbrand im europäischen Binnenmarkt“ die Rede. Es geht um Regelungen wie jene in der Slowakei, wonach sich die Hälfte der Werbemaßnahmen von Einzelhändlern verpflichtend auf nationale Produkte beziehen müssen. Verstößt eine Supermarktkette dagegen, drohen Bußgelder in Höhe von einer bis zu fünf Millionen Euro. Der HDE beklagt außerdem Strafen für abgelaufene Lebensmittel in Märkten: Ausländische Unternehmen würden häufiger kontrolliert als einheimische, Strafen von einer Million Euro seien bisher ebenfalls ausschließlich gegenüber ausländischen Handelsketten verhängt worden.

Die ungarische Gesetzgebung wiederum untersagt – mit der Begründung, unfaire Vertriebspraktiken verhindern zu wollen – Produktplatzierungen, Waren unter Einkaufspreis zu verkaufen sowie, dass sich Gewinnmargen für identische einheimische und ausländische Agrarprodukte unterscheiden. „Das Gesetz richtet sich gegen das Geschäftsmodell moderner Händler und schränkt die Vertragsfreiheit übermäßig ein“, schreibt der HDE.

Außerdem gibt es in Ungarn eine Berichtspflicht für Händler, die sie unter anderem dazu zwingt, Vertragskonditionen mit dem Zulieferer im Internet zu veröffentlichen und – ab einem bereits sehr geringen jährlichen Umsatz von knapp 60.000 Euro – in ihrem Geschäftsbericht Details über Dienstleistungen für Lieferanten zu veröffentlichen.

Der Bundesregierung sind diese Regelungen bekannt, das geht aus der Anfrage der FDP hervor. Bewerten müsse diese aber die Europäische Kommission. „Die Bundesregierung lässt den deutschen Handel im Stich“, kritisiert der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Reinhard Houben. Es reiche nicht, nur auf die Europäische Kommission zu verweisen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier müsse „dieses Problem in Brüssel mit der Kommission lösen und deutsche Interessen vertreten“.

Zumal es weitere wettbewerbsbeschränkende Regelungen gibt, die bislang geplant sind, aber noch keine Anwendung finden. So will beispielsweise Rumänien vorschreiben, dass die großen Supermärkte im Land mindestens 51 Prozent ihrer Waren aus heimischer Produktion anbieten müssen. Die Europäische Kommission hat deswegen bereits 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, seitdem laufen Gespräche.

Und in Polen hat die Regierung unter anderem eine Einzelhandels-Umsatzsteuer von bis zu 1,4 Prozent (bei einem monatlichen Umsatz eines Handelsunternehmens von mehr als etwa 40 Millionen Euro) verabschiedet, quasi eine zweite Umsatzsteuer – was der EU-Mehrwertsteuer-Richtlinie widerspricht.

Im Frühjahr 2020 werde die Europäische Kommission voraussichtlich eine Bewertung der verbleibenden Hindernisse im Binnenmarkt und Lösungsmöglichkeiten vorlegen, schreibt das Wirtschaftsministerium in seiner Antwort. Darauf hofft auch der HDE: „Wir setzen auf Binnenmarktkommissar Breton“, sagt Hauptgeschäftsführer Genth.

Bekommen Osteuropäer weniger cremiges Nutella?

Manche Branchenvertreter lesen in der Haltung der osteuropäischen Regierungen auch eine Antwort auf den Vorwurf, ihre Bevölkerung werde als Kunde schlechter behandelt. 2017 hatten mehrere Staaten der Region internationale Konzerne kritisiert, nach Osteuropa deutlich schlechtere Produkte zu liefern. Damals kamen Labore zu dem Ergebnis, Nutella sei in Ungarn weniger cremig als in Österreich.

In der Slowakei stellte das Landwirtschaftsministerium fest, eine bestimmte Wurst enthalte in westeuropäischen Ländern mehr Fleisch und weniger Flüssigkeit als im eigenen Land. Auch hätten Earl-Grey-Teebeutel weniger und kleinere Blätter als im Westen. In Tschechien wiederum lautete der Vorwurf, Fischstäbchen eines bekannten Herstellers enthielten sieben Prozent weniger Fisch als in Deutschland.

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