Hennes & Mauritz H&M fehlt das Konzept für neue Gegner

Die Krise bei H&M ist symptomatisch für die Branche: zu viele Filialen, zu wenig Umsatz, kein Konzept gegen neue Angreifer. Eine Änderung der Strategie der einstigen Vorzeigekette ist nicht in Sicht.

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Probleme aussitzen: H&M-Chef Karl-Johan Persson. Quelle: Laif

Es ist wieder so weit. Einmal im Jahr packt der Textilhändler H&M Designermode in die eigenen Läden – von Karl Lagerfeld, Stella McCartney oder Donatella Versace. In diesem Jahr ist das Pariser Label Kenzo dran: Lederjacken mit Teddyfutter in Pink für 300 Euro, wattierte blaue Winter-Flip-Flops für 80 Euro oder grün getigerte Overalls für 99 Euro sollen Massen begeisterter Teenager anziehen.

Doch der große Ansturm bleibt aus. Die meterlangen Absperrgitter am ersten Kenzo-Tag hätte sich der H&M-Laden auf der Düsseldorfer Schadowstraße sparen können. Auch in Zürich, Wien oder Amsterdam blieb der Andrang überschaubar.

Als vor wenigen Monaten die Designerkollektion von Jette Joop bei Aldi Süd Premiere feierte, spielten sich dagegen regelrechte Jagdszenen ab. In Tausenden Aldi-Läden war schon nach einer halben Stunde praktisch alles ausverkauft. Mancherorts gab es Tumulte wie zu Zeiten, als die ersten Computer bei Aldi verkauft wurden.

Nike und Esprit schneiden schlecht ab
Greenpeace Quelle: dpa
Marken wie Benetton, H&M und Zara gelingt es mittlerweile ohne Schadstoffe zu produzieren. Sie gelten deshalb für Greenpeace als Trendsetter. "Zara, H&M und Benetton beweisen, dass eine schadstofffreie Produktion für Unternehmen jeder Größe möglich ist," sagt Manfred Santen, Chemiker und Textilexperte von Greenpeace. Quelle: REUTERS
Weiterhin mit gefährlichen Chemikalien produzieren hingegen Marken wie Esprit, Nike, LiNing und Victorias Secret. "Giftige Chemikalien haben in Alltagskleidung und Schuhen nichts zu suchen", sagt Santen. Alle Unternehmen sind Teil der Textilkampagne "Detox" von Greenpeace. Bis 2020 sollen sie ihre Produktion umstellen und künftig ohne Schadstoffe produzieren. Quelle: REUTERS
Adidas, Levis, Primark und Puma landen im Mittelfeld - auch sie verwenden zum Teil noch Chemikalien und zeigen darüber hinaus "keine echte Bereitschaft" zu entgiften. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest Greenpeace. Sie setzen weiterhin umwelt- und gesundheitsschädliche Stoffe wie per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) ein. "Die Hinhaltetaktik von Konzernen wie Nike und Esprit ist nicht hinnehmbar", sagt Santen: "Bis 2020 schaffen sie es nicht, giftfreie Mode zu garantieren." Quelle: dpa
Aber auch bei H&M, Zara und Benetton ist noch nicht alles gut. Greenpeace kritisiert dabei vor allem das wenig nachhaltige Geschäftsmodell der Marken. Neue Kollektionen, die alle paar Monate auf dem Markt erscheinen, belasten nicht nur die Umwelt, sondern benötigen auch enorme Ressourcen. Die Umweltschutzorganisation fordert deshalb einen "lebenslangen Reparaturservice" für Textilien. Quelle: dpa

H&M und Aldi, an diesen beiden Polen versinnbildlicht sich das Dilemma im deutschen Modemarkt: Etablierte Player haben Angreifern wie Primark und Forever 21, Amazon oder Zalando wenig entgegenzusetzen. Es gibt zu viele Läden, die Botschaft vieler Marken ist diffus, Kollektionen treffen seltener den Geschmack der Kundinnen.

Dafür ist Pleitegehen in Mode gekommen. Allein in diesem Jahr meldeten Promod, Zero, Steilmann, Madonna, Sinn Leffers, Wöhrl und MS Mode Insolvenz an. Die Marktgrößen Gerry Weber, Hugo Boss, Esprit und Tom Tailor haben sich Sanierung verordnet. Sie schließen Filialen, entlassen Mitarbeiter.

Auch H&M kämpft mit schwächerem Wachstum. Zwischen Oktober 2015 und September 2016 wuchs die Kette weltweit nur ein einziges Mal stärker als im Vorjahresmonat, im August 2016, nach einem verheerend schwachen August 2015.

Als Alibi für das enttäuschende Abschneiden muss bei H&M immer wieder das Wetter herhalten: Im November 2015 das „milde Wetter in Nordamerika und vielen Ländern in Europa“, im April 2016 der „kalte Frühling bis in den April“ und im September war ein „nicht der Jahreszeit entsprechendes warmes Wetter“ schuld. Philipp Prechtl von der Unternehmensberatung Wieselhuber in München mag diese Ausrede nicht akzeptieren: Schließlich sei H&M weltweit in mehr als 60 Ländern aktiv. „Da kann der Hauptgrund für das schwache Abschneiden nicht das Wetter sein.“

Ob Gerry Weber, Tom Tailor oder Hugo Boss. Es rumort in der Modebranche. Geschäfte werden geschlossen, Mitarbeiter entlassen. Doch Hennes & Mauritz expandiert. Ein Grund: Das Unternehmen ist mehr als nur H&M.
von Kathrin Witsch

Ist es auch nicht. Beim schwedischen Modeimperium sitzen die Probleme tiefer. H&M wollte am Ende zu viel zu schnell. Die Börse will Wachstum sehen, die Strategie, mehr auf Expansion statt auf Profit zu setzen, drückt jetzt Margen und Renditen.

Dagegen hilft offenbar nur Sparen: Vor knapp neun Monaten musste deshalb rund die Hälfte der 450 deutschen Filialleiter in den Büros ihrer zuständigen Gebietsleiter antanzen und darlegen, wie sie künftig die Personalkosten in ihren Läden zu drücken gedenken. Um die hohe Fluktuation in den Filialen einzudämmen, hatten die Chefs viele Verträge entfristet und Aushilfen fest eingestellt. So liefen die Fixkosten aus dem Ruder, während gleichzeitig die Umsätze schwächelten. Im Sommer 2015, so berichten Insider, sei zu viel Ware in die H&M-Läden gestopft worden – und liegen geblieben. Nur mit Preissenkungen in zweistelliger Millionenhöhe konnten die Fummel noch verkauft werden. Steigende Personalkosten, hohe Rabatte, schlechtes Warenmanagement, und das alles bei bestenfalls stagnierenden Umsätzen sind ein brandgefährlicher Mix.

Dabei war H&M über Jahrzehnte eine Geldmaschine. Stefan Persson, Sohn des Firmengründers Erling Persson, legt in den Achtzigerjahren den Grundstein für den Erfolg: Er erfindet das Prinzip der „Fast Fashion“, schnell wechselnde Kollektionen zu erschwinglichen Preisen. Kein anderer Wettbewerber reagiert so fix auf Modetrends. Und kein anderer verkauft Jeans, Leggings und Shirts ähnlich billig. In den späten Neunzigern steigen die Schweden zum größten Modehändler der Welt auf.

Alleinstellungsmerkmale gehören Vergangenheit an

Es gab Zeiten, in denen konnte man den In-Faktor einer Stadt daran ablesen, ob in der Fußgängerzone ein Laden mit dem roten H&M-Schriftzug zu finden war. Darin rangelten sich Mütter und Töchter um Tops, Parkas und Blusen, schleppten in großen weißen Plastiktüten mit dem roten Logo ihre Beute nach Hause. Mittlerweile aber beherrschen die Nachahmer die schnelldrehende Mode besser als der Erfinder: Zara ist aktueller und modischer; Primark, TK Maxx oder die deutsche Kette New Yorker sind billiger.

Schlichte Damen-Shirts etwa, die bei H&M schon schlanke 4,99 Euro kosten, gibt es bei Primark für 3 Euro, bei New Yorker für 2,95 Euro. Beim Preis chancenlos, gelingt es H&M aber nicht, mit höherwertigen oder modischeren Klamotten zu punkten. „H&M hat seine Alleinstellung verloren und ist durch neue Wettbewerber in eine preisliche und modische Sandwichposition geraten“, sagt Berater Prechtl. Die einstige Kultmarke ist zu einem langweiligen Textilhändler geworden.

Die Misere ist auch der Unternehmenskultur geschuldet. In den Chefetagen in Stockholm und den jeweiligen Ländergesellschaften arbeiten Manager, die dort ihr gesamtes Berufsleben absitzen. Impulse von außen? Selten. In den Filialen dagegen, in denen die meisten der knapp 150.000 H&M-Angestellten arbeiten, geht es zu wie im Taubenschlag. Ein deutscher H&M-Manager berichtet von einer Fluktuation, die um 20 Prozent liege. So tausche im Schnitt jede Filiale in fünf Jahren ihr gesamtes Personal aus, rechnet der Insider vor. „Filial- und Abteilungsleiter sind unentwegt damit beschäftigt, neue Mitarbeiter einzuarbeiten.“ Anstatt immer mehr Läden zu eröffnen, müsste H&M dringend die in die Jahre gekommenen Filialen modernisieren, kritisiert ein ehemaliger H&M-Filialleiter.

Doch die Liste der Probleme ist weitaus länger:

Die beliebtesten Textilhersteller

  • Expansion am Limit. 2015 öffnete jeden Tag ein neuer H&M-Laden. Im laufenden Geschäftsjahr soll die Zahl der Läden erneut um 400 auf weltweit mehr als 4100 steigen. Dabei ist die Sättigung in vielen Ländern längst erreicht, der Konzern kannibalisiert sich. In China etwa öffnete H&M in diesem Jahr knapp 50 neue Läden – trotzdem stagniert der Umsatz. „China als zentrale Quelle künftigen Wachstums wird nicht ausreichen“, sagt Martin Schulte, Partner und Modeexperte bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman in München. Der chinesische Markt habe fühlbar an Schwung verloren, der private Konsum sei in den vergangenen fünf Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. „Zusätzlich sind die Malls längst gefüllt mit jungen asiatischen Labels aus Südkorea, Japan oder China.“ Die Strategie der spanischen Inditex, die rasante Flächenexpansion etwas zu drosseln und das Onlinegeschäft zu verstärken, ist überzeugender.
  • Teure und langsame Beschaffung. Während Inditex, die Mutter von Zara und Massimo Dutti, binnen weniger Wochen neue Ware in die Regale bringt, benötigt H&M dafür Monate. Zudem belastet der Einkauf in Asien das Konzernergebnis. Dort wird in Dollar gezahlt. Weil der stark stieg, kletterten die Beschaffungskosten 2015 fast doppelt so schnell wie der Umsatz. Inditex hingegen verzichtet weitgehend auf Billigstproduktion aus Fernost und fertigt in Europa, Tunesien und Marokko. Oder gleich am Firmensitz im galizischen Arteixo. Inditex hat früh erkannt, wie wichtig schnelle und flexible Produktion ist. Restware und Preisreduzierungen sind daher bei Inditex beinahe Fremdworte – im Modehandel allgemein und bei H&M hingegen ein Dauerproblem.

Unternehmenswert schrumpft weiter

  • E-Commerce lahmt. „Der Start war langsam“, gab H&M-Chef Persson bei der Präsentation der Jahreszahlen zu. So warten Kundinnen bei H&M immer noch auf den Click&Collect-Service, der bei der Konkurrenz längst Standard ist: Ware bestellen und in den nächstgelegenen Laden liefern lassen. Und erst seit wenigen Tagen können sich H&M-Kunden mit einem Express-Lieferservice ihre Onlinebestellung schon am nächsten Tag liefern lassen, gegen Aufpreis und nur bei Order am Vormittag.
  • Halbherzige Mehrmarkenstrategie: Seit 2007 schickt H&M neue Ladenformate wie Cos, & Other Stories oder Monki ins Rennen. Mit bescheidenem Erfolg. Vom Marketingbudget in Höhe einer halben Milliarde Euro bekommen die Töchter wenig ab. Kaum jemand kennt sie, sie tragen kaum zehn Prozent zum Gesamtumsatz bei.
  • Unbewegliche Familie. Die Dominanz der Gründerfamilie, lange Zeit segensreich für das 1974 an die Börse gegangene Unternehmen, wird mehr und mehr zum Hemmschuh. Der 69-jährige Mehrheitseigner Stefan Persson leitet den Aufsichtsrat. Seinen 41-jährigen Sohn Karl-Johan Persson, einen in London ausgebildeten Ökonomen, machte er 2009 zum Vorstandschef. Vater und Sohn treffen alle wichtigen Entscheidungen. Insgesamt halten die Perssons knapp 40 Prozent der Aktien und 69 Prozent der Stimmrechte. Nach Ernennung zum H&M-Chef kündigte der Junior an, Veränderungen seien nicht zu erwarten. Das Geschäftsmodell bleibe „dasselbe wie immer“.

Die umsatzstärksten Modehändler der Welt

Dabei stehen schon jetzt wichtige Kennziffern auf Rot. Die Bruttomarge, also der Anteil vom Umsatz, der nach Abzug der Herstellungskosten übrig bleibt, sinkt seit 2010 von 63 auf 55 Prozent bis August 2016. Die operative Marge sackte im gleichen Zeitraum von 23 auf 12 Prozent. Noch alarmierender ist der Sinkflug der Flächenproduktivität, also der Umsatz je Quadratmeter Verkaufsfläche. Während bei der Zara-Mutter Inditex die Umsätze stabil bleiben, schrumpft der Wert bei H&M wie eine Socke im Kochwaschgang: von umgerechnet 5100 Euro (2007) auf 3700 Euro (2015). Damit liegt H&M heute 30 Prozent hinter den Spaniern.

Entsprechend pessimistisch reagiert die Börse. Der Kurs der Aktie ist auf dem Niveau von Mitte 2013 angekommen und hat in den vergangenen drei Jahren rund 20 Prozent an Wert verloren, während Inditex um 34 Prozent zulegte. Für institutionelle Investoren sei H&M „keine Destination mehr“, berichtet ein Berater, der asiatische Finanzinvestoren bei Investments in europäische Unternehmen unterstützt. Investoren staunten, dass nichts über Effizienzprogramme oder Strategiekorrekturen bei H&M bekannt werde. Tatsächlich dringt so gut wie nichts aus der Zentrale. H&M (Branchenspott: „Heimlich & Mächtig“) gibt sich verschlossen wie eh und je.

Auf Fragen der WirtschaftsWoche schweigt Stockholm. Nur die Niederlassung in Hamburg meldet sich, mit Leerformeln so blumig, wie von Kenzo entworfen: „H&M steht für Mode und Qualität zum besten Preis. Wir verfolgen das Ziel, jederzeit das beste Angebot für unsere Kunden zu bieten und die nachhaltigere Wahl zu sein.“ Da kann ja nichts mehr schiefgehen.

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