Historisches Niedrigwasser „Wenn der Pegel so bleibt, können keine Mineralölschiffe mehr fahren“

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„Die Binnenschifffahrt wird stiefmütterlich behandelt“

Auch Schiene und Straße sind überlastet. Können Sie bei Niedrigwasser überhaupt noch auf andere Verkehrswege ausweichen?
Für uns ist das eigentlich keine ungewöhnliche Situation. Es hat sich schon vor Wochen abgezeichnet, dass wir in eine Phase mit Niedrigwasser kommen. Dann fahren unsere Industriekunden ihre Bestände vorsorglich hoch. Aber nach nun bereits sechs Wochen anhaltendem Niedrigwasser sind bei ohnehin gestörten Lieferketten auch irgendwann die Grenzen der Binnenschifffahrt erreicht. Wir haben aktuell ohnehin schon knappe Kapazitäten in der Binnenschifffahrt auf dem Rhein, auch ohne Niedrigwasser.

Wo sind denn all die Kapazitäten in der Binnenschifffahrt hin?
Das sind verschiedene Sondereffekte. Die Ukrainekrise hat dazu geführt, dass 200.000 Tonnen an Schiffsraumkapazitäten vom Rhein an die Donau verlagert worden sind, um Agrarprodukte zu transportieren. Der Schiffsraum fehlt hier am Rhein im Moment. Wegen der Gaskrise transportiert die Branche außerdem deutlich mehr Steinkohle. Diese Steinkohle wird in der Regel mit Großraumschiffen transportiert, die in der Regel über feste Langzeitverträge an die Kraftwerke gebunden sind. Die Großraumschiffe stehen damit dem restlichen Markt nicht mehr zur Verfügung. Ein weiterer Sondereffekt ist der Fachkräftemangel in der Binnenschifffahrt, den auch wir haben. Die Coronapandemie ist noch nicht vorbei, und die Sommerwelle führt dazu, dass der Krankenstand nach oben geht. Dadurch verlieren wir natürlich auch Produktivität. Das alles führt zu einer Verknappung der Transportkapazitäten - bei noch fallenden Wasserständen.

BASF hat bereits Frachter bestellt, die für Niedrigwasser optimiert sind. Ist das die Lösung?
Wir haben im Niedrigwasserjahr 2018 die Entscheidung getroffen, dass wir einen gewissen Anteil an tiefgangoptimierten Schiffen für kritische Verkehre benötigen. Wir haben aktuell fünf beauftragt, davon sind bereits zwei in Betrieb, ein Gastankschiff und ein Chemietankschiff. Die „Gas 94“ ist das einzige Gastankschiff, das aktuell noch unterhalb von Kaub fahren kann. Heute Morgen haben wir 250 Tonnen für Ludwigshafen bei einem Kauber Pegel von 31 Zentimetern geladen.

Aber das sind nur zwei Schiffe. Bräuchten Sie nicht viel mehr Schiffe, die für Niedrigwasser optimiert sind?
Wenn der Pegel mal sechs Wochen am Stück auf diesem Niveau läge, dann würden wir auf dem Rhein kaum noch Mengen transportieren können. Aber das ist ein Extrem, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur in Extremen denken. Wenn wir in Kaub einen Pegelstand von durchschnittlich einem Meter haben, dann können wir mit unserer Flotte die Anforderungen der Industrie gut bedienen.

Der Mittelrhein sollte zwischen Budenheim bei Mainz und St. Goar schon lange vertieft werden – aber bisher ist nichts geschehen. Wie schlimm wiegt das Versäumnis?
Das ist sehr bedauerlich, das Projekt steht bereits im Masterplan Binnenschifffahrt. Hätte man das umgesetzt, hätten wir jetzt bei dem aktuellen Niedrigwasser eine deutlich entspanntere Situation.

Wie optimistisch sind sie, dass die Rheinvertiefung bald kommt? Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will den Etat für Wasserstraßen kommendes Jahr um 360 Millionen Euro kürzen.
Wenn es um Ausbau und Instandhaltung der Infrastruktur geht, wird die Binnenschifffahrt immer stiefmütterlich behandelt. Wenn die Bundespolitik die Autobahn ausbaut, hat das nicht nur positive Effekte für die Lastwagenverkehre, sondern auch für die Privatpersonen – also für die Wähler. An der Deutschen Bahn ist der Staat beteiligt. Da steht das System Wasserstraße am Ende der Prioritätenliste. Die Politik verkennt, welchen Stellenwert das System Wasserstraße für die Versorgung der Industrie hat. Das kann man aktuell sehr schön erkennen. Deshalb plädiere ich dafür, sich das gesamte System anzuschauen. Wir brauchen keinen Masterplan Binnenschifffahrt, auch keinen Masterplan Schiene – wir brauchen einen Masterplan Transport, der alle Verkehrsträger einbindet.

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Wie soll der aussehen?
Entscheidend dabei ist, dass die Politik versteht, dass Logistik ein zusammenhängendes Netzwerk ist. Ein plastisches Beispiel: Wenn die Deutsche Bahn ihre Trassen und Infrastruktur modernisiert, dann muss wegen der Baustellen häufig der Güterverkehr eingeschränkt werden. Und wohin sollen diese Güter dann verlagert werden? Die Binnenschifffahrt ist der einzige Verkehrsträger, der noch Mengen aufnehmen kann, während die Bahn und die Straße bereits an ihren Kapazitätsgrenzen operieren. Wenn wir schließlich aus der Kohle aussteigen, werden noch mehr Kapazitäten in der Binnenschifffahrt frei. Somit kann man Güter von der Schiene und Straße verlagern, um die Infrastruktur zu entlasten und Modernisierungsmaßnahmen durchzuführen. Die Logistik ist immer ein Zusammenspiel aller Verkehrsträger. Ein erfolgreicher Industriestandort ist auf eine funktionierende Logistik und Infrastruktur angewiesen, das macht uns als Industriestandort erfolgreich. Aber das ist vielleicht eher ein Thema für die Zeit nach der Niedrigwasserperiode 2022.

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