Praktiker bleibt sich treu - bis zum Ende: "Jetzt noch schnell Schnäppchen sichern. Alles muss raus", lässt die insolvente Handelskette ihre Kunden auf einer eigens eingerichteten Internet-Seite zum größten Ausverkauf in der deutschen Baumarktbranche wissen. Insgesamt 180 Praktiker-Filialen sollen bis Ende des Jahres vom Markt verschwinden und müssen vorher leerverkauft werden. Tausende Bohrmaschinen, Badewannen und Beschläge werden seit dem Wochenende verramscht. Ausgerechnet die Kette, die mit ihren "20 Prozent auf alles"-Aktionen und dem Werbeslogan "Hier spricht der Preis" zum Inbegriff für die Sparwut deutscher Konsumenten wurde, leitet nun ihre finale Rabattschlacht ein - mit gravierenden Folgen für die gesamte Branche.
Den Wettbewerbern drohen in den kommenden Monaten Umsatzeinbußen durch den Ausverkauf. Ohnehin halten schon Wetterkapriolen, der wachsende Druck von Online-Anbietern und der Markteintritt des britischen Kingfisher-Konzerns die Zunft in Atem. Hornbach konnte am Mittwoch immerhin melden, dass er in den Sommermonaten seine Einnahmeeinbußen des Frühjahrsgeschäfts teilweise wettgemacht hat. Das Betriebsergebnis blieb aber in der ersten Hälfte des Geschäftsjahres mit gut 138 Millionen Euro fast 10 Prozent hinter dem des Vorjahreszeitraums zurück. Der Konzerngewinn lag mit 86 Millionen knapp 10 Millionen Euro niedriger. Hornbach verhandelt derzeit auch über die Übernahme von Märkten seines insolventen früheren Konkurrenten Praktiker
Im Süden nimmt die genossenschaftliche Hagebau-Gruppe gerade Marktführer Obi in großem Stil Filialen ab. Und mittelfristig könnte der Verkauf der Praktiker-Schwestermarke Max Bahr den Markt durcheinanderwirbeln wie Laubbläser das herbstliche Blattwerk.
Die Verhandlungen um Max Bahr haben begonnen, zwei Kaufkandidaten prüfen die Bücher. Und schon beginnen die Planspiele. Sollte sich tatsächlich die saarländische Globus-Kette oder ein Konsortium um die Dortmunder Hellweg-Gruppe für den Kauf entscheiden - Globus hat bereits ein Angebot für Max Bahr abgegeben - könnte künftig ein neuer großer Anbieter den Schwergewichten Obi, Bauhaus und Hornbach Paroli bieten. Statt die erbitterten Preisschlachten der Praktiker-Ära weiterzuführen, dürfte der Aufsteiger versuchen, das etablierte Trio mit mehr Service und Beratung zu übertrumpfen.
Schneller trifft die Branche der Praktiker-Ausverkauf. Zwar findet sich bei den Baumarkt-Rivalen kaum ein Manager, der über das Ende des früheren Preisdominators nicht froh wäre. Doch gleichzeitig wächst die Sorge vor einem Schlecker-Effekt. Nach dem Aus der Drogeriekette starteten in den Läden Verkaufsaktionen mit hohen Rabatten. Auf dem Video-Portal YouTube sorgten fortan Schlecker-Kunden für Furore, die Klopapier und Flüssigseife in Mengen bunkerten, die bis zum Lebensabend reichen dürften. Der Umsatz vom dm, Rossmann und Co. sackte in den Wochen nach dem Schlussverkauf deutlich ab.
Ein ähnliches Szenario droht nun den Baumarktketten. "Durch den Schlussverkauf bei Praktiker kommt jetzt auf einen Schlag sehr viel Ware zu Niedrigpreisen auf den Markt", sagt Peter Wüst, Hauptgeschäftsführer des Baumarktverbandes BHB. "Es besteht die Gefahr, dass das auf die Umsätze der gesamten Branche durchschlägt."
Münchener Experimente
Denn anders als bei Drogeriewaren, die in der Regel nach ein paar Wochen aufgebraucht sind, könnte es deutlich länger dauern, bis sich Heimwerker erneut mit Hämmern, Sägen und Bohrmaschinen bevorraten müssen.
Langfristig wird sich "die Lage für die deutschen Baumarktbetreiber aber eher entspannen", erwartet Wüst und hofft künftig auf mehr Ruhe an der Preisfront. Steht der Branche jetzt also eine Ära friedlicher Koexistenz bevor? Im Gegenteil: Die Auseinandersetzung wird härter, erwarten andere Handelsexperten. Denn nicht nur um Max Bahr und die besten Standorte von Praktiker feilschen die Kontrahenten. Auch neue Konfliktzonen, die im Schatten der Praktiker-Krise bisher kaum registriert wurden, werden nun sichtbar.
So schwelt schon seit Längerem ein Streit zwischen dem Obi-Management und dem bisher wichtigsten Franchisenehmer der Baumarktkette, der Münchner Heimwerkermarkt Verwaltungs Gesellschaft (HEV). Was nach Lokalposse klingt, birgt Sprengkraft: Bis Ende des Jahres wechselt HEV mit mehr als 1400 Mitarbeitern von Obi zur Verbundgruppe Hagebau. Auf einen Schlag verliert der deutsche Marktführer damit mehr als 210 Millionen Euro Jahresumsatz und so gut wie alle bisherigen Standorte in München. Die ersten sieben Münchner Märkte werden bereits Anfang Oktober auf Hagebau umgeflaggt, im Dezember soll die zweite Welle starten.
Aus Sicht der Münchner war der Wechsel "unumgänglich". Sie fühlten sich von den Vorgaben der Obi-Spitze um Sergio Giroldi in ihrer unternehmerischen Freiheit eingeengt. Der Streit schaukelte sich hoch. "Wir hatten einen Katalog von Ideen, den Obi nicht bereit war zu verhandeln", sagt HEV-Geschäftsführer Burkhard von Fritsch. In der Folge seien von Obi die ersten Franchiseverträge gekündigt worden.
Statt einzuknicken sah sich HEV, die vier Münchner Familien gehört, nach Alternativen um und stieß auf reges Interesse. "Sie ahnen gar nicht, wer alles bereit ist, ein Franchisesystem einzuführen, wenn man die Hälfte des Münchner Marktes im Gepäck hat", sagt von Fritsch. Denn mit mehr als einem Dutzend Märkten ist HEV der unumstrittene Platzhirsch in der bayrischen Heimwerker-Kapitale. Die Wahl fiel auf Hagebau. Das entscheidende Argument: In der genossenschaftlich organisierten Verbundgruppe können Baumarktbetreiber im operativen Geschäft weitgehend nach eigenem Gusto walten.
Bedrohte Tierart
Auch für die Genossen lohnt sich der HEV-Deal. Bisher war Hagebau in München nur mit einem kleineren Standort vertreten. Nun steigt die Kette auf einen Schlag zum Marktführer auf - und zwar in ganz Bayern. Der freundliche Biber, das Werbemaskottchen von Obi, dürfte dagegen in der bayrischen Landeshauptstadt fortan zu den vom Aussterben bedrohten Tierarten gehören. Zudem würden viele Obi-Franchisepartner "den Wechsel von HEV sicherlich mit Interesse verfolgen", deutet Hagebau-Geschäftsführer Kai Kächelein an. Das Gros der Obi-Filialen wird allerdings zentral gesteuert, der Franchiseanteil soll bei unter 30 Prozent liegen.
Dass sich der deutsche Marktführer Obi mit dem Nischendasein in München abfinden wird, ist jedoch unwahrscheinlich. "Wir werden uns sehr, sehr aktiv um München kümmern", kündigt eine Sprecherin an. Drei neue Märkte seien in Planung.
Der Beginn einer extrem Marktveränderung
Doch auch den Managern in der Obi-Zentrale in Wermelskirchen bei Köln ist klar, dass in München wie in fast allen deutschen Großstädten nur wenige geeignete Flächen für neue XXL-Märkte mit mehr als 15.000 oder gar 20.000 Quadratmetern zur Verfügung stehen. In den Innenstädten werden entsprechende Neubauten von den Ämtern weder genehmigt noch sind die Flächen bezahlbar. Zugleich sind immer weniger Kunden bereit, eine Tagestour ins Umland auf sich zu nehmen, um einen neuen Rasentrimmer zu erstehen. So dürfte München für Obi nun zu einer Art Experimentierfeld werden.
Gepflegte Online-Abstinenz
International stünden "Konzepte für kleinere Innenstadtfilialen und die Verbindung mit Online-Angeboten" bereits auf der Agenda vieler Baumarktbetreiber, sagt Experte Niklas Reinecke vom Handelsinformationsdienst Planet Retail in Frankfurt. Ein hohes Tempo legt dabei der britische Kingfisher-Konzern mit seinem Screwfix getauften Format vor. In den mitten in Innenstädten gelegenen Screwfix-Filialen werden vor allem Kunden beraten und Bestellungen abgewickelt, nur ein Teil der Ware ist sofort verfügbar. Der Rest kann im Laden oder online geordert werden. 2012 öffneten 60 neue Screwfix-Filialen in Großbritannien, 50 weitere sind für 2013 geplant und auch in Deutschland soll das Konzept starten, zunächst mit vier Läden.
Für geeignet hält Kingfisher-Chef Ian Cheshire dafür Märkte aus dem Praktiker-Portfolio. "Wir werden Praktiker nicht kaufen, aber wir würden sehr gerne Filialen in Absprache mit den Vermietern übernehmen", sagt der Manager. Für die Expansion nimmt Cheshire sogar Ärger mit dem Hornbach-Konzern in Kauf, an dem Kingfisher als Großaktionär mit 25 Prozent beteiligt ist. Bei Hornbach ziehen die Briten nun ihre Vertreter aus den Aufsichtsgremien zurück.
Wann die deutschen Screwfix-Märkte starten, ist noch offen. Online-Bestellungen liefert der Kingfisher-Ableger aber bereits heute nach Deutschland aus.
Damit ist die britische Kette weiter als manch heimischer Anbieter. Selbst Bauhaus, die Nummer zwei in Deutschland, hat in Sachen E-Commerce bis dato nichts zu bieten, soll aber seit Monaten an einer Lösung werkeln. Auch die Rewe-Tochter toom übt sich in Online-Abstinenz. Das soll auch so bleiben: Die Einführung eines Online-Shops sei „kurzfristig nicht in Planung“, sagt eine toom-Sprecherin.
Derweil wildern Online-Anbieter munter weiter im Baumarktrevier. Ketten- sägen und Schwingschleifer gibt's bei dem Elektrohändler Redcoon. Amazon verkauft Rasenmäher. Und Buchhändler Weltbild hat längst auch Zangensets und Schnellspannzwingen im Programm. Statt den Baumärkten den Verkauf von Rigipsplatten und Stahlbeton streitig zu machen, ergänzten Online-Händler ihre Angebote schlicht um margenstarke Technikartikel und Werkzeuge. Und das ist erst der Anfang.
"Da kommt jetzt richtig Schwung rein", sagt Hagebau-Manager Kächelein. Anders als das Gros der Branche ist Hagebau über ein Gemeinschaftsunternehmen mit Otto seit 2007 im Online-Geschäft aktiv. Kächelein: "Wir stehen gerade erst am Beginn einer extremen Marktveränderung."