Hugo Boss, Gerry Weber und Co. Das sind die Probleme der deutschen Modeindustrie

Vom Expansionsstar zum Auslaufmodell und wieder zurück? Wie das Beispiel Abercrombie&Fitch zeigt, gelingt das selten. Die Chancen von Hugo Boss, Gerry Weber, Tom Tailor und Co., aus der Krise zu kommen.

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Die fünf wichtigsten Aktien der deutschen Modebranche

Die deutsche Modeindustrie steckt in einer tiefen Krise und im größten Umbau seit Jahrzehnten. Vordergründig schuld daran sind zu heiße Sommer, ausgefallene Winter und weniger Kunden in den Shops der Innenstädte. In Wahrheit sind die Probleme der über viele Jahre erfolgsverwöhnten Unternehmen wie Hugo Boss, Esprit, Gerry Weber, Tom Tailor und Ahlers aber vielfach hausgemacht.

Das jedenfalls zeigt der Erfolg des weltgrößten Modekonzerns Inditex aus Spanien (Zara, Massimo Dutti), des irischen Billigstanbieters Primark und des Berliner Onlinehändlers Zalando. Die Chancen, an alte Erfolgszeiten anzuknüpfen, sind so unterschiedlich wie die jeweiligen Ursachen der Probleme. Für die einstigen Vorzeigeunternehmen, die den Anschluss verpasst haben, steht viel auf dem Spiel. Denn bis heute gilt für gestrauchelte Modemarken in der Branche die Regel: They never come back. Labels wie Exstar Abercrombie&Fitch, inzwischen unbeliebteste Marke der USA und seit mehr als einem Dutzend Quartalen rückläufig im Umsatz, beweisen das gerade.

Hugo Boss, Metzingen

Der im MDax notierte Textilkonzern ist die weltweit bekannteste und mit 2,8 Milliarden Euro Umsatz größte deutsche Marke für Mode sowie Accessoires.

Die umsatzstärksten Modehändler der Welt

Problem: Der Konzern leidet unter der exzessiven Expansion, die Vorstandschef Claus-Dietrich Lahrs betrieb. Der frühere Dior-Manager, der vor wenigen Wochen seinen Hut nehmen musste, hatte die Zahl der eigenen Läden seit 2010 weltweit auf rund 1100 verdoppelt. Getrieben vom ehemaligen Großaktionär Permira, drückte er Boss in die Weltliga der Luxusmarken. Beide Strategien floppten, ebenso wie die Erweiterung auf die Damenkollektion, die auch nach 16 Jahren nur zehn Prozent des Konzernumsatzes bringt. Wegen der nachlassenden Nachfrage in China lässt sich die Luxusstrategie mit ihren überhöhten Preisen nicht mehr durchhalten. Hinzu kommen die Rabattschlachten in den USA. Erlöse und Erträge sinken.

Strategie: Noch ist kein Nachfolger für Lahrs gefunden, die neue Marschrichtung steht jedoch. An erster Stelle steht die Schließung eigener Läden, davon 20 in diesem Jahr in China, mindestens 20 weiteren unprofitablen Läden droht ebenfalls das Aus. Zweiter Schritt ist eine Preissenkung, in China in den vergangenen Wochen um 20 Prozent. Aktuell kostet ein Anzug, der in Deutschland für 500 Euro zu haben, in China noch immer umgerechnet rund 900 Euro. Mit Ingo Wilts von Tommy Hilfiger kommt zudem im Herbst ein neuer Kreativdirektor.

Schwächelnde Modehersteller

Prognose: Die Konzentration auf Herrenmode dürfte der richtige Weg sein. Zudem hat Boss einen starken Markenkern. „Bei Hugo Boss mache ich mir keine Sorgen, das kriegen die hin“, sagte der frühere Boss-Chef und heutige Marc-O’Polo-Aufsichtsrat Peter Littmann kürzlich.

Gewinneinbruch und Kursstürze

Gerry Weber, Halle/Westfalen

Der Bekleidungshersteller ist Marktführer in Deutschland bei Mode für Frauen um die 50. Mit der Modekette Hallhuber, die der SDax-Konzern Ende 2014 übernahm, konnte er bei jüngeren Kundinnen punkten.

Problem: Vorstandschef Ralf Weber muss ausbügeln, was Vater Gerhard in den letzten Jahren seiner Amtszeit verbockt hat. Im Übermaß hatte dieser eigene Läden eröffnet, bis die sich gegenseitig Kunden abjagten. Parallel dazu beging er den Fehler, die Händler zu vernachlässigen, die Gerry-Weber-Kleidung neben anderen Marken verkaufen. Das Design litt und kam bei vielen Kundinnen nicht mehr an. Der Umsatz stieg zwar dank der Hallhuber-Übernahme von 850 auf 920 Millionen Euro. Doch die Gewinne brachen zweistellig ein. Die Aktie, die Anfang 2015 noch bei rund 35 Euro notierte, stürzte auf 11 Euro und flog aus dem MDax.

Das sind Europas größte Modekonzerne
Platz 10: CalzedoniaDie Fachzeitschrift „TextilWirtschaft“ untersucht jedes Jahr die Umsätze der größten europäischen Bekleidungshersteller. Die Analyse zeigt: Der Markt steht vor großen Herausforderungen. Zwar konnten die meisten Konzerne wie zum Beispiel Calzedonia wachsen, doch die Krise in Russland und der Ukraine dürfte sich früher oder später in den Bilanzen niederschlagen.Umsatz 2013: 1,60 Milliarden EuroUmsatz 2014: 1,85 Milliarden EuroVeränderung: + 15,4 Prozent Quelle: imago images
Platz 9: Georgio Armani1975 gründete Georgio Armani das Modelabel Armani. Mittlerweile gehört der Konzern zu den Größten der Modebranche. Für Armani arbeiten rund 6500 Menschen. Neben Kleidungsstücken vertreibt Armani außerdem Home-Artikel und Parfüms. Seit 2002 verkauft der Konzern auch Konfiserie-Artikel sowie verschiedene Honig- und Marmeladensorten. Acht Jahre später entstand im Burj Khalifa in Dubai das erste Hotel im Armani-Stil.Umsatz 2013: 1,75 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,00 Milliarden EuroVeränderung: + 14,2 Prozent Quelle: REUTERS
Platz 8: EspritEhemals etablierte Marken sind zu teuren Restrukturierungen gezwungen. So muss sich Esprit auf die Ansprüche der Kunden im digitalen Zeitalter einstellen, heißt es in der Studie von „TextilWirtschaft“. Auch Gerry Weber ist davon betroffen. Darüber hinaus leiden die Modekonzerne auch unter dem starken Dollar, der die Beschaffung verteuert. Esprit trifft es besonders hart. Bei keinem anderen Modekonzern in den Top-20 ist der Umsatz derart stark geschmolzen.Umsatz 2013: 2,35 Milliarden Euro *Umsatz 2014: 2,10 Milliarden Euro**Veränderung: - 10,7 Prozent*Geschäftsjahr 2013/14**Geschäftsjahr 2014/2015 Quelle: REUTERS
Platz 7: KeringDas französisch-italienische Modeunternehmen Kering dürften nur den Wenigsten bekannt sein. Doch mit Labels wie Puma oder Gucci erreicht der Konzern ansehnlich Umsätze. 2014 konnte Kering seinen Umsatz um knapp zwölf Prozent erhöhen.Umsatz 2013: 2,13 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,38 Milliarden EuroVeränderung: + 11,6 Prozent Quelle: REUTERS
Platz 6: Hugo BossDie Edelmarke Hugo Boss ist das zweitgrößte Modeunternehmen Deutschlands. Gegründet wurde es 1924 in Metzingen durch Hugo Ferdinand Boss. Ursprünglich stellte Hugo Boss Berufskleidung her. Unrühmlich ist die Vergangenheit des Konzerns. Im Zweiten Weltkrieg stellte der Konzern die Uniformen für SA, SS und die Wehrmacht her. Dafür wurden unter anderem Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa eingesetzt. Erst nach dem Krieg und dem Tod des Gründers 1948 wurde Hugo Boss zum Modekonzern. Unter der Leitung von Hugo Ferdinand Boss' Schwiegersohn Eugen Holy begann das Unternehmen damit, Herrenanzüge herzustellen.Umsatz 2013: 2,43 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,57 Milliarden EuroVeränderung: + 5,8 Prozent Quelle: dpa
Platz 5: Tommy HilfigerModedesigner Tommy Hilfiger rief 1984 in New York sein eigenes Modelabel ins Leben. Dass der Konzern im Ranking europäischer Modekonzerne gelistet ist, hat er seinem Firmensitz zu verdanken. Tommy Hilfiger sitzt seit 1997 in Amsterdam. 13 Jahre später wurde das Unternehmen durch den US-Konzern Phillips-Van Heusen übernommen.Umsatz 2013: 2,56 Milliarden Euro*Umsatz 2014: 2,70 Milliarden Euro*Veränderung: + 5,3 Prozent*Geschäftsjahr 2013/14**Geschäftsjahr 2014/15 Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 4: Christian DiorDirekt nach dem Krieg gegründet, trug Christian Dior maßgeblich dazu bei, dass sich Paris als Modehauptstadt der Welt etablieren konnte. Insgesamt beschäftigt das Unternehmenskonglomerat über 100.000 Mitarbeiter. Für die Modesparte von Dior arbeiten knapp 3600 Menschen.Umsatz 2013: 2,26 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,70 Milliarden EuroVeränderung: + 19,6 Prozent Quelle: dpa

Strategie: Ralf Weber, der Anfang 2015 die Firmenleitung von seinem Vater übernahm, räumt die Fehler ein: „Wir haben unser Filialnetz zu schnell ausgebaut, unsere Organisation ist zu komplex.“ Deshalb schließt er rund 100 Filialen und verkleinert die Verwaltung. Insgesamt wird das Umbauprogramm 460 Stellen in den Läden, 200 in der Zentrale in Halle in Westfalen und 50 Jobs im Ausland kosten. So sollen jährlich 20 bis 25 Millionen Euro eingespart werden. Das neue Logistikzentrum soll 20 bis 25 Prozent Vertriebskosten sparen, bei aktuellen Stückzahlen wären das acht bis zehn Millionen Euro jährlich. Neue Designer sollen die Kollektion modischer machen.

Prognose: Die Marke hat noch einen guten Ruf. Allerdings müssen jüngere Kundinnen nachwachsen, und zwar nicht nur mithilfe von Hallhuber, sondern auch bei Gerry Weber selbst.

Tom Tailor, Hamburg

Das Modeunternehmen ging 2010 an die Börse. 2012 übernahm Tom Tailor die Damenmodekette Bonita. Zwei Jahre später stieg die chinesische Fosun-Gruppe ein, sie hält jetzt 29,5 Prozent.

Problem: Gewinnwarnung, Kurssturz, Abstieg aus dem SDax – 2015 war für die Hamburger eine Katastrophe. Dabei war 2014 das erfolgreichste Geschäftsjahr der Firmengeschichte. Und so hatte das Management zu stark aufs Tempo gedrückt und weit über 100 neue Läden eröffnet. Doch dann gab es Probleme mit der Marke Bonita für Damen über 40, bei der Kundinnen Design und Qualität bemängelten. Hinzu kamen Anlaufprobleme bei einem neuen Logistiklager. Dadurch konnte die Gruppe nur eingeschränkt liefern. „Das hat uns mit rund sieben Millionen Euro belastet“, sagte Finanzvorstand Axel Rebien, der Ende Juni abgelöst wird. Während der Umsatz 2015 von 932 auf 956 Millionen Euro zulegte, brach der Gewinn regelrecht weg – von elf Millionen Euro im Vorjahr auf verschwindende 100.000 Euro.

Das sind Deutschlands größte Outlet-Center
Outlet in Bad Münstereifel Quelle: Screenshot
Designer Outlet Center in Soltau Quelle: Screenshot
Outlet-Center in Sandersdorf-Brehna Quelle: dpa
„Fashion Outlet“ in Montabaur Quelle: Fashion Outlet Montabaur
„Factory-Outlet“ in Ochtrup Quelle: Screenshot
 Outlet „Wertheim Village“ Quelle: Wertheim Village
„Designer Outlets“ in Wolfsburg Quelle: Designer Outlets Wolfsburg

Strategie: Bis 2018 hat sich Tom Tailor ein weitreichendes Umbauprogramm vorgenommen. Zum einen sollen die Sachkosten gedrückt werden, etwa bei Mieten und in der Logistik, zum anderen Stellen gestrichen werden. Dabei fallen zunächst 100 der insgesamt 7000 Jobs im In- und Ausland weg. Die Schließung von 73 Filialen (59 Bonita, 14 Tom Tailor) sei ausgemacht, heißt es, weitere würden in den kommenden Jahren folgen. Das soll Einsparungen von 20 Millionen Euro bringen. Gleichzeitig gibt es Einschnitte bei den Kollektionen. Eine erst kürzlich lancierte, extrem modische Männerlinie sowie die Sportswear-Marke Polo Team werden eingestellt. Im Vertrieb beschleunigen die Hamburger den Ausbau des Onlineangebotes. So ist Tom Tailor gerade über den chinesischen Onlineriesen JD.com mit einem Shop in China gestartet und hat die Zusammenarbeit mit Zalando erweitert. Mit zwei ehemaligen Gerry-Weber-Managern soll Bonita modischer gemacht und die Artikelzahl verringert werden.

Prognose: Das mittelpreisige Modesegment bleibt hart umkämpft. Einstellung von Teilkollektionen und Schließung von Läden öffnen Kapazitäten für das Kerngeschäft. Analysten von GSC Research rechnen damit, dass die Maßnahmen 2017 Wirkung zeigen.

Missmanagement auf der ganzen Linie

Esprit, Hongkong/Düsseldorf

Der an der Hongkonger Börse notierte Textilkonzern mit Zentrale in Ratingen bei Düsseldorf versucht, mit Damen-, Herren- und Kindermode sowie Schuhen, Wäsche und Schmuck in alle Winkel des Modemarkts zu dringen.

Problem: Esprit ächzt unter Missmanagement auf der ganzen Linie. Dazu zählen jahrelang Fehlentscheidungen bei Kollektionen, dazu maue Qualität bei zu hohen Preisen, ein aufgeblasenes Netz eigener Läden und schwächelnde Umsätze bei Großabnehmern wie Kaufhof oder P&C. Das ließ den Umsatz in fünf Jahren um gut ein Drittel auf 2,2 Milliarden Euro zurückgehen. Die Aktie hat nur noch ein Zwanzigstel ihres Wertes aus dem Jahr 2007.

Strategie: Seit drei Jahren versucht José Martinez, ein ehemaliger Manager des spanischen Moderiesen Inditex, die Totalsanierung. Esprit muss künftig mit weniger Lieferanten auskommen, statt 352 sollen es nur noch 226 sein. Geringere Kosten erhofft sich Martinez durch eine Reduzierung der Läden von 1100 bei seinem Amtsantritt auf inzwischen weniger als 900. Durch Stellenstreichungen sind von 10 700 nur noch gut 9000 Mitarbeiter im Unternehmen. Auch die Produktpalette ist deutlich spärlicher. Martinez hat das Angebot radikal beschnitten: Seit Februar bringt Esprit statt zwölf nur noch vier Kollektionen pro Jahr in die Läden, für jede Jahreszeit eine. Zudem hat jede Kollektion 40 Prozent weniger einzelne Teile.

Prognose: Dem Ex-Inditex-Manager ist die Wende nicht gelungen. Sowohl in Deutschland als auch in Europa, den USA und Asien sanken die Erlöse in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres. Das mittlere Preissegment, in dem das Label rangiert, ist extrem umkämpft. Esprit droht zur Marke zu werden, die irgendwann niemand mehr sucht.

Ahlers, Herford

Ahlers wird in dritter Generation von Stella Ahlers geführt, der Enkelin des Firmengründers Adolf Ahlers, und ist seit 1987 börsennotiert. Zum Unternehmen gehören die Herrenmarken Baldessarini, Otto Kern, Pierre Cardin und Pioneer.

Problem: Den Westfalen verhagelten vor allem der Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftskrise in Russland 2015 das Geschäft. Zudem bekam Ahlers die erfolglose Freizeitmarke Gin Tonic nicht hoch. Zwei Prozent Umsatz gingen verloren, weil ein großer Händler weniger Kleidung orderte, die Ahlers für ihn als Eigenmarke produziert. Alles zusammen drückte den Umsatz um sechs Prozent auf 242 Millionen Euro und den Jahresüberschuss von 6,0 auf 1,4 Millionen Euro. Die Aktie verlor in den vergangenen zwölf Monaten rund 30 Prozent.

Strategie: Ahlers macht Schluss mit Gin Tonic, im Sommer wird die letzte Kollektion ausgeliefert. Auch die Produktion von Kleidung unter anderen Namen wird reduziert. Das dürfte Ahlers zwar drei Prozent des Konzernerlöses kosten, wegen der schwachen Margen aber das Ergebnis verbessern. Im Spätsommer soll die französische Lizenzmarke Pierre Cardin einen eigenen Onlineshop erhalten. Zudem will Ahlers mit Pierre Cardin die Expansion in Frankreich, Belgien, Spanien und Polen forcieren.

Prognose: Die Genesungsaussichten sind dank der soliden Aufstellung gut. Die geringe Zahl eigener Läden belastet die Fixkosten weniger als bei Boss oder Esprit. Normalisiert sich das Geschäft in Osteuropa, kann Ahlers zu alter Stärke zurückfinden.

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