Ikea vermietet Möbel „Händler sollten viel mutiger sein“

Ikea-Kunden Quelle: REUTERS

Ikea vermietet nun Tische und Stühle im Abomodell. Warum macht der Möbel-Marktführer das – und kann sich das überhaupt rechnen? Handelsexpertin Eva Stüber gibt Antworten.

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Der schwedische Möbelgigant Ikea (Umsatz: 37 Milliarden Euro) testet ab dieser Woche ein neues Geschäftsmodell: Möbel zur Miete. Der Testlauf beschränkt sich zunächst nur auf die Schweiz und ist dort erst einmal nur für Firmen möglich; später soll das Konzept in den Niederlanden auch mit Studierenden getestet werden. In der Schweiz verleiht Ikea nicht einzelne Möbelstücke, sondern ganze Pakete, Komplettausstattungen für Büros und Sitzungszimmer. Für Sitzungszimmer etwa bieten die Schweden 18 verschiedene Pakete an. Die Mindestlaufzeit des Möbel-Abos beträgt zwölf Monate, Möbellieferung sowie Auf- und Abbau übernimmt Ikea. Zurückgenommene Möbel will Ikea über sein Programm „Second Life“ weiterverkaufen.
Interview mit Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsführung des Kölner Handelsforschungsinstituts IFH Köln.

Frau Stüber, Ikea vermietet nun seine Möbel. Die aber haben nicht den Ruf, besonders langlebig zu sein und mehr als zwei Umzüge zu überleben. Was soll sinnvoll daran sein, diese Möbel zu verleihen?
Wir erleben zurzeit eine Phase des Umbruchs, ausgelöst durch die Digitalisierung: Bequemlichkeit, Flexibilität und aber auch Nachhaltigkeit prägen unsere Gegenwart. So muss auch ein Platzhirsch wie Ikea schauen, wie er seine Relevanz am Markt halten kann. Weg vom Produkt, hin zum Servicegedanken – das ist der richtige Weg, um in Zukunft die Position auszubauen. So ist insgesamt zu beobachten: Dinge zu mieten, bekommt eine neue Relevanz. Der Besitz von Statussymbolen verliert an Bedeutung. Die Nutzung steht im Vordergrund – woraus eine neue Flexibilität erwächst. Wer Marktführer bleiben möchte, muss auch in diesem Bereich etwas wagen.

Zu Beginn hat Ikea das Konzept in der Schweiz auf Firmen begrenzt, in den Niederlanden sind Studierende die Testkunden. Halten Sie das für sinnvoll?
Es ist auf jeden Fall sinnvoll, auf Testmärkten unter kontrollierbaren Bedingungen, Erfahrungen zu sammeln. Nur so können die relevanten Parameter und Rahmenbedingungen für die Vermietung von Möbeln evaluiert werden. Händler sollten generell viel mutiger sein und Konzepte testweise erproben. Es ist insofern positiv hervorzuheben, dass Ikea hierbei etwas Neues wagt.

Worin bestehen die Herausforderungen, sollte Ikea das Geschäftsmodell in naher Zukunft uneingeschränkt anwenden?
Viele – daher ist die testweise Erprobung der zielführende Weg. Allein der Endkonsumentenmarkt ist sehr heterogen und damit kompliziert im Handling: Unterschiedliche Zielgruppen bringen unterschiedlichen Anforderungen mit sich. Auch auf Sortimentsseite treten verschiedene Herausforderungen auf: Garantien zu prüfen, Gebrauchsspuren und so weiter. Erfahrungen und auch neuartige Services sind daher gefragt, um das Angebot flächendeckend am Markt zu offerieren.

Wer das günstigste Paket im Wert von 854 Euro für die Mindestlaufzeit von zwölf Monaten ausleiht, zahlt 63 Euro Möbelmiete im Monat, also insgesamt 756 Euro – ist das nicht ein Verlustgeschäft für Ikea, das ja auch noch die Kosten für Lieferung, Auf- und Abbau übernimmt?
Im klassischen Handelsdenken funktioniert diese Rechnung nicht – der Fokus liegt hierbei auf Produktmargen. In der aufkommenden Plattformökonomie aber schon: Es geht im Kern nicht um Margen aus dem Vermietungsgeschäft, sondern darum, Relevanz für den Kunden zu schaffen, Kunden zu gewinnen und sie ohne Zwang zu binden – hiervon profitieren Unternehmen langfristig. Das klassische Amazon-Denken: Kunden werden beispielsweise über Amazon Prime ins Ökosystem geführt. Für 69 Euro im Jahr bekommen Kunden nicht nur Versandkostenvorteile, sondern riesiges Entertainment-Angebot. Das funktioniert nur mit Mehrwert-Vermittlung.

Durch das Möbel-Vermieten soll Müll vermieden werden. Wie realistisch ist es denn überhaupt, dass Möbel mehr als einmal verliehen werden, bevor sie als Gebrauchtware verkauft werden? Ist das Verleihen von Möbeln wirklich so nachhaltig?
Dies kommt sicherlich auf die jeweiligen Möbelstücke und Mietphase an. Um diese entscheidende Frage zu beantworten, ist die Testphase aber auf jeden Fall zielführend. Was wäre überhaupt der Gegenentwurf? Wir haben eine Entwicklung hin zu einer Flexibilisierung der Arbeit mit mehr Home-Office; Start-ups benötigen neue Formen der Ausstattung. Ist es da nicht besser, Produkte in Zyklen zurückzuführen, als jedes Mal wieder einen Kauf zu tätigen?

Braucht Ikea neue Wachstumsmärkte, weil das Wachstum auf herkömmlichen Pfaden ein Ende hat?
Jedes Unternehmen braucht das. Wir leben in einer amazonisierten Welt. Unternehmen, die langfristig bestehen wollen, brauchen neue Märkte. Ikea hat hierbei Vorteile, weil es über eine starke Marke und über eigens hergestellte Produkte verfügt.

Es gibt bereits vergleichbare Geschäftsmodelle: Otto vermietet seit rund einem halben Jahr Babybetten und Wickelkommoden. Auch die Start-ups Roomovo, Readymade (nur in Köln, Bonn und Düsseldorf) und Lyght Living (nur innerhalb Berlins) vermieten Möbel. Trauen Sie Ikea zu, mit seiner Prominenz das Geschäftsmodell nun allgemein populärer machen zu können?
Auch hierbei bedingen sich Angebot und Nachfrage, es gilt schlicht anzufangen wie in anderen Branchen: Waschmaschinen sind zu mieten – wenn Praktikanten beispielsweise für sechs Monate in der Stadt sind, Handtaschen für eine spezielle Veranstaltungen, Bohrmaschinen, Autos, Elektroroller, … Dieses Thema ist in ganz vielen Bereichen relevant. Und auch dank der „Fridays for future“-Bewegung wird sich das Konsumverhalten konsequent weiterverändern – ohne Möglichkeit des Zurück. Natürlich geht dies nicht von heute auf morgen, aber das Potenzial von Mietobjekten ist immens.

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