"In hohem Maße unseriös" Wurst-Unternehmer attackiert Kartellamts-Chef

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Kartellabsprache gegen den Handel

Aber die Edeka wurde zu keiner Strafe verdonnert. Warum eigentlich nicht?

Mundt: Weil kartellrechtlich definiert werden muss, wo die beinharte Verhandlung endet und verbotenes Verhalten beginnt.

Stimmt es denn, wie Herr Reinert sagt, dass der Verbraucher beim Wurstkartell tatsächlich keinen Schaden gehabt hat?

Mundt: Wir beschreiben im Bußgeldbescheid nur, auf welche Art und Weise die Preissetzung gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel beeinflusst wurde. Wir sagen nichts zum Schaden für den Verbraucher, weil dieser nicht Gegenstand des Kartellvorwurfs ist. Wir wissen nicht auf den Cent genau, welche Preiserhöhungen schließlich auch an die Endkunden weitergegeben wurden.

Reinert: Bei mir steht auf Seite 297 des Bescheids: „Verbraucherpreise konnten aufgrund der Marktmacht des Lebensmittelhandels nicht abgesprochen werden.“

Mundt: Selbstverständlich. Sie verkaufen ihre Produkte ja auch nicht direkt an den Verbraucher. Die Beeinflussung der Endverbraucherpreise ist bei sehr vielen Kartellen mittelbar, da diese Preise der Handel setzt. Wir haben nicht untersucht, inwieweit die Preissteigerungen durchgereicht wurden. Die Kartellabsprache richtete sich gegen den Handel.

Reinert: Die Endkundenpreise für Wurst sind in dem Zeitraum, in dem uns das Kartell vorgeworfen wird, nicht so stark gestiegen wie die Preise für unverarbeitetes Fleisch. Daran sieht man, dass rohstoffbedingte Preissteigerungen überhaupt nicht möglich waren. Der Verbraucher hat also auf keinen Fall einen Schaden erlitten.

Die spektakulärsten Kartellfälle
Verdacht verbotener Preisabsprachen im Großhandel mit Pflanzenschutzmitteln Quelle: dpa
Jemand fährt Fahrrad auf einem gepflasterten Weg Quelle: dpa/dpaweb
Magna Quelle: AP
Anna Kurnikova Quelle: dpa
U-Bahn Quelle: AP
Schriftzug von Villeroy und Boch Quelle: dpa
Bratwürste Quelle: dpa

Herr Mundt, wie gehen Sie damit um, wenn Beschuldigte wie Herr Reinert jede Schuld von sich weisen?

Mundt: Wenn wir ein Kartell aufdecken, sind wir mit den unterschiedlichsten Argumentationen konfrontiert. Das reicht von „wir waren nicht dabei“ über „das Kartell hat keine Effekte“ bis zu „die Bußgelder sind unverhältnismäßig“. Wir haben fünf Jahre ermittelt, sehr akribisch, nicht anders als eine Staatsanwaltschaft. Es hat Durchsuchungen gegeben, Zeugen mit eindeutigen, belastbaren, detaillierten, glaubhaften Einlassungen. Es hat Notizen, E-Mails gegeben. Elf Unternehmen haben mit uns kooperiert und letzten Endes die Tat eingeräumt. Das alles fügt sich ineinander und erzeugt für uns ein klares Bild.

Reinert: Die Handhabung der Kronzeugenregelung kommt mir in hohem Maße unseriös vor. Da taucht auf einmal ein Kronzeuge auf, ein paar Wochen vor Abschluss der Ermittlungen, der sich plötzlich an eine Taxifahrt erinnert und daraus von einem Anwalt ein 20-Seiten-Pamphlet verfassen lässt, um ein anderes Unternehmen noch zu belasten und für sich selber einen Bußgeldnachlass zu ergattern. Das sind Verwerfungen im Kartellrecht.

Mundt: Auch einem kooperierenden Unternehmen fühlen wir wie eine Staatsanwaltschaft auf den Zahn. Und Herr Reinert, Sie dürfen nicht vergessen: Auch ein solches Unternehmen setzt sich selbst in hohem Maße der Gefahr aus, dass es mit hohen zivilrechtlichen Geldforderungen belangt wird. Denn es belastet sich mit seinen Aussagen selbst, und Geschädigte können mit diesen Aussagen Schadensersatzforderungen begründen.

Reinert: Kronzeuge Nummer eins war ein Unternehmen in Versmold, wo auch wir unsern Sitz haben. Eine Woche nach Beginn der Kartellermittlungen stand in der Zeitung, Nölke wolle eine große Rohwurstproduktion aufbauen – und das, obwohl es in diesem kleinen Ort mit Stockmeyer und uns schon zwei Spezialisten auf diesem Gebiet gibt. Das war für uns ein Schlag ins Gesicht. Hier fährt jemand eine klare Strategie, um uns mittels des Kartellrechts aus dem Wettbewerb zu drängen und eine Branche neu zu sortieren. Nölke selber geht ja ganz oder weitgehend straffrei aus.

Mundt: Sie werden verstehen, dass ich an dieser Stelle keine Details aus unseren Ermittlungen verbreiten kann. Aber nochmals, elf Unternehmen haben mit uns kooperiert und sich selbst und andere eindeutig belastet.

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