"In hohem Maße unseriös" Wurst-Unternehmer attackiert Kartellamts-Chef

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"Natürlich reden wir über Marktgeschehnisse"

Herr Reinert, waren Sie zu unvorsichtig im Umgang mit Konkurrenten, der Ihnen jetzt zum Verhängnis wurde?

Reinert: Im Nachhinein kommt einem so ein Gedanke. Aber wenn ich mich frage: Hast du irgendetwas getan, was preismanipulierend war? Dann sage ich: Nein. Grundsätzlich stellt sich die Frage, was darf ich als Unternehmer eigentlich? Mit wem darf ich sprechen? Mit wem Taxi fahren? Oder Tennis spielen? Ist Verbandsarbeit überhaupt noch möglich? Wir können doch dort nicht nur übers Wetter oder über Fußballergebnisse sprechen. Natürlich reden wir über Marktgeschehnisse. Glauben Sie, die Bosse der Autohersteller, die jüngst mit Kanzlerin Merkel nach China geflogen sind, hätten nur über Menschenrechte oder über den Smog in Peking gesprochen? Ist das schon verbotene sogenannte „Tuchfühlung“ unter Wettbewerbern? Das kann ja nicht sein! Absprachen bedeuten, dass etwas gemeinschaftlich vereinbart wird, mit dem Wunsch, etwas durchzusetzen. Sonst ist es doch nur eine Idee.

Mundt: Herr Reinert, in Ihrem Fall wurde aus der Idee eine klassische Kartellabsprache.

Reinert: Ob wir zu Aldi gehen und eine Preiserhöhung fordern, interessiert die doch überhaupt nicht! Wir sind ein B- oder C-Lieferant. Sie selbst haben das in den Bußgeldbescheiden so vermerkt. Es gibt nur ein paar Lieferanten, die ein sehr gutes Verhältnis zu Aldi hatten in dieser Periode, um die es geht, und wir waren nicht dabei. Deshalb akzeptiere ich die Strafe nicht. Ich bin kein Kartellbruder. Wir werden gegen den Bescheid klagen.

Wäre ein Ende mit Schrecken nicht vernünftiger als ein juristischer Marathon?

Reinert: Man muss da sicher gute Nerven und Durchhaltevermögen haben. Ich gehe davon aus, dass unsere Argumentation stichhaltig ist, und möchte wissen, was ein unparteiisches Gericht dazu sagt. Ich ziehe das jetzt durch. Die Zeugen müssen vor Gericht in meiner Anwesenheit sagen, wie sie die Situationen damals erlebt haben. Warum soll ich den Kopf in den Sand stecken? Ich habe vor, dieses 83 Jahre alte Unternehmen an die vierte Generation weiterzugeben – und zwar sauber und ohne Schmach. Mein Sohn steht schon in den Startlöchern.

Herr Mundt, immer mehr Unternehmen widersprechen Ihren Bußgeldbescheiden, in diesem neuen Fall allein könnten es zehn sein. Irritiert Sie das?

Mundt: Es wird mehr geklagt, aber wir haben eine gute Erfolgsquote vor Gericht. Unsere Bescheide sind gerichtsfest. Wenn Unternehmen Einspruch einlegen, müssen wir damit vor das Oberlandesgericht (OLG) nach Düsseldorf. Jeder Zeuge wird dort noch mal gehört, jedes Dokument noch mal verlesen. Wir ermitteln gründlich und wollen keine Bauchlandung erleben.

Herr Reinert, welche Chancen rechnen Sie sich vor Gericht aus? Die Beweislage scheint doch erdrückend.

Reinert: Aber sie berücksichtigt zu wenig die Machtverhältnisse im Markt. Wir haben in unserer mittelständisch geprägten Branche rund 300 Wettbewerber, die jeweils mehr als fünf Millionen Umsatz machen. Dem gegenüber stehen die vier Handelskonzerne Edeka, Rewe, Aldi und Lidl/Kaufland, die 85 Prozent Nachfragemacht auf sich vereinen. Da kann sich jeder vorstellen, dass wir keinen Handlungsspielraum für die Festsetzung von Preisen haben. Zudem stellt der Handel in Deutschland fast ein Drittel der Fleischmengen in eigenen Werken her. Die Händler haben also eine vortreffliche Preistransparenz. Die wissen selbst ganz genau, ob es eine Verteuerung bei den Rohstoffen gibt. Zudem, und das hat das Kartellamt sogar explizit festgestellt, hat der Verbraucher zu keinem Zeitpunkt einen Schaden, sprich einen durch das Kartell höheren Verkaufspreis bezahlen müssen. Da bewegt sich die Behörde auf ziemlich dünnem Eis.

Mundt: Diese schwierige Position als mittelständisches Unternehmen haben wir bei der Bemessung der Bußgelder berücksichtigt. Von der gesamten Bußgeldsumme in Höhe von 338 Millionen entfallen allein 84 Prozent auf sechs Wurstproduzenten hinter denen große, milliardenschwere Konzerne stehen.

Also ist die oft geäußerte Mittelstandsfeindlichkeit des Kartellamtes nichts als eine böse Unterstellung?

Mundt: Der Mittelstand kann seine Probleme im Wettbewerb nicht durch Selbstjustiz bekämpfen. Wir können nicht sehenden Auges Preiskartelle zulassen. Wir sind aber nicht mittelstandsfeindlich. Die Nachfragemacht des Handels ist derzeit Gegenstand einer umfassenden Sektoruntersuchung. Wir haben Edeka vor wenigen Wochen klargemacht, dass die sogenannten Hochzeitsrabatte, die zur Übernahme des Discounters Plus 2009 von Lieferanten gefordert wurden, missbräuchlich waren. Damit haben wir den Mittelstand gestärkt.

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