Inflation und Krieg Eiszeit im Einzelhandel

Passanten gehen an einem Modegeschäft am Hackeschen Markt in Berlin vorbei. Quelle: dpa

Für Juni verzeichnet das Statistische Bundesamt den größten Umsatzeinbruch seit 1994 für den deutschen Einzelhandel. Die Inflation ist Gift für die Shoppinglaune der Verbraucher. Doch nicht alle Läden leiden.  

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Es ist der perfekte Sturm für Deutschlands Einzelhändler: Hohe Inflationsraten, die Unsicherheiten in Folge des Ukraine-Kriegs und die Langzeitwirkungen der Corona-Krise haben die Einkaufsstimmung der deutschen Verbraucher in den vergangenen Wochen auf neue Tiefststände gedrückt. „Seit Beginn der Erhebung der Verbraucherstimmung für Gesamtdeutschland im Jahr 1991 wurde kein schlechterer Wert gemessen“, teilte das Nürnberger Konsumforschungsunternehmen GfK erst vor wenigen Tagen mit.

Selbst in den Lockdown-Phasen der Coronapandemie war die Stimmung besser. In normalen Zeiten bewegt sich die Kurve der Konsumstimmung stabil um einen Wert von 10. Im ersten Corona-Lockdown fiel sie auf einen Tiefpunkt von etwa minus 24. Für August prognostiziert GfK einen Wert von minus 30,6. Die gedämpfte Shoppinglust schlägt inzwischen auch auf die Bilanzen von Lebensmittelhändlern, Modegeschäften und Onlineversendern durch.

So haben die deutschen Einzelhändler nach Daten des Statistischen Bundesamtes im Juni den stärksten Umsatzeinbruch seit 28 Jahren erlebt. Ihre Einnahmen fielen im Juni inflationsbereinigt (real) um 8,8 Prozent niedriger aus als im Vorjahresmonat, teilten die Bundesstatistiker mit. „Das ist der größte Rückgang zum Vorjahresmonat seit Beginn der Zeitreihe 1994“, hieß es. Nominal – also nicht preisbereinigt – nahm der Umsatz um 0,8 Prozent ab. „Die Differenz zwischen den nominalen und realen Ergebnissen spiegelt die hohen Preissteigerungen im Einzelhandel wider, die das Konsumklima spürbar beeinträchtigen“, erklärten die Statistiker.

Das umsatzstärkste Segment – der Einzelhandel mit Lebensmitteln – fiel im Vergleich zum Juni 2021 um 7,2 Prozent. Damit liegt der Umsatz im Lebensmittelhandel in konstanten Preisen „auf dem tiefsten Stand seit Juni 2016“, so das Statistische Bundesamt. Der Rückgang dürfte zwar vor allem den gestiegenen Preisen für Lebensmittel geschuldet sein (+11,9 Prozent zum Vorjahresmonat). Allerdings erlebte die Branche in den vergangenen beiden Jahren auch eine coronabedingte Sonderkonjunktur. Statt Restaurants zu besuchen oder in Urlaub zu fahren, blieben viele Menschen zu Hause und kauften entsprechend mehr Lebensmittel ein. In diesem Jahr ist die Entwicklung gekippt – die Umsätze in der Gastronomie steigen wieder und mehr Menschen machen Urlaub im Ausland. Das verstärkt den Abwärtstrend im deutschen Lebensmittelhandel.

Fällt Weihnachten für den Handel aus?

Ein entgegengesetzter Effekt sollte eigentlich im corona-geplagten Modehandel zu beobachten sein. Bis Mai legte der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren tatsächlich deutlich zu. Im vergangenen Monat wurde die Post-Corona-Aufholjagd allerdings ausgebremst. Die Branche verbuchte ein deutliches Minus von 5,4 Prozent zum Vormonat und von 10,1 Prozent zum Vorjahresmonat und liegt noch immer rund 13,6 Prozent unter dem Umsatzniveau vor der Coronapandemie.



Auch der seit Jahren boomende Internet- und Versandhandel ist mit einem Minus von rund 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat regelrecht eingebrochen. Im Vergleich zum Juni 2019 liegt der Umsatz zwar noch 22,3 Prozent über dem Level vor der Coronapandemie. Doch der Puffer wird kleiner. „So normal der E-Commerce für die Menschen geworden ist, so wenig kann er sich der weitreichenden Störung des Konsumklimas, wenn nicht der Gesamtwirtschaft, entziehen“, hatte Martin Groß-Albenhausen, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) schon Anfang Juli erklärt. „Die Deutschen schränken sich angesichts steigender Lebenshaltungs- und Energiekosten bei nicht benötigten Waren oder Dienstleistungen deutlich ein“, so Groß-Albenhausen. Hinzu kamen zuletzt oft Lieferschwierigkeiten.

Daran dürfte sich in den kommenden Wochen wenig ändern. Im Gegenteil: Spätestens im Herbst drohen vielen Verbrauchern mit der Gasumlage neue finanzielle Belastungen. Wirtschaftsminister Robert Habeck bezifferte die Mehrkosten auf mehrere Hundert Euro pro Haushalt, die auf die Verbraucher durch die Umlage zukommen und dann nicht für das Shoppen zur Verfügung stehen.

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Das befürchtet zumindest der Handelsverband Deutschland (HDE). Dessen Konsumbarometer – das auf einer monatlichen Umfrage unter 1600 Personen beruht – stürzte im August auf ein Rekordtief ab. „Zurückzuführen ist die starke Eintrübung der Verbraucherstimmung insbesondere auf die in den vergangenen Wochen gewachsenen Unsicherheiten in der Energieversorgung und Energiepreisentwicklung“, so der Branchenverband. „In den kommenden drei Monaten ist vor diesem Hintergrund mit Konsumzurückhaltung zu rechnen.“ Der noch vor einigen Monaten für möglich gehaltene Konsum-Boom angesichts der Entspannung in der Coronapandemie falle somit aus. Für den weiteren Jahresverlauf und das wichtige Weihnachtsgeschäft sind das düstere Aussichten für den Einzelhandel.

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