Insolvenz von Air Berlin Niedergang vor laufender Kamera

Selten wurde eine Insolvenz so intensiv öffentlich ausgebreitet wie die von Air Berlin. Die Fluggesellschaft hat gute Chancen, neben Holzmann und Schlecker in den Olymp der spektakulärsten deutschen Pleiten aufzusteigen.

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Air Berlin: Niedergang vor laufender Kamera Quelle: Reuters

Frankfurt Es gibt Pleiten, die geschehen still und heimlich, andere dagegen fesseln die Öffentlichkeit. Die des Baukonzerns Philipp Holzmann zählte zur zweiten Kategorie. Zunächst 1999 durch den damaligen Kanzler Gerhard Schröder persönlich gerettet, standen mit dem Insolvenzantrag im Jahr 2002 bei dem Unternehmen dann doch die rund 23.000 Jobs auf der Kippe. Sogar 36.000 Arbeitsplätze waren es bei der Drogeriekette Schlecker, die 2012 Insolvenz anmelden musste.

Seit wenigen Monaten wissen wir: Es ist nicht zwingend die Größe, die eine Pleite für die Öffentlichkeit interessant macht. Seit sich Air Berlin im August für zahlungsunfähig erklärte, wird der Niedergang der einst zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft medial so intensiv begleitet wie kaum eine andere Pleite zuvor. Air Berlin ist zwar mit gut 8000 Beschäftigten deutlich kleiner als Schlecker oder Holzmann. Doch die Insolvenz der Airline hat so viele Facetten, dass es wohl noch auf Monate hinaus ausreichend Stoff für Geschichten geben wird.

Eine dieser Facetten: Während die Pleiten etwa von Holzmann oder Schlecker für die Beteiligten relativ überraschend kamen, zeichnete sich bei Air Berlin das Ende schon Monate vor der Insolvenzanmeldung ab. Ein erster Vorbote: Das Abkommen zwischen Air Berlin und Lufthansa über die Vermietung von bis zu 38 Jets samt Crews an die Lufthansa-Töchter Eurowings und Austrian.

Offiziell war es Teil des beschlossenen strategischen Rückzugs von Air Berlin aus dem europäischen Kurz- und Mittelstreckenverkehr. Zweites Element dieser neuen Strategie sollte ein Joint Venture zwischen der Air-Berlin-Tochter Niki und dem Ferienflieger Tuifly sein – unter Beteiligung des Air-Berlin-Großaktionärs Etihad. Doch dieser Teil kam niemals zustande.

Die Lufthansa dagegen mischte mit dem Mietdeal fortan bei Air Berlin mit. Mit einer bis zu 100 Mann starken Truppe bereitete sich der deutsche Marktführer seit Anfang 2017 auf den „Fall“ von Air Berlin vor. Zwar war nicht klar, dass der durch einen Insolvenzantrag erfolgen würde, auch ein weiterer Ausbau des Mietdeals war eines der vorbereiteten Szenarien. Als recht sicher galt aber, dass Air Berlin das Jahr 2017 nicht in seiner bisherigen Form überleben würde. Und bevor andere wie Ryanair sich die Filetstücke der als „Mallorca-Bomber“ gestarteten Fluggesellschaft sichern würden, wollte die Lufthansa zuschlagen.

Genau das tat die Lufthansa. Spätestens mit der Berufung von Thomas Winkelmann, langjähriger Chef der Lufthansa-Tochter Germanwings, zum Air-Berlin-CEO im Februar 2017 war klar, dass eine wie auch immer geartete Aufteilung der gescheiterten Air Berlin nicht ohne Zutun der Lufthansa geschehen wird.

Zwar ist Winkelmann als Air-Berlin-CEO alleine dem Wohl seines neuen Arbeitgebers verpflichtet und achtet auch penibel darauf, seine Pflichten entsprechend wahrzunehmen. Da es aber der Lufthansa als der größten deutschen Airline nicht sonderlich schwergefallen ist, einen strategisch gut begründeten und damit recht hohen Preis für die relevanten Teile von Air Berlin zu bieten, war recht bald klar, dass der Konzern im Verkaufsprozess beste Chancen hatte.

Die sicherte die Lufthansa zudem geschickt durch eine eloquente politische Lobbyarbeit in Berlin ab. Sowohl das Wirtschafts- als auch das Verkehrsministerium plädierten öffentlich für einen Zuschlag an den Dax-Konzern – ein Novum.


Berichterstattung hat neue Maßstäbe gesetzt

Auch wenn die Rechnung am Ende nicht ganz aufging und die EU-Kartellwächter der Lufthansa dazwischenfunkten – die Debatte um den Deal sicherte die Schlagzeilen für Wochen. Zumal sich viele der Air Berliner durch die augenscheinlich so gute Vorbereitung auf den schlimmsten aller Fälle im Leben eines Unternehmens auf der recht sicheren Seite wähnten. Lufthansa werde im Zweifel bereitstehen und es richten – so lautete die Hoffnung. Als die sich nicht erfüllte, als klar wurde, dass Lufthansa lediglich 3000 Job sichern wird, davon zudem nur 1700 durch einen rechtlich klar geregelten Betriebsübergang, war der Aufschrei groß.

Vor allem das fliegende Personal ging auf die Barrikaden, beklagt bis heute Sozialdumping bei der Übernahme von Piloten etwa durch die Lufthansa-Tochter Eurowings. Gewerkschaften und Unternehmen versuchten mit immer neuen Gehaltstabellen den eigenen Argumenten Gehör zu verschaffen. Bei keiner anderen Insolvenz in Deutschland wurden die Arbeitsbedingungen so kleinteilig und emotional aufgeladen in der Öffentlichkeit diskutiert wie im Fall von Air Berlin.

Und bei keiner anderen Pleite wurde auch das offizielle Betriebsende des Unternehmens medial so begleitet wie bei Air Berlin. Zwar gab es viele Bilder von schließenden Schleckerfilialen. Doch mit mehrstündigen Liveübertragungen im Fernsehen und im Internet vom letzten Flug von München nach Berlin hat Air Berlin in diesem Punkt neue Maßstäbe gesetzt. Es war eine emotionale Show, die ihresgleichen sucht.

Ein Drehbuchautor hätte sich keine bessere Dramaturgie ausdenken können. Passagiere, die sich über viel teurere Flugtickets beschweren, eine EU-Wettbewerbskommissarin, die plötzlich eine Härte zeigte, die die Lufthansa-Strategen so nicht erwartet hatten – der Krimi war perfekt.

Die nächsten Kapitel in diesem Werk sind bereits grob vorgezeichnet. Es geht etwa um die Frage, ob sich frühere Manager, die es zahlreich bei Air Berlin gab, falsch verhalten haben. Auch der Mitgründer der Airline, Joachim Hunold, wird seinen Namen in diesem Zusammenhang wohl noch häufiger in den Medien wiederfinden. Weil sich der Unternehmer in der Vergangenheit gerne mit Prominenten umgab, ist er allemal gut für die eine oder andere Story.

Und so ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die illustre Geschichte von Air Berlin auch in Buchform erscheint oder als Stoff für die Kinoleinwand entdeckt wird.

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