Junghans, Lange und Co. Deutsche Uhrmacher setzen auf Retro

Eine Armbanduhr am Handgelenk? Haben viele Deutsche – obgleich manch einer auch nur das Smartphone als Zeitmesser nutzt. Also eine Gefahr für die heimischen Uhrenhersteller? Die Rückbesinnung einer Branche.

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Wie in vielen deutschen Uhrenfabriken wird auch bei Junghans auf mechanische Modelle gesetzt. Quelle: dpa

Schramberg Das Pförtnerhaus ist verwaist, die Straße leer. Rechterhand in dem Gewerbegebiet liegt eine Abrissruine, am Ende des Weges ist ein riesiges Gebäude: der Firmensitz des Uhrenherstellers Junghans im süddeutschen Schramberg. Hier war einst die größte Uhrenfabrik der Welt – vor gut 100 Jahren hatte die Firma 3000 Mitarbeiter. In den 1960er-Jahren beschäftigte Junghans gar 6000 Menschen, danach begann der Abstieg bis hin zur Insolvenz 2008. Seither, betont Firmenchef Matthias Stotz, gehe es aufwärts, man sei inzwischen profitabel. 127 Mitarbeiter hat sein Unternehmen heute. Der Umsatz stieg 2016 um 4,3 Prozent auf 24,5 Millionen Euro.

Auf dem Gewerbegelände im Schwarzwald wird gebaut, ein Teil des Firmengebäudes wird aufwendig saniert. Die Geschichte von Junghans ist im bestimmten Maße beispielhaft für Deutschlands Uhrenbranche, die sich ab Samstag auf der Münchner Messe Inhorgenta trifft: Die Branche war einst groß, doch durch Konkurrenz aus Amerika und Asien sowie den technischen Wandel schrumpfte sie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Seit einigen Jahren sieht es deutlich besser aus, die Hersteller haben Erfolg mit mechanischen Uhren. Neben Mittelpreis-Anbietern wie Junghans mit Preisen von 300 bis 2500 Euro pro Uhr gibt es Luxusmarken wie A. Lange & Söhne. Die bieten nichts unter 14.900 Euro an.

Wozu braucht man überhaupt noch eine mechanische Uhr, wenn man ein Smartphone in der Tasche hat oder eine Smartwatch trägt? Der Chef von A. Lange & Söhne, Wilhelm Schmid, bleibt gelassen bei so einer Frage: Solche Produkte wirkten sich nicht auf die eigenen Geschäfte aus, sagt er. „Bei unseren Zeitmessern zeigt sich ein schönes Paradox: Man will sie, weil man sie nicht braucht.“ Durch den technologischen Fortschritt sei der Nutzen – die Zeitmessung – in den Hintergrund getreten, die Uhr werde mehr als Kunstwerk wahrgenommen.

Der Luxushersteller, der zum Schweizer Richemont-Konzern gehört und sich beim Umsatz bedeckt hält, hat keine leichte Zeit hinter sich. Firmenchef Schmid spricht zwar von einem guten Jahr 2016, aber auch von „Turbulenzen im Markt“. Die Luxusbranche litt unter gesunkener Nachfrage aus China und Russland.

Das bekamen kleinere Anbieter im Mittelpreis-Segment weniger zu spüren. So konnte die Firma Nomos – wie A. Lange & Söhne aus dem Uhrenmacher-Zentrum Glashütte in Sachsen – ihren Umsatz im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben um ein Viertel hochschrauben, die Mitarbeiterzahl kletterte um 70 auf rund 300. Sorgenfalten wegen digitaler Konkurrenz? Nomos-Sprecherin Jasmin Denk schüttelt den Kopf. „Mechanische Uhren sind Liebhaberei“, sagt sie. Die neue Technik sei sogar positiv fürs Geschäft, schließlich kämen dadurch potenzielle junge Kunden auf den Geschmack, überhaupt mal eine Uhr am Handgelenk zu tragen – „wenn sie älter sind, entdecken sie möglicherweise ihr Faible für mechanische Uhren“, so Denk.


Gegenbewegung zur digitalen Bewegung

Auch Junghans-Chef Stotz übt sich in Optimismus. „Eine digitale Bewegung hat eine Gegenbewegung, davon profitieren wir.“ In der Alltagshektik werde eine mechanische Armbanduhr von Kunden wahrgenommen als etwas handwerklich Solides und Beständiges. Thilo Mühle, Chef der 55-Mann-Firma Mühle Glashütte, sieht bei vielen Menschen „eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit“. „Eine mechanische Armbanduhr passt sehr gut zu dieser Sehnsucht und bildet einen entschleunigenden Gegenpol zur Jagd nach dem neusten Handy.“

Also alles null Problemo trotz des Digitaltrends? Guido Grohmann, Vorstandsmitglied beim Bundesverband Schmuck und Uhren, sieht das anders. „Die Smartwatch ist ein Konkurrenzprodukt – das darf die Branche nicht kleinreden“, sagt er. Es seien Wettbewerber am Markt aufgetaucht, „die ein Stück vom Kuchen haben wollen“. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur heimischen Branche liegen für 2016 noch nicht vor. Es sei „ein ordentliches Jahr“ gewesen, sagt Grohmann vage. 2015 verbuchten die 16 größten Firmen ein Plus von 5,5 Prozent auf 425 Millionen Euro Umsatz.

Der wiedergekehrte Erfolg ist bei Junghans eine Rückkehr zu den Wurzeln – die Firma hat zahlreiche Modelle nach dem Vorbild von mechanischen Uhren aus den 1950er-Jahren entwickelt. Solche Uhren warf Junghans 1976 aus dem Sortiment und setzte stattdessen zunächst auf Quarzuhren und später auf Funkuhren.

Im Nachhinein ein Fehler, sagt der seit zehn Jahren bei Junghans tätige Uhrmachermeister Stotz. „Wir waren zwar Vorreiter bei den Funkuhren, aber wirtschaftlich hat uns das langfristig nicht genutzt.“ Erst 2005 stieg Junghans wieder richtig ein bei den mechanischen Uhren. Das konnte die Insolvenz 2008 zwar nicht verhindern, Stotz sieht das aber als Grundlage für den heutigen Erfolg. „Designklassiker von früher sind wieder gefragt, als etwas zeitlos Schönes.“ Solche Uhren seien auch als Sammlerstücke begehrt, dies sei bei den günstigeren Quarzuhren und bei den Funkuhren nicht so der Fall gewesen.

Aus Sicht des Branchenexperten Stefan Hencke ist es sinnvoll, dass sich deutsche Uhrenhersteller auf höherpreisige Chronometer spezialisiert haben. „Im globalen Billig-Wettbewerb können die Unternehmen aus Deutschland nur sehr schwer bestehen.“

Der BWL-Professor von der Fachhochschule Trier bewertet die Perspektiven in der heimischen Branche positiv. Deutsche Uhren hätten ein gutes Image als Qualitätsprodukte – daher seien Kunden bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. „Es ist wie in der Autoindustrie – deutsche Autos sind zwar teurer als Konkurrenzprodukte, aber sie sind dennoch sehr gefragt.“

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