Daniel Zimmer prüft, Alain Caparros stört, Gabriel entscheidet
Bonn, April 2015: In einem schmucklosen Siebzigerjahre-Behördenbau im Ortsteil Duisdorf kommen fünf Professoren zusammen, um die deutsche Ordnungspolitik zu retten. Sie treffen sich hier jeden Monat, in einem Raum, ausgelegt mit grauem Nadelfilz und weißen Wänden an einem rechteckigen Tischgebilde, acht Stühle an jeder langen Seite, je drei am Kopfende. Hier tagt die Monopolkommission.
Den Vorsitz führt Daniel Zimmer, Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht, ein Marktgläubiger, der nicht viel von staatlich gelenktem Wettbewerb hält. Dem Gremium kommt im Ministererlaubnisverfahren eine wichtige Rolle zu. Parallel zu den Beamten im Ministerium prüft auch die Monopolkommission den Fall, kann Unterlagen anfordern und Gespräche mit den Beteiligten führen. Am Ende steht ein Gutachten, das für den Minister zwar nicht bindend ist, aber Signalwirkung hat. Setzt sich ein Minister über die Empfehlung der Monopolkommission hinweg, braucht er schon gute Gründe.
Auch im Bundestag steigt das Interesse an dem Fall. Die junge Grünen-Abgeordnete Katharina Dröge verfolgt das Gezerre um die Ministererlaubnis. In ihrer Fraktion glaubt eigentlich niemand, dass sich das Thema für die Opposition lohnt. Doch sie lassen Dröge loslegen.
Köln, 13. Mai 2015: Mit offenem Hemdkragen fläzt Rewe-Chef Caparros auf der Couch und plaudert mit französischem Akzent über Sinn und Unsinn veganer Ernährung, über die Performance des 1. FC Köln und natürlich über Tengelmann. „Herr Caparros, was werden Sie tun, wenn es eine Ministererlaubnis von Gabriel gibt und Edeka doch noch zum Zuge kommt?“
Das ist Kaiser's Tengelmann
Verglichen mit Edeka oder Rewe ist die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann ein Zwerg. Sie betrieb Ende 2015 noch 446 Filialen in Deutschland und erwirtschaftete mit knapp 15 300 Mitarbeitern einen Nettoumsatz von 1,78 Milliarden Euro.
Quelle:dpa
Einst bundesweit vertreten, finden sich die Filialen heute nur noch im Großraum Berlin, in München und Oberbayern sowie in Teilen Nordrhein-Westfalens. Die meisten Geschäfte - insgesamt 188 - gab es zum Jahresanfang noch in München und Oberbayern. Im Großraum Berlin betrieb die Kette weitere 133 Supermärkte, 125 Filialen lagen im Rheinland. Aktuell dürften es allerdings schon wieder einige weniger sein. Denn die Geschäftsführung geht davon aus, dass zum Ende des Jahres nur noch 405 Filialen vorhanden sein werden.
Das Familienunternehmen kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, die bis ins Jahr 1876 zurückreicht. Damit ist Kaiser's Tengelmann nach eigenen Angaben das älteste Lebensmittel-Handelsunternehmen Deutschlands. Doch summierten sich die Verluste seit der Jahrtausendwende auf mehr als 500 Millionen Euro.
Kaum steht die Frage der WirtschaftsWoche im Raum, schnellt Caparros angriffslustig nach vorn: „Wir werden alle rechtlichen Schritte nutzen, um einen Kauf durch Edeka zu verhindern.“ Es wäre fatal, so Caparros, wenn der Marktführer trotz aller Wettbewerbsbedenken seine Dominanz weiter ausbauen könnte.
Schon zuvor hatte der Rewe-Boss lautstark gegen den Deal gewettert. Es wäre ein „Super-GAU, wenn Gabriel Trauzeuge für diese dubiose Hochzeit sein sollte“, polterte der gebürtige Franzose und kündigte an: „Notfalls machen wir eine Sitzblockade vor dem Wirtschaftsministerium.“ Vor allem ein Satz im Antrag auf Ministererlaubnis bringt Caparros in Rage: „Eine Gesamtübernahme durch Rewe ist bisher der Tengelmann-Gruppe außer in Presseverlautbarungen konkret und direkt nicht angeboten worden“, heißt es darin.
Aus Caparros’ Sicht ist das eine dreiste Lüge. Er und sein für das Supermarktgeschäft zuständiger Vorstand Lionel Souque hatten bereits Anfang 2014 bei Haub angeklopft. Unterlagen belegen, dass Rewe Interesse an einem „vollständigen Erwerb“ der Kette geäußert und einen Kaufpreis von 400 bis 450 Millionen Euro in Aussicht gestellt hat. Mehrfach erneuert Caparros in der Folge das Angebot. Sein Kalkül: Caparros will zeigen, dass ein Verkauf an Edeka nicht alternativlos ist.
Als die Monopolkommission im August ihr Gutachten vorlegt, scheint der Rewe-Chef am Ziel. Auf 66 Seiten zerpflücken Zimmer und seine Mitstreiter die Edeka-Tengelmann-Liaison. Es ist ein vernichtendes Urteil. Doch der ordnungspolitische Paukenschlag verhallt, das Verfahren läuft weiter.
Die beteiligten Bundesländer reichen beim Ministerium Stellungnahmen ein. Gabriel trifft sich mit Gewerkschaftern, darunter Verdi-Chef Frank Bsirske. Vor allem Edekas Pläne, die Kaiser’s-Tengelmann-Filialen zu „privatisieren“, also nach der Übernahme an selbstständige Kaufleute weiterzureichen, sorgen bei der Gewerkschaftsbasis für Zündstoff. Allerdings bietet das Verfahren Bsirske die einmalige Chance, den Gewerkschaftseinfluss bei Edeka zu stärken. Wirtschaftsminister Gabriel, zugleich SPD-Vorsitzender, hat es in der Hand.
Berlin, 16. November 2015: Der Minister kommt als Letzter. Durch den Hintereingang bahnt sich Gabriel seinen Weg durch den stuckverzierten Eichensaal im Wirtschaftsministerium, vorbei an gut 150 Juristen und Journalisten, Unternehmenschefs und Ministeriumsmitarbeitern. Es ist der erste und einzige öffentliche Schlagabtausch in dem Verfahren, das über Wohl und Wehe der seit Jahren größten Übernahme im deutschen Lebensmittelhandel entscheidet. Zunächst hört Gabriel den Protagonisten des Verfahrens geduldig zu.
Haub und Mosa sind vor Ort, um für den Zusammenschluss zu werben. Rewe-Chef Caparros hält dagegen. Gabriel schaltet sich ab und an mit Fragen ein, werden ihm die nicht ausreichend beantwortet, legt er pampig nach.
Angesichts der Gesprächsführung ist Grünen-Politikerin Dröge schnell klar: „der will die Übernahme genehmigen, der prüft noch nicht mal Alternativen“. Tatsächlich reagiert Gabriel genervt, als Caparros bei der Anhörung sein Kaufangebot für Kaiser’s Tengelmann wiederholt. „Das Problem scheint mir zu sein, dass wir hier keine Verkaufsverhandlungen führen“, poltert der Minister.
Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Als wenig später das schriftliche Übernahmeangebot von Rewe eingeht, schreiben Gabriels Beamte aus der Wettbewerbsabteilung dem Minister einen Vermerk: Das Angebot des Mitbieters Rewe sei verbindlich, zudem hätten auch Mitglieder der Einkaufskooperation Markant Interesse signalisiert. Es gebe daher Zweifel an einer „wesentlichen Voraussetzung“ der Ministererlaubnis. Es sei „gerichtlich überprüfbar“, dass es mindestens einen weiteren potenziellen Erwerber gebe.
Was bleibt an Auswegen für Kaiser's Tengelmann?
Am Donnerstagabend wollen die Konzernchefs von Tengelmann, Edeka und Rewe einen letzten Versuch machen, die völlig verfahrene Situation bei der angeschlagenen Supermarktkette Kaiser's Tengelmann zu bereinigten. Scheitern die Verhandlungen, droht der Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen bei der traditionsreichen Supermarktkette. Fragen und Antworten zum Krisengipfel und zu seinen Erfolgsaussichten:
Die Situation rund um die geplante Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka ist völlig verfahren. Erst stoppte das Bundeskartellamt die Übernahmepläne. Dann machte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den Weg mit einer Ausnahmegenehmigung wieder frei. Nur um vom Oberlandesgericht Düsseldorf ausgebremst zu werden, das auf Antrag von Rewe und Markant die Ministererlaubnis vorläufig außer Kraft setzte. Eine juristische Klärung dieses Durcheinanders könnte Jahre dauern. Doch soviel Zeit hat Kaiser's Tengelmann nicht. Denn das Unternehmen schreibt hohe Verluste.
Bundeswirtschaftsminister Gabriel hofft vor allem, dass es gelingt, die Arbeitsplätze bei Kaiser's Tengelmann doch noch zu sichern. Bei einer Zerschlagung sieht der Sozialdemokrat bis zu 8000 Stellen gefährdet.
Die einfachste Lösung wäre es, dass Rewe seine Klage gegen die Ministererlaubnis zurückziehen würde. Dann könnte Edeka Kaiser's Tengelmann komplett übernehmen, die von dem Handelsriesen mit Verdi für diesen Fall ausgehandelten Tarifverträge würden greifen und damit auch langfristige Arbeitsplatzgarantien für die Beschäftigten von Kaiser's Tengelmann.
Rewe ist offenbar nicht bereit zu einem solchen Schritt. Konzernchef Alain Caparros signalisierte vor Beginn des Krisentreffens, dass er auf eine „faire Aufteilung“ von Kaiser's Tengelmann hofft. Dabei könnten neben Edeka und Rewe auch andere interessierte Unternehmen zu Zuge kommen, meinte der Manager in einer Erklärung vor dem Krisengipfel.
Es geht zum einen um Marktanteile. Edeka ist schon heute Deutschlands mit Abstand größter Lebensmittelhändler und Rewe will nicht weiteren Boden an den Rivalen verlieren. Außerdem fühlt sich Rewe-Chef Caparros von den Konkurrenten ausgetrickst. Es habe sich bei der Ministererlaubnis um ein abgekartetes Spiel gehandelt, sagte der Rewe-Chef kürzlich in einem Interview.
Darüber rätseln zurzeit Branchenkenner und Betroffene gleichermaßen.
Die Supermarktkette würde dann voraussichtlich zerschlagen, heißt es in informierten Kreisen. Dass heißt, die Filialen würden einzeln oder in Paketen an die Wettbewerber verkauft. Geschäfte, für die sich kein Interessent findet, würden dicht gemacht, ebenso wahrscheinlich die Fleischwerke und die Logistik des Konzerns. Auch die Verwaltung der Supermarktkette würde dann nicht mehr benötigt. Tausende Arbeitsplätze wären in diesem Fall gefährdet.
Die Supermarktkette schreibt seit Jahren rote Zahlen. Insgesamt sollen sich die Verluste seit der Jahrtausendwende auf mehr als 500 Millionen Euro summieren. Der Eigentümer - die Unternehmerfamilie Haub - will deshalb einen Schlussstrich ziehen.
Dazu entwickelt die Lage in den Geschäften zu schlecht. Denn die Ungewissheit über die Zukunft bremst das Geschäft. „Wir schrumpfen. Wir verlieren Mitarbeiter jeden Tag. Wir verlieren Läden, weil die Mietverträge nicht verlängert werden können“, klagte Firmenchef Karl-Ervian Haub vor einigen Wochen in einem Rundfunkinterview. Nach Angaben aus informierten Kreisen sind die Verluste inzwischen auf rund zehn Millionen Euro pro Monat gestiegen. Das ist selbst für eine der reichsten deutschen Unternehmerfamilien viel Geld.
Noch brisanter: Am 1. Dezember trifft der Minister Haub und Mosa zu vertraulichen Gesprächen. Dabei nutzt Mosa die Gelegenheit, dem Minister einen Schriftsatz seiner Anwälte in die Hand zu drücken. Auf sechs Seiten nehmen die Edeka-Juristen das Angebot des Konkurrenten Rewe auseinander. Caparros und andere Beteiligte erfahren davon zunächst nichts. Ebenso wenig wie über ein gemeinsames Treffen von Gabriel, Haub und Mosa am 18. Dezember. Im Anschluss vermittelt Gabriel auf Bitten Mosas noch einen Termin mit Verdi-Chef Bsirske, um zwei Tage vor Heiligabend über die Erfolgsaussichten von Tarifgesprächen zu reden.
Am 12. Januar 2016 geschieht das Unvermeidliche: Gabriel kündigt an, der Fusion unter Auflagen zuzustimmen. Am 17. März wird seine Entscheidung rechtskräftig: Gabriel erteilt die Ministererlaubnis. Von einem „guten Tag für unsere Beschäftigten“, spricht Haub. „Wir freuen uns über die Ministererlaubnis“, jubelt Mosa.
Zeitgleich informiert Wettbewerbsexperte Zimmer den Bundespräsidenten darüber, dass er als Regierungsberater und Vorsitzender der Monopolkommission nicht länger zur Verfügung stehe. Er verstehe ja jeden Angestellten von Kaiser’s und Tengelmann, der jetzt aufatme, weil sein Job erst einmal sicher sei, begründet der Wirtschaftsjurist seinen Schritt. „Aber bei der sogenannten Ministererlaubnis darf das allein keine Rolle spielen. Wenn der Minister die Fusion von Unternehmen erlaubt, obwohl das Kartellamt sie abgelehnt hat, dann muss das dem Gemeinwohl dienen. Gabriels Entscheidung müsste also die Beschäftigung insgesamt erhöhen. Das wird aber nicht passieren, wahrscheinlicher ist das Gegenteil.“