Kaiser’s Tengelmann Das Fusionsdrama mit Edeka

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April 2015 bis März 2016: Kampf um Ministererlaubnis


Daniel Zimmer prüft, Alain Caparros stört, Gabriel entscheidet

Bonn, April 2015: In einem schmucklosen Siebzigerjahre-Behördenbau im Ortsteil Duisdorf kommen fünf Professoren zusammen, um die deutsche Ordnungspolitik zu retten. Sie treffen sich hier jeden Monat, in einem Raum, ausgelegt mit grauem Nadelfilz und weißen Wänden an einem rechteckigen Tischgebilde, acht Stühle an jeder langen Seite, je drei am Kopfende. Hier tagt die Monopolkommission.

Den Vorsitz führt Daniel Zimmer, Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht, ein Marktgläubiger, der nicht viel von staatlich gelenktem Wettbewerb hält. Dem Gremium kommt im Ministererlaubnisverfahren eine wichtige Rolle zu. Parallel zu den Beamten im Ministerium prüft auch die Monopolkommission den Fall, kann Unterlagen anfordern und Gespräche mit den Beteiligten führen. Am Ende steht ein Gutachten, das für den Minister zwar nicht bindend ist, aber Signalwirkung hat. Setzt sich ein Minister über die Empfehlung der Monopolkommission hinweg, braucht er schon gute Gründe.

Auch im Bundestag steigt das Interesse an dem Fall. Die junge Grünen-Abgeordnete Katharina Dröge verfolgt das Gezerre um die Ministererlaubnis. In ihrer Fraktion glaubt eigentlich niemand, dass sich das Thema für die Opposition lohnt. Doch sie lassen Dröge loslegen.

Köln, 13. Mai 2015: Mit offenem Hemdkragen fläzt Rewe-Chef Caparros auf der Couch und plaudert mit französischem Akzent über Sinn und Unsinn veganer Ernährung, über die Performance des 1. FC Köln und natürlich über Tengelmann. „Herr Caparros, was werden Sie tun, wenn es eine Ministererlaubnis von Gabriel gibt und Edeka doch noch zum Zuge kommt?“

Das ist Kaiser's Tengelmann

Kaum steht die Frage der WirtschaftsWoche im Raum, schnellt Caparros angriffslustig nach vorn: „Wir werden alle rechtlichen Schritte nutzen, um einen Kauf durch Edeka zu verhindern.“ Es wäre fatal, so Caparros, wenn der Marktführer trotz aller Wettbewerbsbedenken seine Dominanz weiter ausbauen könnte.

Schon zuvor hatte der Rewe-Boss lautstark gegen den Deal gewettert. Es wäre ein „Super-GAU, wenn Gabriel Trauzeuge für diese dubiose Hochzeit sein sollte“, polterte der gebürtige Franzose und kündigte an: „Notfalls machen wir eine Sitzblockade vor dem Wirtschaftsministerium.“ Vor allem ein Satz im Antrag auf Ministererlaubnis bringt Caparros in Rage: „Eine Gesamtübernahme durch Rewe ist bisher der Tengelmann-Gruppe außer in Presseverlautbarungen konkret und direkt nicht angeboten worden“, heißt es darin.

Aus Caparros’ Sicht ist das eine dreiste Lüge. Er und sein für das Supermarktgeschäft zuständiger Vorstand Lionel Souque hatten bereits Anfang 2014 bei Haub angeklopft. Unterlagen belegen, dass Rewe Interesse an einem „vollständigen Erwerb“ der Kette geäußert und einen Kaufpreis von 400 bis 450 Millionen Euro in Aussicht gestellt hat. Mehrfach erneuert Caparros in der Folge das Angebot. Sein Kalkül: Caparros will zeigen, dass ein Verkauf an Edeka nicht alternativlos ist.

Als die Monopolkommission im August ihr Gutachten vorlegt, scheint der Rewe-Chef am Ziel. Auf 66 Seiten zerpflücken Zimmer und seine Mitstreiter die Edeka-Tengelmann-Liaison. Es ist ein vernichtendes Urteil. Doch der ordnungspolitische Paukenschlag verhallt, das Verfahren läuft weiter.

Die beteiligten Bundesländer reichen beim Ministerium Stellungnahmen ein. Gabriel trifft sich mit Gewerkschaftern, darunter Verdi-Chef Frank Bsirske. Vor allem Edekas Pläne, die Kaiser’s-Tengelmann-Filialen zu „privatisieren“, also nach der Übernahme an selbstständige Kaufleute weiterzureichen, sorgen bei der Gewerkschaftsbasis für Zündstoff. Allerdings bietet das Verfahren Bsirske die einmalige Chance, den Gewerkschaftseinfluss bei Edeka zu stärken. Wirtschaftsminister Gabriel, zugleich SPD-Vorsitzender, hat es in der Hand.

Berlin, 16. November 2015: Der Minister kommt als Letzter. Durch den Hintereingang bahnt sich Gabriel seinen Weg durch den stuckverzierten Eichensaal im Wirtschaftsministerium, vorbei an gut 150 Juristen und Journalisten, Unternehmenschefs und Ministeriumsmitarbeitern. Es ist der erste und einzige öffentliche Schlagabtausch in dem Verfahren, das über Wohl und Wehe der seit Jahren größten Übernahme im deutschen Lebensmittelhandel entscheidet. Zunächst hört Gabriel den Protagonisten des Verfahrens geduldig zu.

Haub und Mosa sind vor Ort, um für den Zusammenschluss zu werben. Rewe-Chef Caparros hält dagegen. Gabriel schaltet sich ab und an mit Fragen ein, werden ihm die nicht ausreichend beantwortet, legt er pampig nach.

Angesichts der Gesprächsführung ist Grünen-Politikerin Dröge schnell klar: „der will die Übernahme genehmigen, der prüft noch nicht mal Alternativen“. Tatsächlich reagiert Gabriel genervt, als Caparros bei der Anhörung sein Kaufangebot für Kaiser’s Tengelmann wiederholt. „Das Problem scheint mir zu sein, dass wir hier keine Verkaufsverhandlungen führen“, poltert der Minister.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Als wenig später das schriftliche Übernahmeangebot von Rewe eingeht, schreiben Gabriels Beamte aus der Wettbewerbsabteilung dem Minister einen Vermerk: Das Angebot des Mitbieters Rewe sei verbindlich, zudem hätten auch Mitglieder der Einkaufskooperation Markant Interesse signalisiert. Es gebe daher Zweifel an einer „wesentlichen Voraussetzung“ der Ministererlaubnis. Es sei „gerichtlich überprüfbar“, dass es mindestens einen weiteren potenziellen Erwerber gebe.

Was bleibt an Auswegen für Kaiser's Tengelmann?

Noch brisanter: Am 1. Dezember trifft der Minister Haub und Mosa zu vertraulichen Gesprächen. Dabei nutzt Mosa die Gelegenheit, dem Minister einen Schriftsatz seiner Anwälte in die Hand zu drücken. Auf sechs Seiten nehmen die Edeka-Juristen das Angebot des Konkurrenten Rewe auseinander. Caparros und andere Beteiligte erfahren davon zunächst nichts. Ebenso wenig wie über ein gemeinsames Treffen von Gabriel, Haub und Mosa am 18. Dezember. Im Anschluss vermittelt Gabriel auf Bitten Mosas noch einen Termin mit Verdi-Chef Bsirske, um zwei Tage vor Heiligabend über die Erfolgsaussichten von Tarifgesprächen zu reden.

Am 12. Januar 2016 geschieht das Unvermeidliche: Gabriel kündigt an, der Fusion unter Auflagen zuzustimmen. Am 17. März wird seine Entscheidung rechtskräftig: Gabriel erteilt die Ministererlaubnis. Von einem „guten Tag für unsere Beschäftigten“, spricht Haub. „Wir freuen uns über die Ministererlaubnis“, jubelt Mosa.

Zeitgleich informiert Wettbewerbsexperte Zimmer den Bundespräsidenten darüber, dass er als Regierungsberater und Vorsitzender der Monopolkommission nicht länger zur Verfügung stehe. Er verstehe ja jeden Angestellten von Kaiser’s und Tengelmann, der jetzt aufatme, weil sein Job erst einmal sicher sei, begründet der Wirtschaftsjurist seinen Schritt. „Aber bei der sogenannten Ministererlaubnis darf das allein keine Rolle spielen. Wenn der Minister die Fusion von Unternehmen erlaubt, obwohl das Kartellamt sie abgelehnt hat, dann muss das dem Gemeinwohl dienen. Gabriels Entscheidung müsste also die Beschäftigung insgesamt erhöhen. Das wird aber nicht passieren, wahrscheinlicher ist das Gegenteil.“

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