Kaiser’s Tengelmann Das Fusionsdrama mit Edeka

Gegen alle Widerstände wollte Karl-Erivan Haub seine Supermarktkette an Edeka verkaufen und entfachte einen Machtkampf, der Wettbewerber und Politik in Atem hält. Die Geschichte einer verkorksten Übernahme.

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Der Machtkampf um Kaiser's Tengelmann. Quelle: Montage

Es ist die Woche der Entscheidung für Kaiser’s Tengelmann. Heute halten die rund 4000 Beschäftigten der Supermarktkette aus dem Gebiet Nordrhein eine zentrale Betriebsversammlung ab. Donnerstag ist eine solche Veranstaltung für Berlin geplant.

Wenige Tage vor dem Ablauf einer von Unternehmenschef und –Eigentümer Karl-Erivan Haub gesetzten Frist, wollen die Arbeitnehmervertreter noch einmal Flagge zeigen - und den Druck auf die Beteiligten erhöhen. Schließlich steuert der Machtkampf um die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann auf sein Finale zu. Schon im Oktober 2014 hatte Haub angekündigt, die Supermarktkette an Edeka zu verkaufen – und war auf den geballten Widerstand von Rewe-Chef Alain Caparros gestoßen.

Diesen Freitag will Haub entscheiden, wie es weitergeht. Begleitet von reichlich Tamtam fanden zuvor Rettungsgipfel zwischen ihm, Caparros und Markus Mosa statt, dem Chef des Rewe-Rivalen Edeka. Politiker mahnten eine Einigung der Kontrahenten in letzter Minute an.

Doch war das wirklich mehr als nur die Begleitmusik zum Untergang? Besteht noch Hoffnung, oder kann es in einem derart vertrackten Verfahren ohnehin keine Lösung geben?

Zumindest ein Ergebnis steht schon vor dem Showdown am Freitag fest: Die Übernahme ist gründlich gescheitert. Seit nunmehr zwei Jahren bangen Tausende Mitarbeiter um ihre Jobs und die Edeka-Tengelmann-Liaison sorgt für Schlagzeilen. Spätestens seit Bundeswirtschaftsminister Gabriel die Übernahme erst per Sondererlaubnis genehmigte und später von Richtern zurückgepfiffen wurde, ist der Fall ein Politikum, steht mit Gabriel auch das Instrument der Ministererlaubnis im Feuer der Kritik. Denn bereits mit dem Übernahmeantrag begann eine wettbewerbspolitische Geisterfahrt.

Oktober 2014 bis März 2015: Trennungsschmerzen

Karl-Erivan Haub trauert, Markus Mosa schreibt, Andreas Mundt untersagt

Mülheim, 7. Oktober 2014: Tengelmann-Patron Haub macht eine Miene, als wolle er das Wetter draußen beschreiben: Regen prasselt gegen die Fenster. Er hat kurzfristig zur Pressekonferenz in die Zentrale geladen. An den Wänden prangen Kupferstiche italienischer Bauten, Kronleuchter illuminieren den Saal, den Haub gewählt hat, um die Trennung von einem Unternehmen zu verkünden, dessen Geschichte bis in die Kaiserzeit zurückreicht und das einst den Aufstieg Tengelmanns zur milliardenschweren Handelsgruppe ebnete.

Nun will Haub die Supermarktkette mit ihren 451 Läden an den Hamburger Wettbewerber Edeka verkaufen. Er fühle sich „ein bisschen wie bei einer Beerdigung“, sagt Haub. Doch die Entscheidung stehe fest. Seit 15 Jahren schreibe Kaiser’s Tengelmann Verluste, erklärt der drahtige Unternehmer im schwarzen Anzug vorne auf der Bühne. Kaiser’s Tengelmann sei schlicht zu klein, um allein zu überleben. Der Verkauf an Edeka sei daher die beste, die einzige Lösung. Gerade für die Mitarbeiter. Dafür sei er bereit, auch Ärger zu riskieren.

Die Hängepartie bei Kaiser's Tengelmann

Der kommt prompt. Noch während die Pressekonferenz läuft, übermitteln die Nachrichtenagenturen bereits die erste Reaktion des Bundeskartellamtes in Bonn. Die Nachfragemacht des Lebensmittelhandels sei schon heute ein Problem. Das Amt werde den Verkauf daher „intensiv prüfen“, gibt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, zu Protokoll. Es klingt wie eine Warnung.

Hamburg, 10. Oktober 2014: Edeka-Chef Mosa passt nicht so recht zum Image seines Konzerns. Edekaner, das sind in den hauseigenen Werbefilmen Menschen, die gelbe Herzen auf der Schürze tragen und sich in Onlinespots als „superlässig“ und „superchillig“ besingen lassen. Edeka-Chef Mosa ist weder lässig noch chillig. Meist tritt er im stäubchenfreien Anzug mit korrekt geknoteter Krawatte auf, trägt eine Brille von buchhalterischer Eleganz und gilt der Zunft denn auch als nüchterner Zahlenmensch.

Ein straffer Organisator, der den mit Abstand größten Lebensmittelhändler des Landes dirigiert. 47 Milliarden Euro setzt das Hamburger Handelsimperium um, zu dem neben den Edeka-Supermärkten auch der Billigheimer Netto Marken-Discount gehört.

Der Kampf um die Ministererlaubnis

Durch die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann will Mosa sein Reich weiter vergrößern. Doch lässt sich der Coup durchsetzen?

Bereits mehrfach ist Edeka mit dem Kartellamt aneinandergerasselt. Der Kauf des Tengelmann-Discounters Plus 2008 geriet zum Stückwerk, nachdem die Wettbewerbshüter den Verkauf einzelner Filialblöcke an die Konkurrenz durchsetzten. Diesmal soll es anders laufen.

Drei Tage nach der Übernahmeankündigung berichtet die „Lebensmittelzeitung“, Mosas und Haubs Anwälte würden bereits darüber nachdenken, eine Sondergenehmigung bei Bundeswirtschaftsminister Gabriel zu beantragen, sollte das Kartellamt mauern.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands

Gleichzeitig wendet sich der Edeka-Chef per Brief an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, um ein paar „Anmerkungen zu den aktuellen Entwicklungen im deutschen Lebensmitteleinzelhandel“ loszuwerden. Wettbewerbliche Bedenken des Kartellamtes gingen „an der Realität des Lebensmitteleinzelhandels vorbei“, rügt Mosa darin. Das „Amt wird den Notwendigkeiten der Marktteilnehmer und der Verbraucher nicht gerecht“, schreibt der Edeka-Chef und schließt seine Attacke „mit freundlichen Grüßen“.

Mülheim, 12. März 2015: Tengelmann-Chef „Charly“ Haub erscheint in Jeans und Sneakers zum alljährlichen E-Commerce-Event seiner Unternehmensgruppe. Eine Drohne steigt in den blauen Himmel über der Zentrale, ein Tesla steht für Probefahrten bereit. Später bittet Haub seine betagte Mutter Helga auf die Bühne, um mit ihr vor rund 400 Onlinehändlern, Unternehmern und Investoren über die digitale Zukunft zu parlieren.

Das Supermarktgeschäft bereitet der Familie indes immer weniger Vergnügen. Die Hinweise verdichten sich, dass das Kartellamt den Deal kassieren wird. Ein paar Wochen später ist es so weit: Die Wettbewerbshüter untersagen den Verkauf an Edeka. Der würde langfristig zu einer „erheblichen Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen auf zahlreichen, ohnehin stark konzentrierten regionalen Märkten führen“, erklärt Kartellamtschef Mundt. Er hätte den „Fall gerne anders gelöst“.

So wäre ein Teilverkauf an Edeka durchaus möglich gewesen. Bis zu 170 der 451 Märkte hätte Edeka übernehmen können. Aber der Konzern wollte nicht. „Ich habe selten einen Fusionsfall gesehen, in dem wir so weit auseinandergelegen haben und es so schwierig war zusammenzukommen“, sagt Mundt.

Handelsexperten sind weniger über die Untersagung verblüfft als über die Chuzpe der Handelsfürsten. Hatten Mosa und Haub wirklich geglaubt, der Deal ginge ohne Kompromisse durch? Oder spekulieren sie auf ein Machtwort von Gabriel?

Was weder Konkurrenten noch Beobachter zu diesem Zeitpunkt wissen: Der Wirtschaftsminister ist bereits involviert. Noch vor der Anmeldung der Übernahme hatten Mosa und Haub Gabriel über ihre Pläne informiert. Im November 2014 gab es zudem ein Telefonat zwischen Haub und dem Minister.

Offiziell wird Gabriel erst Ende April 2015 Teil des Verfahrens: Edeka und Tengelmann beantragen die Ministererlaubnis. Auf 102 Seiten dröseln sie auf, warum der Deal nicht nur ihren eigenen Interesse, sondern dem Gemeinwohl dient. Ihr wichtigstes Argument: Nur die Gesamtübernahme sichere alle Jobs. Die Alternative dazu sei „eine Filetierung und damit verbunden der Verlust von mehr als der Hälfte der 16.000 Arbeitsplätze“, heißt es in dem Antrag.

April 2015 bis März 2016: Kampf um Ministererlaubnis


Daniel Zimmer prüft, Alain Caparros stört, Gabriel entscheidet

Bonn, April 2015: In einem schmucklosen Siebzigerjahre-Behördenbau im Ortsteil Duisdorf kommen fünf Professoren zusammen, um die deutsche Ordnungspolitik zu retten. Sie treffen sich hier jeden Monat, in einem Raum, ausgelegt mit grauem Nadelfilz und weißen Wänden an einem rechteckigen Tischgebilde, acht Stühle an jeder langen Seite, je drei am Kopfende. Hier tagt die Monopolkommission.

Den Vorsitz führt Daniel Zimmer, Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht, ein Marktgläubiger, der nicht viel von staatlich gelenktem Wettbewerb hält. Dem Gremium kommt im Ministererlaubnisverfahren eine wichtige Rolle zu. Parallel zu den Beamten im Ministerium prüft auch die Monopolkommission den Fall, kann Unterlagen anfordern und Gespräche mit den Beteiligten führen. Am Ende steht ein Gutachten, das für den Minister zwar nicht bindend ist, aber Signalwirkung hat. Setzt sich ein Minister über die Empfehlung der Monopolkommission hinweg, braucht er schon gute Gründe.

Auch im Bundestag steigt das Interesse an dem Fall. Die junge Grünen-Abgeordnete Katharina Dröge verfolgt das Gezerre um die Ministererlaubnis. In ihrer Fraktion glaubt eigentlich niemand, dass sich das Thema für die Opposition lohnt. Doch sie lassen Dröge loslegen.

Köln, 13. Mai 2015: Mit offenem Hemdkragen fläzt Rewe-Chef Caparros auf der Couch und plaudert mit französischem Akzent über Sinn und Unsinn veganer Ernährung, über die Performance des 1. FC Köln und natürlich über Tengelmann. „Herr Caparros, was werden Sie tun, wenn es eine Ministererlaubnis von Gabriel gibt und Edeka doch noch zum Zuge kommt?“

Das ist Kaiser's Tengelmann

Kaum steht die Frage der WirtschaftsWoche im Raum, schnellt Caparros angriffslustig nach vorn: „Wir werden alle rechtlichen Schritte nutzen, um einen Kauf durch Edeka zu verhindern.“ Es wäre fatal, so Caparros, wenn der Marktführer trotz aller Wettbewerbsbedenken seine Dominanz weiter ausbauen könnte.

Schon zuvor hatte der Rewe-Boss lautstark gegen den Deal gewettert. Es wäre ein „Super-GAU, wenn Gabriel Trauzeuge für diese dubiose Hochzeit sein sollte“, polterte der gebürtige Franzose und kündigte an: „Notfalls machen wir eine Sitzblockade vor dem Wirtschaftsministerium.“ Vor allem ein Satz im Antrag auf Ministererlaubnis bringt Caparros in Rage: „Eine Gesamtübernahme durch Rewe ist bisher der Tengelmann-Gruppe außer in Presseverlautbarungen konkret und direkt nicht angeboten worden“, heißt es darin.

Aus Caparros’ Sicht ist das eine dreiste Lüge. Er und sein für das Supermarktgeschäft zuständiger Vorstand Lionel Souque hatten bereits Anfang 2014 bei Haub angeklopft. Unterlagen belegen, dass Rewe Interesse an einem „vollständigen Erwerb“ der Kette geäußert und einen Kaufpreis von 400 bis 450 Millionen Euro in Aussicht gestellt hat. Mehrfach erneuert Caparros in der Folge das Angebot. Sein Kalkül: Caparros will zeigen, dass ein Verkauf an Edeka nicht alternativlos ist.

Als die Monopolkommission im August ihr Gutachten vorlegt, scheint der Rewe-Chef am Ziel. Auf 66 Seiten zerpflücken Zimmer und seine Mitstreiter die Edeka-Tengelmann-Liaison. Es ist ein vernichtendes Urteil. Doch der ordnungspolitische Paukenschlag verhallt, das Verfahren läuft weiter.

Die beteiligten Bundesländer reichen beim Ministerium Stellungnahmen ein. Gabriel trifft sich mit Gewerkschaftern, darunter Verdi-Chef Frank Bsirske. Vor allem Edekas Pläne, die Kaiser’s-Tengelmann-Filialen zu „privatisieren“, also nach der Übernahme an selbstständige Kaufleute weiterzureichen, sorgen bei der Gewerkschaftsbasis für Zündstoff. Allerdings bietet das Verfahren Bsirske die einmalige Chance, den Gewerkschaftseinfluss bei Edeka zu stärken. Wirtschaftsminister Gabriel, zugleich SPD-Vorsitzender, hat es in der Hand.

Berlin, 16. November 2015: Der Minister kommt als Letzter. Durch den Hintereingang bahnt sich Gabriel seinen Weg durch den stuckverzierten Eichensaal im Wirtschaftsministerium, vorbei an gut 150 Juristen und Journalisten, Unternehmenschefs und Ministeriumsmitarbeitern. Es ist der erste und einzige öffentliche Schlagabtausch in dem Verfahren, das über Wohl und Wehe der seit Jahren größten Übernahme im deutschen Lebensmittelhandel entscheidet. Zunächst hört Gabriel den Protagonisten des Verfahrens geduldig zu.

Haub und Mosa sind vor Ort, um für den Zusammenschluss zu werben. Rewe-Chef Caparros hält dagegen. Gabriel schaltet sich ab und an mit Fragen ein, werden ihm die nicht ausreichend beantwortet, legt er pampig nach.

Angesichts der Gesprächsführung ist Grünen-Politikerin Dröge schnell klar: „der will die Übernahme genehmigen, der prüft noch nicht mal Alternativen“. Tatsächlich reagiert Gabriel genervt, als Caparros bei der Anhörung sein Kaufangebot für Kaiser’s Tengelmann wiederholt. „Das Problem scheint mir zu sein, dass wir hier keine Verkaufsverhandlungen führen“, poltert der Minister.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Als wenig später das schriftliche Übernahmeangebot von Rewe eingeht, schreiben Gabriels Beamte aus der Wettbewerbsabteilung dem Minister einen Vermerk: Das Angebot des Mitbieters Rewe sei verbindlich, zudem hätten auch Mitglieder der Einkaufskooperation Markant Interesse signalisiert. Es gebe daher Zweifel an einer „wesentlichen Voraussetzung“ der Ministererlaubnis. Es sei „gerichtlich überprüfbar“, dass es mindestens einen weiteren potenziellen Erwerber gebe.

Was bleibt an Auswegen für Kaiser's Tengelmann?

Noch brisanter: Am 1. Dezember trifft der Minister Haub und Mosa zu vertraulichen Gesprächen. Dabei nutzt Mosa die Gelegenheit, dem Minister einen Schriftsatz seiner Anwälte in die Hand zu drücken. Auf sechs Seiten nehmen die Edeka-Juristen das Angebot des Konkurrenten Rewe auseinander. Caparros und andere Beteiligte erfahren davon zunächst nichts. Ebenso wenig wie über ein gemeinsames Treffen von Gabriel, Haub und Mosa am 18. Dezember. Im Anschluss vermittelt Gabriel auf Bitten Mosas noch einen Termin mit Verdi-Chef Bsirske, um zwei Tage vor Heiligabend über die Erfolgsaussichten von Tarifgesprächen zu reden.

Am 12. Januar 2016 geschieht das Unvermeidliche: Gabriel kündigt an, der Fusion unter Auflagen zuzustimmen. Am 17. März wird seine Entscheidung rechtskräftig: Gabriel erteilt die Ministererlaubnis. Von einem „guten Tag für unsere Beschäftigten“, spricht Haub. „Wir freuen uns über die Ministererlaubnis“, jubelt Mosa.

Zeitgleich informiert Wettbewerbsexperte Zimmer den Bundespräsidenten darüber, dass er als Regierungsberater und Vorsitzender der Monopolkommission nicht länger zur Verfügung stehe. Er verstehe ja jeden Angestellten von Kaiser’s und Tengelmann, der jetzt aufatme, weil sein Job erst einmal sicher sei, begründet der Wirtschaftsjurist seinen Schritt. „Aber bei der sogenannten Ministererlaubnis darf das allein keine Rolle spielen. Wenn der Minister die Fusion von Unternehmen erlaubt, obwohl das Kartellamt sie abgelehnt hat, dann muss das dem Gemeinwohl dienen. Gabriels Entscheidung müsste also die Beschäftigung insgesamt erhöhen. Das wird aber nicht passieren, wahrscheinlicher ist das Gegenteil.“

April 2016 bis heute: Kassensturz


Dröge fragt, Caparros klagt, Gabriel tobt, Haub handelt

Berlin, 13. April 2016: Der Wirtschaftsausschuss des Bundestags befasst sich mit Gabriels Ministererlaubnis. Noch immer sorgt die Entscheidung in der Hauptstadt für Verwirrung. Warum hat sich Gabriel über den Rat fast aller Experten hinweggesetzt? War die Verlockung zu groß, sich ein Jahr vor der Wahl als Retter von Tausenden Arbeitsplätzen zu inszenieren? Erst im Wirtschaftsausschuss äußert sich der Minister persönlich, erklärt, dass es keine besseren Angebote gegeben habe – auch nicht von Rewe. „Die Sicherung von 16.000 Arbeitsplätzen wäre damit nicht erreichbar gewesen“, sagt er und wirft der Grünen-Abgeordneten Dröge vor, dass sie nur mit Zahlen hantiere, während er sich um die Menschen sorge.

Nach dem Auftritt Gabriels stellt Dröge eine neue Kleine Anfrage. Diesmal will sie es genau wissen: Mit wem hat sich Gabriel wann getroffen? Es ist ein Katalog aus 39 Fragen. Und auch die Justiz interessiert sich für den Fall. Beim Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) sind Beschwerden der Handelskonzerne Rewe, Norma und Markant gegen die Ministererlaubnis eingegangen.

Düsseldorf, 12. Juli 2016: Eine solche Entscheidung hat es in dem neobarocken Gerichtsgebäude am Rheinufer noch nicht gegeben. Eine solche Entscheidung hat es in ganz Deutschland noch nicht gegeben. Im Eilverfahren setzt das OLG Düsseldorf Gabriels Ministererlaubnis außer Kraft. Der Grund: „Durch seine Verfahrensführung“, so das Gericht, sei gegen den Bundeswirtschaftsminister „die Besorgnis der Befangenheit begründet“.

Statt neutral und transparent zu agieren, habe Gabriel „geheime Gespräche“ mit Haub und Mosa geführt, monieren die Richter und meinen damit jene Treffen in der Vorweihnachtszeit, bei denen auch Unterlagen zum Rewe-Angebot übergeben wurden. Rewe und Markant mussten den Eindruck gewinnen, „der Minister führe das Verfahren einseitig“, heißt es in dem Gerichtsbeschluss.

Gabriel weiß um die Sprengkraft und geht direkt zum Gegenangriff über. Er bricht seinen Urlaub auf der Nordseeinsel Amrum ab, um sein Vorgehen zu verteidigen. Von Geheimgesprächen könne „nicht die Rede sein“. Weder sei er befangen, noch sei seine Erlaubnis eine „Gefälligkeitsentscheidung“ gewesen, sagt Gabriel, moniert seinerseits Fehler des Gerichts und kündigt rechtliche Schritte an.

Mitte November soll der Bundesgerichtshof entscheiden. Kaum hat sich die erste Aufregung gelegt, werden neue Details bekannt. Das Ministerium muss auf Dröges Anfrage hin weitere Kontakte zwischen Gabriel, Mosa und Haub einräumen. „Gabriel wollte von Anfang an diese Lösung“, ist die Politikerin überzeugt.

München, Herbst 2016: Fotos von Betriebsversammlungen zieren die Wände, in einer Ecke stapeln sich Plakate. „Vielen Dank Herr Haub“ steht auf einem nebst dem Zusatz: „Verkauft.“ Im Betriebsratsbüro sitzt Manfred Schick. Blaukariertes Hemd, sonnengebräuntes Gesicht; ein Kämpfertyp.

Seit 33 Jahren arbeitet er im Unternehmen, hat als Verkäufer angefangen, sich hochgearbeitet und ist nun Betriebsratsvorsitzender von Tengelmann München/Oberbayern. Gerade erst ist er aus dem Urlaub zurück. Doch die Ferienstimmung ist verflogen, seit Berichte die Runde machen, Eigentümer Haub wolle nicht mehr auf die Entscheidungen von Gerichten zur Ministererlaubnis warten, sondern die Reißleine ziehen.

„Statt Zerschlagungsszenarien brauchen wir ein Fortführungskonzept, das trägt, bis die Gerichte entschieden haben, oder es eine ‧inigung aller Beteiligten gibt“, fordert Schick. Wohldosiert drangen zuletzt Zahlen an die Öffentlichkeit, die ein dramatisches Bild des Unternehmens zeichnen.

So rechnet das Management allein in diesem Jahr mit Verlusten von rund 90 Millionen Euro. Es laufe auf Teilverkäufe und Entlassungen hinaus, heißt es intern. Die letzte Hoffnung: Rewe, Norma und Markant ziehen ihre Klagen gegen die Ministererlaubnis zurück und machen so den Weg frei. Doch kann das gelingen?

Um eine Lösung zu finden, bat Verdi-Chef Bsirske die Kontrahenten in den vergangenen Tagen mehrfach an den Verhandlungstisch.  Doch die Vertreter von Norma wurden zunächst nicht eingeladen, die Runde war nicht beschlussfähig. Ohnehin liegen die Positionen der Beteiligten dem Vernehmen nach noch immer weit auseinander. Von Kompensationszahlungen an Norma und Markant und der Aufteilung von Filialen zwischen Rewe und Edeka ist zwar als ein möglicher Kompromiss die Rede. Doch die Details sind offen, vor allem aber ist fraglich, ob ein solch veränderter Zuschnitt der Filialabgaben von der bestehenden Ministererlaubnis gedeckt wäre.

Was den Deutschen beim Einkauf wirklich wichtig ist

Viel Zeit für eine Einigung bleibt nicht. Bis diesen Freitag will Haub eine Lösung, ansonsten „wird der Vertrag mit Edeka enden und wir werden in die Einzelverwertung gehen“, kündigte er jüngst bereits an. Spätestens am Samstag könnte dann die Entscheidung fallen – und womöglich die Zeit der Schuldzuweisungen beginnen.

Je nach Ausgang der Verhandlungen dürften Mosa und Haub  im Zweifel wohl auf die Verantwortung von Caparros, von Gerichten und Wettbewerbshütern verweisen. Für Betriebsrat Schick trägt indes vor allem „der Eigentümer Verantwortung für die Lage“. Auch Wettbewerbsexperte Zimmer sieht die Schuld bei Haub. „Er hat sich von Anfang an auf Edeka versteift“, durch „Haubs Sturheit ist die Sache jetzt sehr schwierig geworden“.

Und Gabriel? Der habe mit seiner Ministererlaubnis „viel Zeit für die Rettung der Arbeitsplätze vergeudet“, sagt Dröge. Sie fordert nun eine Reform des Wettbewerbsrechts: Künftig sollte das Kartellamt nur dann überstimmt werden können, wenn das Parlament ein Mitspracherecht erhalte, so Dröge. „Die Ministererlaubnis muss raus aus dem Hinterzimmer.“

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