Auf der vielbemühten Achterbahn der Gefühle ging es Anfang der Woche für die Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann wieder einmal bergauf. Fraglich ist allerdings, wie nachhaltig die Hochstimmung ist.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel trat gemeinsam mit Verdi-Chef Frank Bsirske vor die Presse, um zu verkünden: „15.000 Verkäuferinnen, Fleischer, Lagerarbeiter, Fahrer, Verwaltungsmitarbeiter und alle anderen Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann können Weihnachten ohne Angst um ihren Arbeitsplatz feiern.“
Die Schlichtung in der Causa Kaiser’s Tengelmann durch Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Bert Rürup sei „erfolgreich abgeschlossen“, sie hätten einen „Interessensausgleich“ zwischen den Beteiligten erzielt.
Wie sicher ist der Deal?
Noch müssen wichtige Punkte zwischen Tengelmann-Eigentümer Karl-Erivan Haub, Edeka-Chef Markus Mosa und Rewe-Boss Alain Caparros abschließend geklärt werden, bevor Edeka Kaiser's Tengelmann im Rahmen der von Gabriel erteilten Sondergenehmigung (der sogenannten Ministererlaubnis) übernehmen darf. Derzeit rechnen Wirtschaftsprüfer durch, welchen Wert das Filialnetz hat und wie hoch der Kaufpreis ist, den Edeka an Haub überweisen muss. Grundlage dafür ist der Preis, auf den sich beide Seiten 2014 verständigt hatten. Edeka kann auf einen Nachlass hoffen - durch die zweijährige Hängepartie hat sich die Finanzlage bei Kaiser's Tengelmann weiter verschlechtert. Manche verunsicherten Kunden machten einen Bogen um die Läden, beim Wareneinkauf konnte Kaisers's Tengelmann mit dem Rücken zur Wand nicht mehr um bessere Konditionen feilschen.
Teil der Einigung ist, dass Rewe die Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf „unverzüglich“ zurückzieht (wie zuvor Norma und Markant), sobald die Verträge unterzeichnet sind. Erst dann ist der gefundene Kompromiss wirklich belastbar. So verwundert es nicht, dass der ausgefuchste Rewe-Chef Caparros, der sich öffentlich lange einen verbalen Kleinkrieg mit Haub lieferte, die Klage als Faustpfand bis zum Schluss aufrechterhalten will und bis jetzt noch nicht zurückgezogen hat. „Da sie (Rewe) das aber noch nicht getan haben, verstehe ich den Bundesminister nicht, der glaubt, es gibt keine Stolpersteine mehr“, kritisiert der Berliner Betriebsratschef von Kaiser's Tengelmann, Volker Bohne, im RBB-Inforadio den Wirtschaftsminister. „Es gibt ja einen riesigen“, glaubt Bohne.
Edeka hat in der Schlichtungsvereinbarung Rewe zugesagt, Filialen in Berlin mit einem Bruttoumsatz von 300 Millionen Euro an den Konkurrenten abzutreten. Auch soll Edeka in der Region Lager, Verwaltung sowie das Fleischwerk Perwenitz in Brandenburg übernehmen - inklusive der bis zu siebenjährigen Arbeitsplatzzusagen, die Gabriel in seiner Erlaubnis Edeka auferlegt hat. Unbekannt ist bislang, welche konkreten Filialen in der Hauptstadt Edeka an Rewe abgibt.
Anders als Verdi-Chef Frank Bsirske, der die Schlichtung und Gabriel in höchsten Tönen lobt, ist DGB-Chef Reiner Hoffmann deutlich zurückhaltender: „Wir hatten ja schon mal einen Kompromiss gehabt, der hatte gerade mal 24 Stunden gedauert“, sagte er in der ARD. Dank Gabriels Ministererlaubnis haben die Gewerkschaften aber eine starke Verhandlungsposition gegenüber Edeka und Rewe. So müssen Verdi und NGG die endgültige Vereinbarung zwischen Edeka und Rewe noch absegnen. Eigentlich hatte Gabriel Edeka für fünf Jahre verboten, Filialen von Kaiser's Tengelmann an selbstständige Edeka-Einzelhändler oder an Dritte - wie jetzt Rewe - abzugeben. Dank einer Öffnungsklausel ist das aber möglich, wenn die Gewerkschaften keine Einwände haben.
Es ist davon auszugehen, dass das Bundeskartellamt prüfen wird, wie sich die Einigung auf den Supermarkt-Wettbewerb in den drei Regionen Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin auswirkt. Nur dort ist Kaiser's Tengelmann aktiv. Im Umfeld von Wirtschaftsminister Gabriel ist man zuversichtlich, dass die Kartellwächter die Lösung nicht blockieren. Nach dpa-Informationen waren Spitzenbeamte des Kartellamts in die Schlichtungsgespräche eingebunden. Allerdings war das Kartellamt von Anfang an strikt gegen das Geschäft, weil es die Marktmacht von Edeka zementiere. So sehen andere Experten eine erneute Prüfung keineswegs als Selbstläufer. „Wenn die führenden Unternehmen einen wesentlichen Teil des Supermarkt-Marktes unter sich aufteilen, ist das eine Absprache, die den Wettbewerb zulasten der Verbraucher einschränken kann“, sagte der Chef der Monopolkommission, Achim Wambach, der „Rheinischen Post“.
Gabriel kündigte am Montag an, dass schon bis zum Wochenende die finanziellen Fragen zwischen Tengelmann, Edeka und Rewe geklärt sein sollen. Bis zum übernächsten Freitag (11. November) soll Rewe dann seine Beschwerde zurückziehen. Hinter den Kulissen heißt es aber, ganz so strikt sei der Fahrplan gar nicht - Hauptsache, am Ende gebe es eine verbindliche Lösung mit der Rettung der Jobs. In der Vereinbarung von Rewe und Edeka steht dazu wörtlich, eine Einigung werde bis zum 4. November „angestrebt“, die dann „möglichst“ bis zum 11. November umgesetzt werden soll. Ein handfestes Risiko bis zu einem Happy End bei Kaiser's Tengelmann gibt es noch: Wenn ein weiterer Wettbewerber vor Gericht Beschwerde einlegt. Dafür gibt es bislang aber keine Anzeichen.
Bis zum 11. November wolle Rewe-Chef Alain Caparros demnach seine Klage gegen die Ministererlaubnis von Gabriel zurückziehen und damit den Weg frei machen für die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka.
Dafür soll Rewe dem Vernehmen nach einen Teil der Berliner Filialen aus dem Kaiser’s-Tengelmann-Netz von Edeka erhalten. Und, weil die Journalisten ja oft schrieben, die Arbeitsplätze seien nur für fünf Jahre garantiert, setzte Gabriel trotzig nach: „Sie sind für sieben Jahre garantiert.“
Bsirske ließ es sich im Anschluss nicht nehmen, Schulterklopfer zu verteilen und Gabriel zu loben, ohne dessen Hartnäckigkeit es das Gelingen der Schlichtung nicht gegeben hätte. So weit, so gut. Zumindest vorerst.
Jörg Funder, geschäftsführender Direktor des Instituts für Internationales Handels- und Distributionsmanagement (IIHD) glaubt, es ist noch zu früh, um eine weitere Talfahrt auf der Achterbahn der Gefühle für die Tengelmann-Belegschaft auszuschließen. „Es gibt bei der Einigung noch zu viele Fragezeichen“, sagt er. „Solange keine Verträge unterzeichnet sind, ist nichts sicher – vor allem in Anbetracht der Historie dieser Übernahme.“
Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands
Bartells-Langness
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,09 Milliarden Euro (Schätzung)
Globus
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,23 Milliarden Euro
Rossmann
Umsatz mit Lebensmitteln in Deutschland: 5,18 Milliarden Euro
dm
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 6,33 Milliarden Euro
Lekkerland
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 8,98 Milliarden Euro
Metro (Real, Cash & Carry)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 10,27 Milliarden Euro (Schätzung)
Aldi (Nord und Süd)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 22,79 Milliarden Euro (Schätzung)
Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,05 Milliarden Euro (Schätzung)
Rewe-Gruppe
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,57 Milliarden Euro (Schätzung)
Edeka (inkl. Netto)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 48,27 Milliarden Euro
Quelle: TradeDimensions / Statista
Seit mehr als zwei Jahren streiten nun Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub und Edeka-Chef Markus Mosa mit Rewe-Chef Caparros über die Übernahme. Die Leidtragenden sind die Mitarbeiter bei Tengelmann. „Ich an Gabriels Stelle hätte mich da bedeckter gehalten“, sagt Funder.
Auch Volker Bohne, der Berliner Betriebsratschef von Kaiser’s Tengelmann, ist nicht abschließend überzeugt von Gabriels Äußerungen. Damit die Einigung und damit die Ministererlaubnis von Gabriel gültig ist, muss Rewe-Chef Caparros seinen Trumpf hergeben und die Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gegen die Ministererlaubnis zurückziehen. „Da sie (Rewe) das aber noch nicht getan haben, verstehe ich den Bundesminister nicht, der glaubt, es gibt keine Stolpersteine mehr“, kritisiert Bohne im RBB-Inforadio den Wirtschaftsminister. „Es gibt ja einen riesigen.“
Wie die WirtschaftsWoche von mit den Verhandlungen vertrauten Quellen erfahren hat, gibt es gleich drei Hürden, über die die Beteiligten durchaus noch stolpern könnten.
"Ich gehe davon aus, dass das Bundeskartellamt es prüfen wird"
So haben sich die Verhandlungsführer nicht darauf geeinigt, welche Filialen aus dem Berliner Kaiser’s-Tengelmann-Netz Rewe erhält. Edeka habe zwar zugesagt, Filialen mit einem Gesamtumsatzanteil von 20 Prozent an Rewe abzutreten, doch sagt der Umsatzanteil wenig über den tatsächlichen Wert und Zustand der Filialen aus. Hier besteht dem Vernehmen nach weiterer Verhandlungsbedarf.
Auch über einen Kaufpreis ist noch keine Einigung erzielt worden. Zwar betonte Gabriel, dass sei nicht Teil der Schlichtung gewesen, vielmehr solle ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer darüber entscheiden. Doch auch daran könnte eine abschließende Einigung scheitern.
Zudem sei offen, wie mit den Verlustbringern aus dem maroden Kaiser’s-Tengelmann-Netz verfahren werden soll – etwa den Filialen in NRW, der Logistik, der Verwaltung und den Fleischwerken. Darüber solle erst gesprochen werden, nachdem sich die Beteiligten über die Verteilung der Berliner Filialen geeinigt haben.
Kartellamt muss auch noch mitreden
Doch selbst wenn sich die Beteiligten endgültig einigen, wird das Bundeskartellamt bei der Weitergabe der Berliner Filialen mitreden. In einem ersten Schritt müsste Edeka alle rund 400 Kaiser’s-Tengelmann-Filialen übernehmen, da sonst die Ministererlaubnis ihre Gültigkeit verlöre. Im Anschluss würde Edeka dann, nicht mehr gedeckt durch die Ministererlaubnis, einige Filialen an Rewe veräußern.
Achim Wambach, Chef der Monopolkommission, sagte auf Anfrage der WirtschaftsWoche: „Ich gehe davon aus, dass das Bundeskartellamt es prüfen wird, wenn Edeka Filialen an Rewe abgibt oder verkauft.“ Da allerdings Vertreter des Bundeskartellamts in beratender Funktion an den Verhandlungen teilnahmen und das Bundeskartellamt in seiner Analyse aus dem vergangenen Jahr schon klarmachte, welche Märkte bedenklich sind und welche nicht, erscheint das Problem zumindest lösbar.
So zeigt sich Wambach auch insgesamt optimistisch. „Bis der Vertrag unterschrieben ist, kann immer noch etwas passieren. Aber vieles spricht für eine Einigung“, sagt er. „Die Alternative, dass die Beschwerde von Rewe Bestand hält und das Gericht eventuell die Ministererlaubnis kippt, ist für die beteiligten Parteien nicht attraktiv.“
Allerdings war das auch in den vergangenen zwei Jahren für zumindest einen der Beteiligten nie ein Grund, die Übernahme doch noch zu torpedieren.
Mit seinem Gang vor die Presse ist Gabriel in jedem Fall ein großes Risiko eingegangen. So sicher wie von ihm verkündet, sind die Arbeitsplätze der Tengelmann-Belegschaft längst noch nicht. „Er hat vor allem auf Rehabilitation abgezielt“, glaubt Funder. „Altkanzler Schröder und die SPD haben es gerichtet, das wollte er kommunizieren. De facto hat ein Altkanzler vielleicht ein Problem gelöst, das ein Möchtegernkanzler überhaupt erst verursacht hat.“
Und auch das steht erst am 11. November fest. Frühestens. „Das halte ich für einen ziemlich sportlichen Zeitraum“, sagt Funder.
Bis dahin heißt es bangen – für die Belegschaft und für Gabriel.