Kaiser's Tengelmann Die Friedensmission des Gerhard Schröder

Altkanzler Gerhard Schröder soll im Streit um die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann schlichten - und steht vor einer diplomatischen Herkulesaufgabe. Was auf den Ex-Politiker zukommt.

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Der Katalog des Scheiterns ist nur drei Seiten lang: 102 Filialen der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann zwischen Mülheim an der Ruhr und Frechen bei Köln werden darin aufgelistet. Interessenten sollen jene Läden „bitte ankreuzen“, die sie übernehmen wollen, und das Papier bis Mittwoch an die Tengelmann-Zentrale zurücksenden. Die werde ihnen dann „kurzfristig eine Antwort zukommen“ lassen, heißt es in den Unterlagen, die das Schicksal Tausender Menschen besiegeln könnt

Ihre letzte Hoffnung: Ein Schlichtungsverfahren mit Altkanzler Gerhard Schröder, das die Zerschlagung der maladen Supermarktkette doch noch abwenden soll. Auf Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und dem Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske hätten sich Edeka, Tengelmann und Rewe heute auf ein solches Verfahren verständigt, teilte das Wirtschaftsministerium am Montagabend mit. Die Rivalen Edeka, Rewe und Tengelmann sind damit zurück am Verhandlungstisch. Doch ob der Schröder-Coup gelingt ist alles andere als sicher.

Die Chefs der Handelsketten haben sich in den vergangen Monaten nach Kräften beharkt und hoch gepokert, die Atmosphäre ist vergiftet. Zudem geht es nicht nur um den Kauf der Kaiser'-Tengelmann-Filialen, auch andere Interessen dürften bei den anstehenden Schlichtungsgesprächen eine Rolle spielen - und könnten Schröder diplomatisches Geschick abverlangen, um einen Kompromiss zu erzielen. So stehen beide Konzerne vor grundlegenden Weichenstellungen, auf die der Verlauf des Verhandlungen Einfluss haben wird.

Die letzte Chance

Wie verhärtet die Fronten sind, wurde bei einem Gespräch der WirtschaftsWoche mit Rewe-Chef Alain Caparros vor einer Woche deutlich. Caparros saß am großen Besprechungstisch in seinem Büro in der vierten Etage der Kölner Rewe-Zentrale und redete sich in Rage. „Ein Desaster“ sei das, was bei den bisherigen Verhandlungen zu Kaiser’s Tengelmann herauskam. Tengelmann-Eigentümer Haub bescheinigt er das Verhalten eines „Sonnenkönigs“, Edeka-Chef Markus Mosa schlicht „Sturheit“. Caparros teilte aus. Mal wieder.

Die offenen Fragen zur Schlichtung im Fall Kaiser's Tengelmann

Seit Haub im Oktober 2014 den Verkauf seiner Supermärkte an Edeka verkündete, geht das schon so. Mit Verve argumentierte, polterte und klagte der Rewe-Chef gegen den Deal. Und brachte ihn schließlich zu Fall: Die Komplettübernahme durch Edeka ist vom Tisch, das wichtigste Ziel aus Sicht von Rewe damit erreicht. Dennoch gab sich Caparros zerknirscht. „Es ist bitter“, sagte er. Tausende Stellen könnten bei Kaiser’s Tengelmann wegfallen, obwohl die Beteiligten bei den Rettungsgesprächen in den vergangenen Wochen über „deutlich bessere Lösungen“ verhandelt hätten.

Schröders Mission

Zum Zeitpunkt des Interviews war noch nicht bekannt, dass Schröder den Schlichterjob übernehmen würde. Doch trotz aller Kritik an seinen Kontrahenten ließ Caparros mit einem Friedenssignal aufhorchen. „Solange keine Filiale den Besitzer gewechselt hat, ist eine Einigung zumindest denkbar“, sagte Caparros und forderte, mit „einem Mediator noch einmal nach Kompromissen zu suchen“. Das ist nun Schröders Mission. Ebenfalls an Bord geholt werde der langjährige Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Bert Rürup. „Für die Unternehmen werden die Vorstandsvorsitzenden an der Mediation teilnehmen“, hieß es weiter. Ziel sei es, auf der Grundlage der von Gabriel erteilten Ministererlaubnis für die Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka zeitnah einen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten zu ermöglichen. „Für die Dauer des Verfahrens wird keine Übergabe von Tengelmann-Filialen an Dritte erfolgen und ist zwischen den Parteien Stillschweigen vereinbart“, heißt es in der Mitteilung. Damit ist die Zerschlagung der kriselnden Kette zunächst gestoppt.

Schon am Wochenende hatte es Bewegung gegeben. Nach der Discount-Kette Norma hatte sich auch der Konkurrent Markant zur Rücknahme der Klage gegen die umstrittene Ministererlaubnis für einen Verkauf der Supermarktkette an Edeka bereiterklärt, wie Tengelmann-Eigentümer Karl-Erivan Haub am Sonntagabend mitteilte. Damit bleibt nun nur noch Rewe als Kläger gegen die Ministererlaubnis - und könnte wohl vor allem Standortpaketen überzeugt werden, das Verfahren Ruhen zu lassen. Ob das gelingt, ist allerdings offen. Denn die Zeit für eine Verständigung ist knapp. Kaiser's Tengelmann schreibt jeden Monat Millionenverluste, die Haub nicht mehr tragen will. Mitte November stehen Gerichtsentscheidungen an, die die Zerschlagung zementieren könnten. Zudem machen die beteiligten Konzerne Druck, müssen die Chefs von Edeka und Rewe neben Krisengipfeln auch das Tagesgeschäft stemmen. Auch dort gibt es reichlich zu tun.

 Keine Doppelspitze

So wird bei Rewe derzeit die gesamte Führungsstruktur des Konzerns umgekrempelt – und nebenher die Nachfolge von Caparros geregelt. Ende 2016, spätestens Anfang 2017 – und damit früher als erwartet – will der Aufsichtsrat entscheiden, wer den Chefposten übernimmt, wenn sich Caparros Ende 2018 nach dann zwölf Jahren im Amt verabschiedet. Statt wie bisher sechs sollen nur noch vier Vorstände den Konzern mit zuletzt 52,4 Milliarden Euro Umsatz steuern und die Bereiche Handel national, Handel international, Finanzen und Tourismus abdecken.

Noch ist das Rennen um Caparros’ Nachfolge nicht endgültig entschieden. Intern zeichnet sich mit Lionel Souque allerdings ein Favorit ab. Der Franzose leitet das deutsche Supermarktgeschäft, das 2015 rund 17,7 Milliarden Euro Umsatz in die Kassen gespült hat. Auch in die Verhandlungen um Kaiser’s Tengelmann war er involviert. Neben ihm hat höchstens sein Vorstandskollege Jan Kunath Chancen, der zunächst die Baumarkttochter Toom auf Kurs brachte und seit 2010 Rewes Discountableger Penny leitet.

Die Hängepartie bei Kaiser's Tengelmann

Caparros selbst äußert sich nicht zu den Kandidaten. Nur so viel: „Wir haben auf jeden Fall eine sehr gute Mannschaft im Vorstand.“ Eine Doppelspitze schließt er aus: „Das funktioniert nicht“, so Caparros. Sie sei allenfalls eine Lösung, „wenn man nicht mehr weiß, was man machen soll“.

Der Konzern plant für 2017 den Start neuer Konzeptmärkte. Statt des klassischen Supermarktmixes aus Tütensuppen, Tiefkühlpizza und Tabascowürze sollen die neuen Märkte zu 80 Prozent frische Artikel wie Gemüse, Fleisch und regionale Bioprodukte anbieten.

Zudem sollen in den Läden, die sich an der französischen Handelskette Grand Frais orientieren, Brot und Brötchen frisch gebacken werden. Caparros’ Kalkül: Künftig werden Kunden immer mehr Vorratsartikel und Teile des sogenannten Trockensortiments online bestellen. Rewe will mit den Frischeläden und dem Ausbau des eigenen Onlinegeschäfts dagegenhalten.

Aufbruch ins Neuland

Vor allem der Vorstoß von Amazon schreckt die Zunft. Der Internetgigant schickt sich an, mit seinem Lieferdienst Amazon Fresh den deutschen Lebensmittelmarkt zu entern. Fieberhaft rüsteten neben Rewe Branchengrößen wie Kaufland, Metro und dm jüngst ihr Digitalgeschäft auf.

Auch Edeka-Chef Mosa ist alarmiert. „Wenn Amazon einsteigt, müssen wir reagieren“, sagte er schon im Frühjahr. Doch anders als die Konkurrenz hat Edeka bis heute keinen Onlineshop für Lebensmittel gestartet. Das Problem: Das Unternehmen mit 48,4 Milliarden Euro Umsatz ist in sieben Regionalgesellschaften aufgeteilt, in denen rund 4000 selbstständige Kaufleute das Sagen haben. Eine einheitliche Lieferstruktur fehlt. Das macht den Aufbau eines zentralen Onlineshops zum Geduldsspiel. Eigentlich sollte die Tengelmann-Übernahme Abhilfe schaffen. Zum Gesamtpaket gehörte auch der Lebensmittel-Lieferdienst Bringmeister, den Edeka als Plattform nutzen wollte. Nun muss neu verhandelt werden. Das Bringmeister-Geschäft leidet bereits, entnervt haben Mitarbeiter den Dienst quittiert. Hält die Entwicklung an, kann Mosa nur noch einen Sanierungsfall kaufen.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands

Doch nicht nur die digitalen Defizite muss der Edeka-Anführer beheben. Scheitert die Schlichtung und kommt es zur Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann kann sein Konzern zwar darauf bauen, mehr als 100 Märkte von Haubs Resterampe zu übernehmen. Schließlich hat der Tengelmann-Patron bereits angekündigt, Edeka bei kartellrechtlich unproblematischen Standorten zu bevorzugen. Doch ursprünglich war der Kauf von 451 Filialen geplant – und selbst die Komplettübernahme hätte das Kerndilemma nicht wirklich gelöst. Edeka nähert sich der Wachstumsgrenze. Zusammen mit dem konzerneigenen Billigheimer Netto Markendiscount kontrolliert die blau-gelbe Truppe ein Netz von rund 11 400 Märkten in Deutschland. Zusätzliche Läden lassen sich kaum mehr eröffnen, ohne bestehenden Filialen Kunden abzujagen.

Starke Kaufleute, schwaches Management

Jenseits der deutschen Grenzen tritt Edeka, anders als Rewe, Aldi und Lidl gar nicht an. Will Mosa weiter wachsen, muss er über kurz oder lang den Sprung ins Ausland wagen. Doch die Expedition ins stationäre Neuland ist teuer und womöglich eine Nummer zu groß.

Zumindest Caparros schürt Zweifel an der Führungscrew: Edeka sei zwar ein „super Unternehmen“, lobt er. Allerdings beruhe die Stärke „auf den Kaufleuten und nicht auf dem Management“. Das klingt nicht unbedingt nach den versöhnlichsten Tönen für eine Kompromisslösung.

Das OLG Düsseldorf hat die Ministererlaubnis für die Übernahme der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann durch Edeka gestoppt. Die Begründung ist eine Ohrfeige für Sigmar Gabriel. Der wehrt sich jetzt.
von Stephan Happel, Nora Jakob, Katja Joho
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