
Die Geschichte der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann ist eigentlich zu Ende. Die letzten Filialen sind verkauft. An den meisten der Geschäfte prangen schon neue Namen: Edeka, Rewe oder Netto. Und dennoch hat das Schicksal der Supermarktkette am Mittwoch noch einmal das Oberlandesgericht Düsseldorf beschäftigt. Der Prozess hat große Bedeutung für den Wettbewerb im deutschen Einzelhandel.
Worum geht es vor Gericht?
Das Bundeskartellamt hatte 2015 zunächst die Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka verboten. Dagegen haben Edeka und Tengelmann vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geklagt. Tengelmann-Eigentümer Karl-Erivan Haub wollte feststellen lassen, dass der Beschluss der Wettbewerbshüter rechtswidrig war. Edeka ging sogar noch einen Schritt weiter und wollte den Beschluss des Amtes für unwirksam erklären lassen.
Wozu soll das jetzt noch gut sein?
Zwar hat Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) das Kartellamtsveto bereits per Ministererlaubnis ausgehebelt und damit den umstrittenen Zusammenschluss am Ende doch noch ermöglicht. Dennoch ist der Prozess alles andere als belanglos. Es geht nicht zuletzt um viel Geld. Stünde am Ende der juristischen Auseinandersetzungen das Ergebnis, dass das Veto des Kartellamts rechtswidrig war, dann könnte Tengelmann versuchen, mit einer Staatshaftungsklage Schadenersatz zu verlangen. Nach Informationen des Branchenblatts „Lebensmittel Zeitung“ beziffern die Mülheimer den Schaden, der ihnen durch die Untersagung entstanden sein soll, in Schriftsätzen ihrer Anwälte auf rund 100 Millionen Euro.
Die schier unendliche Geschichte einer Übernahme
Die Tengelmann-Gruppe gibt bekannt, aus dem Supermarktgeschäft auszusteigen und seine 451 Kaiser's-Tengelmann-Filialen mit knapp 16.000 Angestellten an Edeka verkaufen zu wollen.
Das Bundeskartellamt äußert Bedenken wegen einer möglichen „Verdichtung der ohnehin schon stark konzentrierten Marktstrukturen“ und Nachteilen für Verbraucher und Lebensmittel- und Konsumgüterhersteller.
Das Kartellamt untersagt die Übernahme. Die Unternehmen gehen gegen das Verbot gerichtlich vor.
Tengelmann und Edeka beantragen bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Sondererlaubnis, um das Nein des Kartellamts auszuhebeln. Sie betonen, dass nur die Gesamtübernahme durch Edeka die 16.000 Arbeitsplätze von Kaiser's Tengelmann sichere und bei einer Zerschlagung mindestens 8000 Stellen wegfallen würden.
Die Monopolkommission fordert Gabriel auf, das Geschäft nicht zu genehmigen – auch nicht unter Auflagen. Sie argumentiert, dass mögliche Gemeinwohlvorteile die zu erwartenden Wettbewerbsbeschränkungen nicht aufwiegen. Zudem zweifelt die Kommission die Jobsicherung an: Bei Doppelstandorten könnten Stellen bei Edeka wegfallen.
Gabriel stellt eine Ministererlaubnis unter Bedingungen in Aussicht. Er kündigt an, das Geschäft zu genehmigen, wenn Edeka 97 Prozent der Jobs bei Kaiser's Tengelmann für mindestens fünf Jahre sichert. Auch soll Edeka die drei Birkenhof-Fleischwerke mindestens drei Jahre halten.
Gabriel verschärft die Auflagen: Zusätzlich zu den „aufschiebenden Bedingungen“, die vor Vollzug der Übernahme erfüllt sein müssen, formuliert er „auflösende Bedingungen“. Das Geschäft könnte damit bei Verstößen gegen diese Auflagen rückgängig gemacht werden.
Der Minister gibt seine Erlaubnis unter Auflagen bekannt. Er begründet dies mit der Sicherung der Arbeitsplätze. Rewe, Markant und Norma reichen Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ein. Parallel stellen Rewe und Markant einen Eilantrag, um zu verhindern, dass die Übernahme vor der Gerichtsentscheidung unter Dach und Fach gebracht wird.
Das OLG Düsseldorf legt die Übernahme auf Eis. Es stuft die Ministererlaubnis im Eilverfahren als rechtswidrig ein – unter anderem wegen möglicher Befangenheit Gabriels. Außerdem sieht das Gericht im Erhalt der Arbeitnehmerrechte keinen Gemeinwohlgrund. Gabriel weist die Vorwürfe zurück.
Edeka legt gegen den OLG-Eilbeschluss beim Bundesgerichtshof (BGH) eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde ein. Auch Tengelmann und das Bundeswirtschaftsministerium rufen den BGH kurz darauf an.
Edeka hat sämtliche Tarifverträge mit Verdi für die Übernahme von Kaiser's Tengelmann in der Tasche. Wenige Tage später folgt die Einigung mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten für die rund 400 Beschäftigten der drei Birkenhof-Fleischwerke. Damit erfüllt Edeka Auflagen der Ministererlaubnis.
Das OLG Düsseldorf setzt für den 16. November eine Verhandlung für das Hauptverfahren gegen die Ministererlaubnis an. Am 15. November will der BGH über die Beschwerden gegen das Vorgehen des OLG aus dem Eilverfahren entscheiden.
Verdi ruft zu einem Spitzengespräch. Tengelmann, Edeka, Rewe, Markant und die Gewerkschaft einigen sich darauf, an einer „tragfähigen, gemeinsamen Lösung“ arbeiten zu wollen.
Nach einer Aufsichtsratssitzung erklärt Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, er gebe der Suche nach einer gemeinsamen Lösung noch eine letzte Chance. Die Frist dafür beträgt zwei Wochen. Dann entscheidet er, ob er die Kette zerschlägt.
Bei einem zweiten Spitzentreffen vereinbaren die Supermarktchefs überraschend, dass die Edeka-Konkurrenten ihre Klage zurückziehen und damit den Weg frei machen für die Übernahme. Sie geben sich Zeit bis zum 17. Oktober.
Die Gespräche werden am 13. Oktober vor Ablauf der Einigungsfrist abgebrochen. Tengelmann-Eigentümer Karl-Erivan Haub fühlt sich von Rewe-Chef Alan Caparros übervorteilt und will die Mitarbeiter am 14. Oktober über die Zerschlagung der Supermarktkette informieren.
Und was bezweckt Edeka?
Deutschlands größtem Lebensmittelhändler geht es, wie zu hören ist, weniger um Schadenersatz. Der Handelsriese möchte geklärt haben, ob die strengen Maßstäbe, die das Bundeskartellamt im Fall Tengelmann für Übernahmen im Lebensmittelhandel anlegte, wirklich rechtmäßig waren. Würde die Entscheidung des Kartellamts am Ende bestätigt, so könnte Edeka wohl alle Pläne begraben, in Deutschland in Zukunft noch durch Zukäufe zu wachsen. Verliert die Wettbewerbsbehörde, sähe das ganz anders aus. Dann würden Übernahmen nach Einschätzung von Kartellrechtsexperten erleichtert.
Und wer hatte vor dem Oberlandesgericht am Ende die besseren Karten?
Das Bundeskartellamt. Der 1. Kartellsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts wies die Klagen von Edeka und Tengelmann am Mittwoch als unbegründet ab. Das Vorgehen der Wettbewerbsbehörde sei rechtmäßig gewesen. Der Vorsitzende Richter, Jürgen Kühnen, betonte in der mündlichen Verhandlung, in den Augen des Senats bestehe kein Zweifel, dass Edeka durch die Übernahme von Kaiser's Tengelmann in mindestens zwei regionalen Märkten - in Berlin-Kreuzberg und in Berlin-Friedrichshain - eine marktbeherrschende Stellung gewonnen hätte.
Ist der Streit damit endgültig vom Tisch?
Noch nicht. Denn das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zwar ließ das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof nicht zu. Doch können Edeka und Tengelmann binnen eines Monats dagegen Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einreichen. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung dürfte also noch etwas Zeit vergehen.
Was ist eigentlich aus den Kaiser's Tengelmann-Filialen geworden?
Der größte Teil der Geschäfte ist bereits auf die Marken der neuen Eigentümer - Edeka, Netto und Rewe - umgestellt worden. Doch in Bayern und Nordrhein-Westfalen gibt es noch Geschäfte, die weiter das Logo von Kaiser's Tengelmann tragen. Die verkauften Waren stammen allerdings aus den Beständen der neuen Eigentümer. Am längsten werden die Kaiser's-Leuchtreklamen wohl noch in Nordrhein-Westfalen zu sehen sein. Nach Angaben eines Firmensprechers soll dort die Umstellung auf die Marke Edeka erst Mitte nächsten Jahres abgeschlossen werden.