Kaiser's Tengelmann "Die Hauptverantwortung liegt bei Haub"

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"Gabriel blendet die langfristige Perspektive aus"

Der Wirtschaftsminister kommt in seiner Bewertung zu anderen Schlussfolgerungen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Über die Beweggründe von Herrn Gabriel kann ich nichts sagen. Wichtig ist eine sachliche Beurteilung dieser Übernahme. Der Minister blendet nach meiner Wahrnehmung die langfristige Perspektive aus. Bei Gemeinwohlerwägungen geht es aber nicht nur um die Arbeitsplätze in einem bestimmten Unternehmen und nicht nur um kurzfristige Konsequenzen.

Was bleibt an Auswegen für Kaiser's Tengelmann?

Sondern?
Bei einer auf ein Arbeitsplatzargument gestützten Gemeinwohlargumentation sind alle Arbeitsmarktwirkungen einzubeziehen – nicht nur positive, sondern auch mögliche negative Effekte der Fusion für die Beschäftigungslage. 

Angesprochen auf Ihre Kritik, führte Gabriel gestern am Rande einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses im Bundestag an, Ihr Vorgänger als Vorsitzender der Monopolkommission, Justus Haucap, beurteile den Fall völlig anders als Sie. Das zeige doch, dass Wissenschaftler zu unterschiedlichen Ansichten kämen.
Wissenschaftler kommen bei der Beurteilung bestimmter Zusammenhänge oft zu unterschiedlichen Ansichten. Man muss sehr genau hinschauen, welcher Wissenschaftler was sagt. Mitunter sind Wissenschaftler auf der einen oder anderen Seite eines Verfahrens als Gutachter tätig gewesen, was ihre Äußerung in einem andern Licht erscheinen lassen kann.

Sie spielen darauf an, dass Haucap im Auftrag von Tengelmann ein Gutachten zu den wettbewerbsrechtlichen Folgen einer Fusion mit Edeka erstellt hat?
Herr Haucap hat das selbst offengelegt.

Wer ist Schuld daran, dass die Situation so verfahren ist?
Die Hauptverantwortung liegt beim Eigentümer von Kaiser’s Tengelmann…

… also bei Karl-Erivan Haub.
Spätestens als vor eineinhalb Jahren das Bundeskartellamt die Komplettübernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka untersagt hat, hätte er Alternativen in Betracht ziehen müssen. Er hat die ganze Zeit stur an dem Verkauf an Edeka festgehalten. Hätte er das nicht getan, wäre längst eine tragfähige Lösung möglich gewesen. Eine, die vor dem Bundeskartellamt Bestand hat.

Deals, die zum Fall für den Wirtschaftsminister wurden
Die erste jemals erteilte Ministererlaubnis nach Einführung der Fusionskontrolle betraf den Energiesektor: Die Veba AG, 1929 als Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG gegründet, wollte den Mineralölbereich der Gelsenberg AG übernehmen. Das Bundeskartellamt untersagte den Zusammenschluss der Konzerne, doch der Wirtschaftsminister gab ihn am 1. Februar 1974 mit einer Ausnahmeerlaubnis frei. Die Ministererlaubnis wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bisher erst acht Mal Realität.Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Quelle: AP
Die Erlaubnis kann nur der Bundeswirtschaftsminister erteilen. Voraussetzung dafür ist nach Paragraf 24 des Kartellgesetzes, dass „die gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ die Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen oder der Zusammenschluss durch ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ gerechtfertigt ist. Doch schon bei der dritten Entscheidung schätze der Wirtschaftsminister die Lage offenbar falsch ein: Hans Friederichs gab 1976 dem Babcock-Konzern (später Babcock Borsig) die Erlaubnis zur Übernahme des Maschinenbauers Artos. Friderichs entschied damals entgegen der Warnungen des Bundeskartellamtes und auch der Monopolkommission. Friederich gab den „Erhalt von Arbeitsplätzen in strukturschwachen Regionen“ als Grund für seine Sondererlaubnis an. Doch kaum ein Jahr später kündigte Babcock-Artos Hunderten von Mitarbeitern. Quelle: AP
Nicht nur der Erhalt von Arbeitsplätzen kann als Begründung für eine Ministererlaubnis herhalten. Auch wenn es um die Sicherung von technologischem Know-how geht, kann Berlin das Kartellamt überstimmen. Das war im Fall von Thyssen/Hüller im Jahr 1977 der Fall. Der Bundeswirtschaftsminister bejahte das Allgemeininteresse an der Erhaltung der konkursgefährdeten Hüller Hille GmbH und erteilte eine Teilerlaubnis. Thyssen durfte das Unternehmen übernehmen. Quelle: REUTERS
Der Eon-Vorgängerkonzern Veba bekam 1974 die erste Ministererlaubnis zur Übernahme von Gelsenberg. Doch nur fünf Jahre später war vom „überragenden Interesse der Allgemeinheit“ an diesem Deal offenbar nicht mehr viel übrig: Die Veba reichte die Gelsenberg-Beteiligung 1979 an BP weiter. Mit Billigung des Wirtschaftsministers, aber unter Auflagen. Quelle: AP
1981 war der Wirtschaftsminister erneut gefragt, als die IBH-Gruppe des windigen Firmenjongleurs Horst-Dieter Esch (im Bild) den Betonpumpen-Hersteller Wibau übernehmen wollte. Die Entscheidung endete in einem Fiasko. Otto Graf Lambsdorf überstimmte die Bedenken des Kartellamtes per Ministererlaubnis. Der FDP-Politiker sah in der internationalen Konkurrenzfähigkeit des Esch-Konzerns einen „gesamtwirtschaftlichen Vorteil“, der „im überragenden Interesse der Allgemeinheit“ liege. Doch siehe da: Keine zwei Jahre später war die IBH-Wibau-Gruppe pleite und Esch wurde wegen Untreue und aktienrechtlicher Verstöße verurteilt. Er saß dreieinhalb Jahre ab. Wibau-Chef Spicka wurde gar wegen Betrugs und Bilanzfälschung zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Quelle: dpa
1989 gelang es Daimler, die Fusion mit dem Luft- und Raumfahrtkonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) durchzusetzen. FDP-Wirtschaftsminister Helmut Haussmann verband die Genehmigung aber mit großen Auflagen. Das sorgte für Unmut bei der Opposition: SPD-Vertreter drohten, gegen die Entscheidung vor Gericht zu ziehen. Quelle: DAPD
Eon pokerte hoch – und gewann: Nach monatelangem Verhandlungen einigte sich der Energiekonzern 2002 außergerichtlich mit allen Gegnern der Fusion mit Ruhrgas. Der Wirtschaftsminister genehmigte mit Auflagen. Das Bundeskartellamt und die Monopolkommission hatten die Fusion zwar abgelehnt - sie hielten die Gefahr für den freien Wettbewerb für zu hoch -, doch Experten befürworteten den Deal. Eon als auch Ruhrgas würden international gestärkt, hieß es. Zehn Jahre nach der Übernahme war der Name Ruhrgas verschwunden. Quelle: dpa

Die Chefs von Edeka, Tengelmann und des Wettbewerbers Rewe sowie Vertreter von Verdi wollen heute über die Zukunft von Kaiser's Tengelmann sprechen. Erwarten Sie eine Lösung von diesem Gespräch?
Angenommen, die Beteiligten würden sich  auf eine Aufteilung der Filialen zwischen Edeka und Rewe einigen, dann müsste zunächst der Verkaufsvertrag zwischen Haub und Edeka aufgehoben werden. In dem Moment, in dem der Verkaufsvertrag aufgehoben wird, ist die Ministererlaubnis gegenstandslos und es wäre eine erneute Prüfung durch das Bundeskartellamt erforderlich.

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