
Das zweijährige Ringen um die Kaiser’s-Tengelmann-Übernahme durch Edeka könnte ein jähes Ende nehmen. Auf dem Spiel stehen Tausende Arbeitsplätze. Für Eigentümer Karl-Erivan Haub, das klingt implizit mit, haben andere Schuld an der aktuellen Misere: die Wettbewerber, allen voran Rewe, die Wettbewerbshüter und nicht zuletzt das Oberlandesgericht Düsseldorf. Allesamt hätten sie die Übernahme durch Edeka torpediert. Doch so einfach ist es nicht.
Die Probleme von Kaiser’s Tengelmann haben schließlich nicht erst mit den Scharmützeln um die Übernahme ihren Anfang genommen. Seit der Jahrtausendwende soll die angeschlagene Supermarktkette, die einst das Tengelmann-Imperium begründete, rund 500 Millionen Euro Verlust angehäuft haben. Zurzeit kommen wohl jeden Monat zehn weitere Millionen Euro Miese dazu.
„Das zentrale Problem von Kaiser’s Tengelmann ist, dass sie als Unternehmen zu klein sind“, sagt Jörg Funder, geschäftsführender Direktor des Instituts für Internationales Handels- und Distributionsmanagement (IIHD). Dabei zählten bis zur Jahrtausendwende noch rund 1300 Filialen zu Haubs Supermarkt-Reich. Rein von der Größe her wäre die Kette damals durchaus konkurrenzfähig gewesen.
Das ist Kaiser's Tengelmann
Verglichen mit Edeka oder Rewe ist die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann ein Zwerg. Sie betrieb Ende 2015 noch 446 Filialen in Deutschland und erwirtschaftete mit knapp 15 300 Mitarbeitern einen Nettoumsatz von 1,78 Milliarden Euro.
Quelle:dpa
Einst bundesweit vertreten, finden sich die Filialen heute nur noch im Großraum Berlin, in München und Oberbayern sowie in Teilen Nordrhein-Westfalens. Die meisten Geschäfte - insgesamt 188 - gab es zum Jahresanfang noch in München und Oberbayern. Im Großraum Berlin betrieb die Kette weitere 133 Supermärkte, 125 Filialen lagen im Rheinland. Aktuell dürften es allerdings schon wieder einige weniger sein. Denn die Geschäftsführung geht davon aus, dass zum Ende des Jahres nur noch 405 Filialen vorhanden sein werden.
Das Familienunternehmen kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, die bis ins Jahr 1876 zurückreicht. Damit ist Kaiser's Tengelmann nach eigenen Angaben das älteste Lebensmittel-Handelsunternehmen Deutschlands. Doch summierten sich die Verluste seit der Jahrtausendwende auf mehr als 500 Millionen Euro.
Viel übrig ist davon nicht. Haub hat Filialen abgespalten, umfirmiert und verkauft. Nun geht es um das Schicksal der verbleibenden 430 Märkte und das der Angestellten dort. Doch wie konnte die einstige Keimzelle der Tengelmann-Gruppe so tief fallen?
1. Die richtige Strategie zur falschen Zeit
Über Jahrzehnte geprägt von Billigheimer Aldi, waren die Deutschen vor allem eines – auf Sparsamkeit bedacht. Gemessen am Einkommen gab bis vor wenigen Jahren kaum ein Land so wenig Geld für Nahrungsmittel aus wie Deutschland. Während hierzulande die meisten Kunden auf den Preis stierten, ging Kaiser’s Tengelmann früh einen anderen Weg. Offenbar zu früh.
Die Supermarktkette trennte sich in den Achtzigern von unethischen Produkten wie Schildkrötensuppe, die heute in Deutschland kaum noch ein Mensch kennt – damit war sie damals Vorreiter. In den Neunzigern brachte die Kette mit Naturkind eine Bio-Eigenmarke in die Filialen. Heute hat das jeder gute Supermarkt vorzuweisen, damals bleiben es Nischenprodukte.
„Kaiser’s Tengelmann hat es über die gehobene Preisstrategie und den Fokus auf ökologisches und nachhaltiges Einkaufen nicht geschafft, Kunden für sich zu gewinnen“, sagt Funder. Ein Strategieschwenk wäre für Haub und seine Manager aus Sicht des Handelsexperten auch nicht ohne weiteres möglich gewesen. „Um das Konzept einfach komplett umzugestalten, waren sie zu groß.“ So kämpften die Tengelmann-Filialen gegen Supermärkte an, die auf einem vielfachen der Fläche deutlich mehr Waren anbieten konnten.
Aus heutiger Sicht hätte es sich für Kaiser’s Tengelmann lohnen können, die Nachhaltigkeits-, Frische- und Service-Angebote weiter auszubauen. In den letzten Jahren eröffneten zahlreiche Bio-Läden in den Innenstädten, jeder Supermarkt präsentiert große Frischetheken und eine mannigfaltige Auswahl an Bio-Produkten – und auch die Discounter rüsten heute dahingehend auf. Aus gutem Grund: Ein Drittel der Deutschen legt nach einer Studie der BVE und GfK Wert auf nachhaltige und gesunde Ernährung. Hätte Kaiser’s Tengelmann sich dahingehend weiterentwickelt, „hätte die Kette in den letzten zehn Jahren zwar Verluste eingefahren, stünde aber heute womöglich deutlich besser da“, meint Funder.
Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands
Bartells-Langness
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,09 Milliarden Euro (Schätzung)
Globus
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,23 Milliarden Euro
Rossmann
Umsatz mit Lebensmitteln in Deutschland: 5,18 Milliarden Euro
dm
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 6,33 Milliarden Euro
Lekkerland
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 8,98 Milliarden Euro
Metro (Real, Cash & Carry)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 10,27 Milliarden Euro (Schätzung)
Aldi (Nord und Süd)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 22,79 Milliarden Euro (Schätzung)
Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,05 Milliarden Euro (Schätzung)
Rewe-Gruppe
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,57 Milliarden Euro (Schätzung)
Edeka (inkl. Netto)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 48,27 Milliarden Euro
Quelle: TradeDimensions / Statista
So waren über die Jahre immer mehr der über 1300 Märkte nicht profitabel, weswegen Kaiser’s Tengelmann sich bereits 1999 in eine Übernahme durch Edeka flüchten wollte. Edeka war damals nur an den profitablen Standorten interessiert, die Verhandlungen scheiterten, Kaiser’s Tengelmann manövrierte weiter ziellos.