Kampf der Biosupermärkte Wie Handelsketten das Biogeschäft umpflügen

Das Geschäft mit Biolebensmitteln ist die große Wachstumshoffnung der Branche. Die Folge: Preiskämpfe, Massenproduktion und ungebremste Expansion, ausgerechnet die Pioniere bleiben auf der Strecke.

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Bio unter Druck: Basic, Alnatura und Denn's Quelle: imago images

Wenige Tage vor Weihnachten herrscht Hochbetrieb im Bittersüß, einem kleinen Geschäft in Hannovers Südstadt, in dem seit 34 Jahren Bioware verkauft wird.

An einem Bistrotisch steht Inhaber Sahak Hakobyan in Jeans und schwarzem Pulli und begrüßt seine Kunden. Der „Alex“ ist vorbeigekommen und starrt irritiert ins halb leere Saftregal. Ein älterer Herr erkundigt sich nach einer Flasche Granatapfelwein. „Den Ihre Frau so mag?“, fragt Hakobyan zurück und schiebt fast entschuldigend nach: „Der ist leider schon weg.“ „Tschüs, Maria“, ruft er einer Kundin nach, die ihren Einkaufswagen zum Ausgang manövriert, vorbei an einem selbst gezimmerten Nussspender und einem Stapel mit Gratismagazinen namens „Bioboom“.

Bioboom? „Liebe Kundinnen und Kunden, leider müssen wir nach vielen Jahren unseren Geschäftsbetrieb schließen“, steht auf DIN-A4-großen Zetteln, die Hakobyan an den Regalen angebracht hat. Das Bittersüß hat Insolvenz angemeldet. Kurz zuvor hatte bereits ein Wettbewerber Hakobyans nur ein paar Häuserblocks entfernt seinen Laden geräumt. In anderen Städten sieht es ähnlich aus.

Die größten Bio-Supermärkte in Deutschland nach Filialen

Dabei wird die Kulisse gewaltig sein, wenn sich die Ökoszene des Lebensmittelhandels Mitte Februar in Nürnberg zu ihrer Weltleitmesse Biofach trifft: „Building an Organic Future“ lautet das pompöse Motto. Mehr als 2500 Aussteller und 48.000 Fachbesucher werden erwartet. Die Branche soll „ihren Unternehmergeist, ihre große Innovationskraft und die Verantwortung präsentieren, die sie weltweit wahrnimmt“, jubelt Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) schon im Vorfeld. Mehr noch: Es wird Rekorde hageln, wie eigentlich immer bei der Nürnberger Ökoleistungsschau. Mehr als neun Milliarden Euro dürften die Deutschen 2016 für Biolebensmittel ausgegeben haben. Nie zuvor erzielte die Branche mehr Umsatz.

Wie im Rausch eröffnen Bioketten wie Alnatura und Denn’s derzeit neue Läden. Gleichzeitig wildern konventionelle Supermärkte und Discounter im Naturkostrevier. Schon vor Jahren haben Aldi, Lidl, Rewe und Edeka damit begonnen, ihre Regale mit Biomöhren, -milch und -müsli aufzupeppen. Nun bereiten sie die nächste grüne Welle vor.

So teuer ist Bio-Ernährung
Wo Bio draufsteht, ist auch Bio drin Quelle: dpa
Bio-Produkte 42 Prozent teurer Quelle: dpa
Verbraucher können sparen Quelle: dpa
Größte Preisunterschiede bei tierischen Produkten Quelle: dpa
Bio-Supermärkte nur elf Prozent teurer Quelle: obs
Günstigste Variante: Supermärkte und Discounter Quelle: dpa
Wo ist Obst und Gemüse besonders preiswert?Besonders preiswert ist biologisch angebautes Obst und Gemüse im Discounter erhältlich. Discounter beziehen den Großteil ihres Produktsortiments nicht aus Deutschland und können so das niedrige Preisniveau halten. Für Verbraucher, bei denen der Verdienst nicht für einen Einkauf im Biomarkt reicht, sind Discounter eine Alternative - ökologisch sind die Produkte durch weite Transportwege aber häufig fragwürdig. Quelle: dpa

Nach Informationen der WirtschaftsWoche stocken derzeit fast alle großen Händler ihre Biosortimente auf und setzen dabei nicht mehr nur auf ökologisch-angehauchte Eigenkreationen, sondern auch auf die biobesiegelten Vorzeigemarken der Zunft. Schließlich lässt sich mit dem Etikett „Bio“ eine gleichermaßen ernährungsbewusste wie kaufkräftige Kundschaft adressieren. Eine Zielgruppe, „für die moralisch korrektes Essen ein Statussymbol“ ist, wie es der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl formuliert und für die „Bio inzwischen eine Art Mindeststandard beim Einkauf“ ist.

Doch paradoxerweise stürzt der Bioboom Teile der Szene, wie den Hannoveraner Hakobyan in arge Existenznöte. Ein Umbruch zeichnet sich ab, wie ihn der klassische Handel in den Siebzigerjahren erlebte, als Supermärkte und Discounter die Tante-Emma-Läden vom Markt fegten.

Ausgerechnet all jene Instrumente, gegen die die Pioniere der Bewegung einst antraten, beschleunigen den Strukturwandel: Massenproduktion, Preiskämpfe und Filialisierung pflügen das deutsche Ökogeschäft um. In der Branche gilt: Bio gegen Bio.

Ein bittersüßer Boom

Nur mit Mühe kommen die meisten Biokrauter über die Runden, teils trudeln sie in die Pleite, teils geben sie freiwillig auf wie Henry van Calker. Nach fast 22 Jahren schloss er im November seine Bioecke in Zeven bei Bremen. „Ausschlaggebend ist, dass demnächst zwei Straßen weiter ein Filialist aufmacht“, sagte er dem Fachmagazin „Biohandel“. „Gegen ihn und seine 600 Quadratmeter werden wir als kleiner, inhabergeführter Laden nicht ankommen“, sagt van Calker. Eine Erfahrung, die auch Hakobyan in Hannover machte.

Dabei glaubte der gebürtige Armenier, auf den richtigen Trend gesetzt zu haben, als er Bittersüß vor acht Jahren übernahm. Die Biobranche hatte damals gerade ihr hutzeliges Körnerimage abgestreift, neue Konsumentengruppen kamen auf den Biogeschmack.

Hakobyan renovierte den Laden, heuerte freundliche Mitarbeiter an und baute sein Käse- und Weinangebot aus. Das Geschäft nahm Fahrt auf, der Umsatz stieg. „Das war die Ruhe vor dem Sturm“, erinnert sich Hakobyan und greift zu einer Flasche Limonade, auf der – natürlich – der Hinweis „Bio“ prangt.

Lukas Nossol. Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

Mittlerweile sind die drei Buchstaben allgegenwärtig im Handel. Zählte Hakobyan anfangs nur einen einzigen direkten Konkurrenten in der Stadt, drängeln sich heute allein zehn Märkte von Denn’s und Alnatura in Hannover. Deutschlandweit ist bereits jeder vierte der insgesamt 2560 Bioläden in der Hand eines Filialisten – und sie sind nicht die einzigen Angreifer.

In den Regalen eines typischen Rewe-Marktes finden sich bereits rund 2000 Bioartikel, bei Kaufland sind es 1200. Selbst in den Filialen der Billigheimer Aldi, Lidl und Penny stapeln sich palettenweise Bananen, Tomaten und Gurken in EU-genormter Bioqualität. Binnen einer Dekade hat sich der Umsatz der Branche deutschlandweit von 2,9 Milliarden auf 8,6 Milliarden Euro 2015 mehr als verdoppelt.

Wo Verbraucher Bio-Lebensmittel kaufen

Die einstige Nischen- ist damit längst zu einer Volksbewegung avanciert, die in den kommenden Jahren weiteren Zulauf gewinnen dürfte. „Den Biobereich werden wir deutlich ausbauen“, kündigt Patrick Müller-Sarmiento, Chef der SB-Warenhauskette Real, an. Rewe-Boss Alain Caparros will in diesem Jahr einen neuen Ladentyp testen, mit dem Fokus auf Obst, Gemüse und „regionalen Bioprodukten“. Lidl-Deutschlandchef Marin Dokozić hat sich gar die Parole der früheren Grünen-Agrarministerin Renate Künast auf die Fahnen geschrieben: „Wir wollen, dass Bio für alle da ist“, sagt der Discounterfrontmann.

Dabei haben die Handelsriesen den Fachgeschäften schon heute den Rang abgelaufen. Biosupermarktketten, Hofläden und kleine Geschäfte à la Bittersüß kamen 2015 zusammen auf einen Marktanteil von 31 Prozent. Mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Bioumsatzes gingen dagegen auf das Konto der Konventionellen. Mit steigender Tendenz. So kletterte der Absatz von Bioprodukten im klassischen Lebensmittelhandel 2016 um 13 Prozent, zeigen Daten des Marktforschers Nielsen. „Verbrauchermärkte und Discounter sind die Wachstumstreiber für Bioprodukte“, sagt Nielsen-Handelsexperte Fred Hogen.

Jäger und Gejagte

„Aldi, Lidl, Rewe und Edeka sind die wirklichen Wettbewerber der Biohändler“, glaubt auch Lukas Nossol. Er ist Marketingleiter des Biohändlers Dennree, der auch die Supermarktkette Denn’s betreibt. Sein Vater, Dennree-Chef Thomas Greim, hat das Unternehmen vor mehr als 40 Jahren gegründet. In einem gebrauchten Opel-Blitz-Lastwagen tuckerte der damals 22-Jährige zu Milchbauernhöfen im Chiemgau und lieferte anschließend Trinkmilch, Dickmilch, Kefir und Joghurt zu Reformhäusern und Vorläufern der Naturkostläden nach München. 3000 Kilometer Fahrtweg pro Woche waren Standard. Das Geschäft wuchs, Greim baute das ­Sortiment aus und stieg mit Dennree nach und nach zum größten Biohandelshaus Deutschlands auf. 820 Millionen Euro Umsatz erzielte das Unternehmen 2015. Inzwischen verkauft Dennree rund 12.000 Bio- und Naturprodukte, Drogerie- und Kosmetikartikel als Großhändler an selbstständige Bioläden und betreibt unter der Flagge Denn’s 252 eigene Supermärkte.

Einer der Märkte mit dem leuchtend grünen Schriftzug befindet sich auf einer kleinen Anhöhe nur ein paar Hundert Meter entfernt von der Dennree-Zentrale im oberfränkischen Töpen. Schon vom Kundenparkplatz aus ist ein bunt zusammengewürfeltes Areal aus Logistikhallen und Bürogebäuden zu erkennen, die zum Dennree-Reich gehören.

Zwei Stunden nimmt sich Marketingchef Nossol Zeit, um das Gelände zu präsentieren, er führt durch Hochregallager und Kühlräume, vorbei an wuchtigen Käserädern und Kisten mit Karotten. Vor einem knallgelben Tor, das wie eine Garageneinfahrt aussieht, bleibt er stehen.

Umsatz mit Biolebensmitteln in Deutschland.

Dahinter reifen Biobananen aus Ecuador. Nossol greift zu einer der noch grünen Früchte. Als er die Schale entfernt, verströmt sie den Geruch von frisch geschnittener Gurke. „Im vergangenen Jahr haben wir rund 7500 Tonnen Bananen verkauft“, sagt Nossol. Für die Biobranche ist das eine gewaltige Zahl, für Discounter und Supermärkte eher Kleinkram. Der Vorstoß der konventionellen Player sorgt denn auch für Alarmstimmung in Töpen. „Im Vergleich zu den großen Handelsketten sind wir ein mittelständischer Familienbetrieb“, sagt Nossol.

Um gegen die Wettbewerber zu bestehen, soll sich Dennree vom Großhändler zu einer Art Bioverbundgruppe wandeln. Das Unternehmen will nicht nur Quark, Quinoa und Quitten an seine Partner liefern, sondern übernimmt für sie bei Bedarf auch Werbung, Ladenbau und Immobilienmanagement. Zudem baut Dennree das Netz eigener Filialen aus. Allein 2016 wurden 43 neue Märkte in Deutschland und Österreich eröffnet. Allenfalls der hessische Rivale Alnatura hielt bislang bei dem Wachstumstempo mit.

Warum Verbraucher Bio-Lebensmittel kaufen

Im Biorevier sind die beiden Unternehmen Jäger und Gejagte zugleich: Einerseits erhöht ihr Expansionsdrang den Wettbewerbsdruck auf Naturkost-Solisten wie Bittersüß. Denn die Verkaufsflächen der Filialisten sind im Schnitt deutlich größer, ihre Sortimente sind breiter und ihre Preise oft niedriger als die der Einzelkämpfer. Die Kundenentscheidung ist damit meist klar. Das trifft vor allem kleine Läden unter 100 Quadratmeter. Sie sind derzeit „am stärksten von Umsatzrückgängen betroffen“, hat das Fachblatt „Biohandel“ beobachtet.

Andererseits sind auch Dennree und Alnatura zum Wachsen gezwungen, um Größen- und Einkaufsvorteile zu nutzen und so bei Preisen und Kosten auf Augenhöhe mit ihren konventionellen Gegenspielern zu bleiben. Für Alnatura steht sogar noch mehr auf dem Spiel.

Alnatura und dm

Christoph Werner bahnt sich seinen Weg durch einen Karlsruher dm-Markt unweit der Zentrale des Drogeriekonzerns. Der dm-Einkaufschef und Sohn des Unternehmensgründers Götz Werner geht vorbei an Paletten mit Biomilch und Regalreihen mit Studentenfutter. Zielstrebig greift er zu einer Packung Wirsing-Chips, angelt sich noch zwei vegane Kokos- und Nougatriegel und eilt in den Personalraum, um ein Messer zu organisieren. Schließlich soll die Biobeute fachgerecht zerlegt und hernach gemeinsam mit dm-Chef Erich Harsch verkostet werden. Das Urteil des dm-Duos fällt denn auch wunschgemäß aus: „Lecker.“ Die Produkte sind Teil eines runderneuerten Biosortiments von dm. Insgesamt 1000 Artikel hat die Drogeriekette in den vergangenen Monaten in die Regale gestellt – vom Frühstückscouscous des Naturkostveterans Davert bis zu als Superfood gepriesenen Chiasamen des Berliner Newcomers Veganz. Den Kern bilden jedoch rund 350 Produkte der neu geschaffenen Eigenmarke dm Bio, deren Ableger Platzhirsch Alnatura fast vollständig ersetzt haben.

Dabei ist es noch nicht lange her, dass die Partnerschaft der beiden Unternehmen weit über eine klassische Lieferbeziehung hinausging. Handelsexperten sprachen von einer regelrechten Markensymbiose, schließlich arbeiteten Alnatura-Gründer Götz Rehn und dm-Patron Werner seit den Achtzigerjahren zusammen, sie sind verschwägert, waren befreundet und teilten neben dem gleichen Vornamen auch gemeinsame Ideale.

Rehn hatte damals einen italienischen Bekannten gefragt, was „zur Natur“ auf Italienisch heißt und die Antwort „alla natura“ bekommen. Im Herbst 1984 meldete er die Wortschöpfung als Warenzeichen an und schloss mit Werner wenig später eine Vereinbarung, die sich wie ein anthroposophisches Manifest liest. Ziel sei es, heißt es darin, „eine Humanisierung des Wirtschaftslebens“ auf Grundlage der von Rudolf Steiner entwickelten „Sozialorganik“ anzustreben. Der Aufstieg von Alnatura begann.

Sukzessive eröffnete Rehn eigene Supermärkte und baute zugleich die Partnerschaft mit dm aus. Auf immer mehr Produkten in den Regalen der Drogeriekette pappte fortan das grün-schwarze Sonnensymbol – und beide Seiten profitierten. So kurbelte das stürmische Wachstum der Drogeriekette die Verkäufe von Alnatura an. Gleichzeitig pilgerten Alnatura-Fans gezielt in dm-Läden, um sich mit Schokocremes, Biomilch und Brotaufstrichen zu bevorraten. Zwischen 2006 und 2015 stieg der Alnatura-Umsatz von rund 185 auf 760 Millionen Euro. 2014 kürte die Brandmeyer Markenberatung Alnatura gar zur beliebtesten Lebensmittelmarke der Deutschen.

Hinter den Kulissen flogen da bereits die Fetzen zwischen den Anthroposophen, zeigen Gerichtsunterlagen. dm forderte demnach günstigere Konditionen sowie die Offenlegung von Einkaufspreisen und Lieferantenbeziehungen. Alnatura-Chef Rehn lehnte ab, worauf sich dm wiederum weigerte, Rechnungen über rund zwei Millionen Euro zu bezahlen. So schaukelte sich der Konflikt immer weiter hoch.

„Aufgrund der Differenzen hat Alnatura die Lieferverträge mit uns fristlos gekündigt“, erinnert sich Christoph Werner. Deutschlands größter Drogist stand plötzlich vor einem gewaltigen Problem, denn Alnatura war bis dahin die einzige Biomarke im Sortiment. „Daher mussten wir schnell für Ersatz sorgen“, sagt Werner. Die Karlsruher stampften in Rekordzeit ihre Eigenmarke aus dem Boden.

Die größten Bio-Supermärkte in Deutschland nach Umsatz

Die Pläne dafür lagen allerdings schon in den Schubladen des Konzerns, bevor der Konflikt eskalierte, „allerdings in einem deutlich kleineren Maßstab“, so dm-Chef Harsch. Erst nach der Vertragskündigung änderte sich die Lage. Statt der versprengten Solitäre launchte der Konzern eine komplette Biolinie, deren Produkte sich nun „mindestens genauso gut, oft sogar besser“ als Alnatura-Artikel verkaufen würden, so Harsch.

Auch Rehn fand neue Partner. Seit Kurzem beliefert Alnatura die direkten dm-Wettbewerber Rossmann und Müller. Zuvor hatte er bereits bei Edeka angedockt und das bekannteste deutsche Biolabel damit in die Regale des größten Lebensmittelhändlers des Landes gebracht. „Hätten wir das nicht gemacht, wäre ich heute nicht hier“, verteidigte Rehn den Schritt bei der Vorstellung der Alnatura-Bilanz Mitte November im Frankfurter Haus am Dom.

Drahtig, in perfekt sitzendem dunklem Anzug federte Rehn dort von Tisch zu Tisch, um trotz rauschender Klimaanlage die Fragen der Journalisten zu verstehen. Neue Produkte? Rote-Beete-Cracker, Birkenwasser und Moringa-Tee seien frisch ins Sortiment aufgenommen worden. Der Umsatz? Stieg leicht auf 762 Millionen Euro. Die eigenen Filialen und die Kooperationen mit den neuen Partnern hätten den Regalbann bei dm kompensiert, sagt Rehn.

Auf Schnitzeljagd

Die Biozunft stöhnte indes über die Ausweichmanöver. Alnaturas Liaison mit Edeka sei dort als „Dammbruch“ wahrgenommen worden, sagt Klaus Braun. Der Unternehmensberater ist Mitautor der wichtigsten Studie über die Strukturdaten des Naturkosthandels und beobachtet die Branche seit ihren putzigen Anfängen, als sich Überzeugungstäter frei von Handelserfahrung aufmachten, Ökomöhren und selbst geschrotete Müslis zu verkaufen – und nebenbei die Welt zu verbessern. Sie trafen dabei auf Lieferanten mit ähnlichen Idealen, die fortan exklusiv für den Fachhandel produzierten. Das Biobiotop gedieh und wuchs zu einer milliardenschweren Industrie heran, deren gemeinsamen Werte und Überzeugungen lange Zeit als Eintrittsbarriere für konventionelle Angreifer wirkten.

Doch inzwischen ist das alte Bündnis brüchig, nimmt die ideologische Bindekraft ab. Lautstark murren Biokaufleute über die „Illoyalität“ großer Marken gegenüber dem Fachhandel. Die kritisieren im Gegenzug die mickrigen Geschäfte mit der Basis. „Wir stecken mitten in einer Umbruchphase“, konstatiert Braun.

„Es gibt kein Monopol des Fachhandels mehr auf Biomarken.“ So zieren nicht nur Alnatura-Produkte, sondern auch die von Naturkost-Pionieren wie Söbbeke, Bauckhof und Lavera längst die Auslagen von Supermärkten und Drogisten.

Auch zahlreiche Biolandwirte scheinen ihre früheren Vorbehalte gegen die vermeintlichen Billigheimer und Preisdrücker inzwischen untergepflügt zu haben und kooperieren mit den Konzernen.

Noch 2015 beobachtete Diana Schaack von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft in Bonn, wie „Einkäufer der Fleischverarbeiter und Handelsunternehmen“ über Branchenmessen wie die Biofach zogen und „händeringend nach Schweinefleisch“ suchten. „Trotz Preisaufschlägen war der Markt aber leer gefegt“, erinnert sich Schaack.

Um ihre Ausgangsposition bei der alljährlichen Schnitzeljagd zu verbessern, ordern die Einkäufer vieler Handelsriesen seither nicht mehr nur auf dem Spotmarkt, sondern buhlen mit stabilen Preisen und garantierten Absatzmengen um Bauern. „Das reicht bis zu Zehnjahresverträgen“, sagt Schaack.

Ex-Bittersüß-Inhaber Hakobyan will sein Glück nun ebenfalls im Fleischgewerbe suchen. Ab Frühjahr will er mit einem Foodtruck zu Festivals und Messen touren und dort armenische Fleischspieße verkaufen. Biofleisch soll indes nicht auf seinem Grill landen. Das rechne sich einfach nicht, sagt Hakobyan.

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