Kaufland Viel Fläche, viele Probleme

Lange Zeit galt Kaufland als Innovator und Großflächenprimus. Inzwischen spürt die Lidl-Schwester Gegenwind: Märkte verlottern, Umsätze schwächeln. Nun soll ein milliardenschwerer Modernisierungsschub die Wende bringen.

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Lidl-Schwester Kaufland: Umsätze schwächeln und fast alle Großflächenbetreiber spüren Gegenwind. Quelle: imago images

Neonröhren tauchen den Einkaufsbunker in kaltes Krankenhauslicht. An den Wänden im Obergeschoss prangen vergilbte Fotos mit kaum definierbaren Mahlzeiten. Überall im Markt pappen an den Regalen Hinweisschilder und versprechen in Knallrot: „Billiger!“. Etwa die Bananen für 1,09 statt 1,19 pro Kilo. „Ursprungsland: Kanada“, steht auf dem Schild. Bananen aus Kanada? Vermutlich ist Panama gemeint. Doch Mitarbeiter, die Kunden dazu konsultieren könnten, fehlen auf der Fläche. Willkommen im Kaufland-Markt in Köln-Ehrenfeld, einem der 650 Standorte des Unternehmens in Deutschland.

Wer will, kann hier beim Brot-und-Butter-Kauf noch eben ein paar Klappstühle oder ein Stufenregal für das Wohnzimmer erstehen. Die labyrinthartige Melange aus Supermarkt und Warenhaus ist typisch für die Kaufland-Märkte, die wie der Lebensmitteldiscounter Lidl zum Imperium der Schwarz-Gruppe gehört. Doch anders als die Schwerfirma Lidl, die in den vergangenen Jahren rasant gewachsen ist, spürt Kaufland reichlich Gegenwind: Viele Märkte wirken ähnlich verlottert wie der Standort in Köln-Ehrenfeld, Sortimentsentscheidungen verwirrten teils die Kunden.

Die Folge: die Umsätze im deutschen Heimatmarkt schwächeln. Nun steuert das Unternehmen gegen und will mit aller Macht und milliardenschweren Investitionen die Wende erzwingen. Dann, so hoffen die Manager, werde das Unternehmen wieder an die Erfolge der Vergangenheit anknüpfen.

Als 1984 einer der ersten Kaufland-Märkte direkt neben der Zentrale der Schwarz-Gruppe eröffnete, stauten sich die Autos noch kilometerlang auf den Zufahrtsstraßen. 19.000 Video-Kassetten schleppte die Kundschaft von dannen, 3.000 Bügeleisen und bergeweise Waschpulverladungen gingen weg, vermerkte damals andächtig der „Spiegel“. „Bei aller Vorsicht gegenüber Eröffnungs-Euphorien“, wurde Schwarz-Patriarch Dieter Schwarz ob des Ansturms zitiert, „können wir unsere Umsatzerwartung von 100 Millionen Mark im Jahr nach oben korrigieren.“

Im Ausland läuft es weiter gut für Kaufland

Heute spült Kaufland rund 21,6 Milliarden Euro in die Kassen. Mehr als ein Drittel des Umsatzes stammen aus Osteuropa, wohin Kaufland nach der Wende expandierte. Im Ausland laufen die Geschäfte weiter gut. Demnächst will Kaufland die ersten Märkte in der Republik Moldau einweihen, in einigen Jahren soll dann der Sprung nach Australien folgen.

Doch während es im Ausland läuft, stockt das Heimatgeschäft. Seit zwei Jahren stagnieren die Umsätze. Dieses Jahr könnte der Umsatz sogar sinken, heißt es in der Branche. Nach GfK-Daten liegen die Lebensmittelverkäufe bis Ende August rund 0,9 Prozent unter Vorjahr. Nur für die dauermalade Metro-Tochter Real lief es demnach schlechter.

Ein Kaufland-Sprecher sieht die Entwicklung im Rahmen der Erwartungen und verweist auf einen jüngst gestarteten Großumbau: Manche Häuser würden zeitweise geschlossen – und der Konzern verzichte dabei bewusst auf Umsatz. Spätestens Ende 2018 soll die Mehrzahl der Kaufland-Filialen einen „Facelift“ hinter sich haben, teilt der Unternehmenssprecher mit. Die Umsetzung „läuft derzeit auf Hochtouren“. Die Mitarbeiter dürfen schon jetzt ihre alten Kaufland-Uniformen gegen neue Shirts und Blusen tauschen. 120 große „Mamos“, wie umfangreiche Marktmodernisierungen intern abgekürzt werden, sind zusätzlich in Vorbereitung und sollen in den kommenden vier bis fünf Jahren abgearbeitet werden. Kostenpunkt der Kaufland-Verschönerung: Rund eine Milliarde Euro pro Jahr.

In Berlin erprobt Kaufland ein neues Konzept

Wohin die Reise geht, lässt sich bereits im neuen Kaufland-Markt am Berliner Alexanderplatz besichtigen. Plastikverschachtelte Lachs Maki, Thunfisch Nigiri und California Rolls stapeln sich dort in einer Kühlbox direkt hinter dem Eingangsbereich. Gleich neben den Sushi-Variationen gibt es Salate und Sandwiches. Ein Mann mit silbergrauem Haar und Ehefrau im Schlepp manövriert den Einkaufswagen an den Snacks vorbei und steuert die Obst- und Gemüseabteilung an. Sie greift beherzt zum Eisbergsalat. Statt 59 kostet der 39 Cent, hat aber „ein paar braune Stellen“, murrt der Silberschopf, worauf die Gattin den Kopf wieder sinken lässt und lieber Bananen in den Wagen lädt.

Das Haus am Alexanderplatz ist halb Mustermarkt, halb Shoppingexperiment für Kaufland. Die Regale sind niedriger, die Einrichtung hochwertiger als in den Standardfilialen. Das Sortiment an Gebrauchswaren wie Fernsehern und Geschirr wurde zu Gunsten von Lebensmitteln und Snacks ausgedünnt, um Touristen, Pendler und Angestellte aus den umliegenden Büros in den Markt zu locken.

Die wichtigsten Marken in Aldis Regalen
Aldi Markenartikel Ü-Ei Quelle: dpa
Aldi Markenartikel Nutella Quelle: dpa
Aldi Markenartikel Coca-Cola Quelle: dpa
Aldi Markenartikel Nivea Quelle: dpa
Aldi Markenartikel Jägermeister Quelle: dpa
Aldi Markenartikel Red Bull o.b. Quelle: PR
Aldi Markenartikel Gerolsteiner Quelle: PR

Doch reichen ein neues Ladendesign und Sortimentskonzept aus, um Kaufland wieder auf Kurs zu bringen? Ein ehemaliger Manager des Unternehmens bezeichnet das deutsche Geschäft bereits als „Sanierungsfall“.

Fast alle Großflächenbetreiber spüren Gegenwind

Tatsächlich reichen die Probleme tief, spürt Kaufland wie fast alle Großflächenbetreiber strukturellen Gegenwind. „Immer mehr Verbraucher scheuen lange Anfahrtswege, das Nonfood-Geschäft läuft schleppend, und der klassische Wochenendeinkauf – bisher eine Domäne der SB-Warenhäuser – verliert an Bedeutung“, sagt Markus Hepp, Handelsexperte der Boston Consulting Group.

Die Schwarz-Granden versuchten der Flaute zunächst mit einer Art „Lidlisierung“ von Kaufland zu trotzen. Im Herbst 2015 hievte Konzernchef Klaus Gehrig dort den Lidl-Mann Patrick Kaudewitz an die Spitze. Der ließ fortan keinen Stein auf dem anderen beim Schwesterunternehmen, zahlreiche langjährige Manager mussten gehen. Die „Veränderungs- und Modernisierungsprozesse haben bei einzelnen Führungskräften zu unterschiedlichen Auffassungen über die Strategie und Zukunft bei Kaufland geführt“, teilt das Unternehmen dazu mit. Man habe „faire Lösungen entwickelt.“

Doch auch gegenüber Lieferanten schlug der neue Chef eine andere Tonart an. Seit seinem Amtsantritt flogen fast 15 Prozent aller Artikel aus den Regalen. Kaudewitz’ Ziel: Durch die Straffung des Angebots sollte der logistische Aufwand in den Filialen gesenkt werden, um die Kosten zu drücken. Gleichzeitig sollte das „Angebot nicht nur schlanker und effizienter werden“, sagt ein Sprecher, sondern den Kunden „mehr Auswahl bei Regionalprodukten und im Premiumbereich bieten.“

Hat Kaufland beim Preisgefeilsche überzogen?

Aber die Kaufland-Crew habe beim Preisgefeilsche mit der Industrie überzogen, heißt es in der Branche. Einzelne Hersteller weigerten sich, die Kaudewitz’schen Konditionen zu akzeptieren und stoppten kurzerhand die Belieferung. So fanden Iglo-Fans in Kauflands Tiefkühltruhen zeitweise weder Fischstäbchen, noch Rahmspinat mit dem Blubb oder in Aluschachteln gezwängte Schlemmerfilets. Selbst Schoko-Bestseller wie Mars-, Snickers-, Bounty- oder Twix-Riegel fehlten eine Zeitlang in der Kassenzone. Das kam bei den Kunden nicht an. Viele flüchteten zur Konkurrenz.

Inzwischen hat Kaudewitz eine kleine Kehrtwende eingeleitet. Zahlreiche Artikel wurden wieder eingelistet. Insgesamt soll das Sortiment aber trotz der Korrekturen überschaubarer bleiben.

Auch im Online-Geschäft wirkt Kauflands Engagement noch ausbaufähig. Spätestens seit Netzgigant Amazon über seinen Lieferservice Fresh nun auch in den ersten deutschen Städten Tomaten, Bananen und andere frische Lebensmittel zu seinen Kunden karrt, ist die Branche in Aufruhr. Der Online-Gigant werde im Lebensmittelgeschäft „durchstarten, dass die Wände wackeln“, prophezeite bereits der frühere Kaufland-Chef und heutige Unternehmensberater Frank Lehmann. Und BCG-Experte Hepp warnt: „Amazons Einstieg in den Verkauf frischer Lebensmittel ist vor allem für Großflächenbetreiber ein Weckruf“. Denn setzt sich der Online-Einkauf von Lebensmitteln durch, dürften davon zunächst Wochenend- und Vorratskäufe betroffen sein – bisher die Domäne von SB-Warenhäusern wie Kaufland.


Um die Stellung zu verteidigen experimentiert Kaufland seit einigen Monaten mit einem eigenen Lieferservice in Berlin. Mit dessen Entwicklung „sind wir sehr zufrieden“, der Service werde von den Kunden angenommen, heißt offiziell. „Aktuell erhöhen wir dort unsere Kapazitäten“. In Planung sei auch die Ausweitung des Lieferservices nach Hamburg. Das ist ein Anfang, auch wenn Wettbewerber Rewe bereits deutlich weiter ist.

Unklar ist indes, warum sich Kaufland im Netz auf das Lebensmittelgeschäft beschränkt und online – im Gegensatz zur Schwesterfirma Lidl – keine Nonfood-Artikel anbietet. Lidl dagegen verzichtet auf das Angebot frischer Lebensmittel via Netz und konzentriert sich online auf den Verkauf von Blusen, Hemden und BH‘s. Wer beides will, muss offenbar doch bei Amazon einkaufen.

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