Keime und Fremdkörper Mehr Lebensmittelrückrufe als je zuvor

Ein Kontrollassistent hält in einem Schlachthof Etiketten mit der Aufschrift

Salmonellen in Asia-Sprossen, Chlorat im Fisch und Listerien in der Wurst: 2019 stieg die Zahl der Lebensmittelrückrufe auf einen neuen Rekordwert. Eine Auswertung des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zeigt, vor welchen Produkte am häufigsten gewarnt wurde.

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Kurz vor dem Jahreswechsel war es wieder soweit: Am 28. Dezember wurde ein französischer Weichkäse zurückgerufen, der bei dem Discounter Lidl verkauft worden war. Der Käse war mit so genannten Vero-Toxin bildende E.coli-Bakterien kontaminiert. Sie können Durchfallerkrankungen auslösen. Tags zuvor war wegen Salmonellenfunden schon ein asiatischer Sprossenmix zurückgerufen worden, der bei Edeka in den Regalen stand. Und Heiligabend war Rewe dran. In einer Charge gehackter Mandeln der Eigenmarke Ja! „können metallische Fremdkörper enthalten sein“, warnte die Supermarktkette ihre Kunden und bat um Rückgabe.

Derlei Produktrückrufe kommen inzwischen immer häufiger vor, zeigt eine Auswertung des staatlichen Online-Portals lebensmittelwarnung.de durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Laut den Daten, die der WirtschaftsWoche vorliegen, wurde über das Portal im vergangenen Jahr insgesamt 236 Mal vor gefährlichen oder unhygienischen Produkten gewarnt – ein neuer Negativrekord. Seit 2013 hat sich die Zahl der Warnhinweise damit mehr als verdreifacht.

Zwar sind die Zahlen nicht direkt vergleichbar, da das Portal im Februar 2019 um die Kategorien Kosmetika und Bedarfsgegenstände erweitert wurde. Doch auch die Zahl der Meldungen, die ausschließlich Lebensmittel betreffen, „ist 2019 gegenüber 2018 leicht angestiegen“, teilt eine Sprecherin des BVL mit. Insgesamt 198 Lebensmittel-Warnmeldungen wurden im vergangenen Jahr demnach veröffentlicht. Die spektakulärsten Fälle betrafen im Herbst Listerien-Keime, die in Produkten des Fleischherstellers Wilke entdeckt worden waren.

Drei Todes- und 37 Krankheitsfälle werden mit Wilke-Produkten in Verbindung gebracht. Keime und Erreger waren auch jenseits des Wilke-Skandals eine der Hauptursachen für Rückrufe. Bei insgesamt 79 Meldungen wurde vor einer „mikrobiologische Kontamination“ gewarnt, gefolgt von „Fremdkörpern“ (63). Auch „Grenzwertüberschreitungen“, „unzulässige Inhaltsstoffen“ und „Allergene“ waren häufig Anlass für Rückrufe. So wurde im November etwa eine Charge tiefgefrorenes Pangasiusfilet zurückgerufen, das bei Aldi Nord verkauft worden war. Der Fisch wies bei Messungen eine zu hohe Dosis der Chemikalie Chlorat auf.

Weitaus öfter als Fisch wurden indes andere Lebensmittel zurückgerufen – nicht nur 2019. Seit das Portal 2011 startete, wurden insgesamt 1120 Warnungen veröffentlicht. 145 entfielen allein auf Fleisch- und Geflügelerzeugnisse, 120 betrafen Milch und Milchprodukte, 93 Mal wurden Getreide und Backwaren beanstandet. Besonders brisant: Seit 2015 steigt die Zahl der Warnmeldungen kontinuierlich an.

Experten machen dafür vor allem die Globalisierung der Lieferketten und die Kontrolle der Rohstoffe durch Sublieferanten verantwortlich, was sich auch bei einem Anstieg der Rückrufe von Nonfood-Waren bemerkbar macht. Hinzu kommt bei Lebensmitteln, dass die Öffentlichkeit heute sensibler auf Themen wie Allergien und Unverträglichkeiten reagiert.

Die größten Lebensmittel-Skandale
2008 warnt die italienische Polizei, dass Händler tonnenweise vergammelten Mozzarella aufbereitet und ihn unter anderem nach Deutschland verkauft haben. Quelle: imago images
4000 Menschen sind an dem Ehec-Bakterium erkrankt, 53 gestorben. Quelle: imago images
Ein Futtermittelhersteller in Norddeutschland verarbeitet 3000 Tonnen mit Dioxin verseuchte Fette und vertreibt sie 2011 an zahlreiche Futtermittelhersteller. Quelle: imago images
Kontrolleure fanden 2012 wiederholt Mäusekot und Reste von früheren Produktionen in Maschinen der Bäckerei „Müller-Brot“. Quelle: dpa
Eine französische Fleischverarbeitungsfirma und ein niederländischer Händler gaben 2013 mehr als 500 Tonnen Pferdefleisch als Rindfleisch aus Quelle: dpa
Hunderttausende Eier aus den Niederlanden sind mit dem Pflanzenschutzmittel Fipronil belastet, das Schäden an Leber, Schilddrüse oder Niere verursachen kann. Quelle: imago images
Zwischen 2005 und 2006 werden immer wieder verdorbenes Fleisch in Kühlräumen, Verarbeitungsbetrieben und im Handel entdeckt. Quelle: imago images

Das BVL kann über die Gründe für den Anstieg „nur spekulieren“, verweist aber darauf, dass das Portal inzwischen von allen Landesbehörden – die ihre Warnmeldungen selbständig einspeisen – standardmäßig genutzt werde, um auf Rückrufe von Unternehmen hinzuweisen. „Zum anderen stehen auch die Unternehmen selbst Rückrufen zunehmend weniger kritisch gegenüber“, vermutet eine BVL-Sprecherin. Während in den Anfängen des Portals noch die „Prangerwirkung“ kritisiert worden sei, „werden öffentliche, teils vorsorgliche Rückrufe inzwischen vielfach als Bestandteil eines verantwortungsvollen Managements gesehen, mit dem auch Vertrauenswürdigkeit demonstriert werden kann“. Auch dies könnte zu einer höheren Zahl an Rückrufen beigetragen haben.

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