Kinderarbeit in Westafrika Die bittere Seite der Schokolade

Die meiste Schokolade in Deutschland kommt aus Westafrika. Dort arbeiten immer mehr Kinder in den Kakaoplantagen. Firmen wie Nestlé engagieren sich gegen Kinderarbeit. Doch sie knausern bei der Umsetzung.

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Sylvain , der noch bis vor Kurzem schwere Arbeiten in der Kakaoplantage seines Onkels verrichtet hat, zeigt die von ihm bei der Arbeit benutzte Machete. Quelle: dpa

Konan Yaokro Die neunjährige Moahé hat in der Kakaoplantage ihres Vaters Unkrautvernichtungsmittel versprüht. Morgens und abends schleppte das zierliche Mädchen Wasserbehälter vom Dorfbrunnen nach Hause, die schwerer waren als sie selbst. „Mir hat davon immer der Nacken sehr wehgetan“, erinnert sich das Mädchen. Moahé war bis vor kurzem eines von rund zwei Millionen Kindern, die in der Elfenbeinküste und in Ghana im Kakaoanbau arbeiten, damit Kunden in Deutschland und anderswo ihre Schokolade genießen können.

„Ich wusste ja nicht, dass die Arbeit etwas Schlechtes ist. Für mich war es normal“, sagt Moahé entschuldigend. Doch wo Kinderarbeit anfängt, endet meist die Kindheit: Sie gefährdet die Gesundheit der Kinder, kann ihr Wachstum hemmen und schlägt sich in der Regel negativ auf ihre Schulbildung durch. Doch wegen einer Mischung aus Unwissen, Tradition und Armut hält sich die Kinderarbeit in den Dörfern Westafrikas. Von hier kommt rund zwei Drittel des weltweit produzierten Kakaos, der dann von Herstellern wie Mars, Nestlé, Lindt & Sprüngli, Mondelez, Ferrero und anderen verarbeitet wird.

Und nirgends auf der Welt wird so viel Schokolade verzehrt wie in der Schweiz und in Deutschland: Jedes Jahr rund zehn Kilogramm pro Kopf. Allein in Deutschland wurden in diesem Jahr rund 143 Millionen Schokoladen-Nikoläuse und Weihnachtsmänner hergestellt, wie der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie erklärte. Der meiste Kakao dafür wird aus der Elfenbeinküste und Ghana importiert.

Moahé hat in ihrem Leben erst ein einziges Mal Schokolade probieren können. „Sehr süß“, sagt sie mit breitem Grinsen. Die Kakaobohnen dafür kommen zum Beispiel aus ihrem Heimatdorf Konan Yaokro im Süden der Elfenbeinküste, doch Geld für Schokolade hat hier kaum jemand. Der Ort mit etwa 500 Einwohnern ist nur über einen holprigen Feldweg zu erreichen, es gibt keinen Strom und kein fließend Wasser. Aber Konan Yaokro verfügt über das ideale, tropische Klima für die begehrte Frucht des Kakaobaums. Moahé, ihre vier Geschwister und ihre Eltern leben hier in einem kleinen Haus auf etwa 20 Quadratmetern Wohnfläche. Davor trocknen die Kakaobohnen in der Sonne.

Auch Moahés Vater hat schon als Kind auf der Kakaoplantage seiner Eltern gearbeitet. Sein Vater habe die Hilfe gebraucht, sagt der heute 35-jährige Fabrice Amangoua. „Ich kann nicht mal meinen Namen schreiben, weil mein Vater mich deswegen nie zur Schule geschickt hat.“ Dieses Los will er seinen Kindern auf jeden Fall ersparen. Doch er dachte sich nichts dabei, die Kinder trotzdem ein bisschen arbeiten zu lassen. „Ich wusste nicht, dass es nicht in Ordnung ist.“

Mit steigenden Bevölkerungszahlen wird die Anzahl der Jungen und Mädchen, die auf Kakaoplantagen arbeiten, indes immer größer. In der Elfenbeinküste ist deren Zahl zwischen 2009 und 2014 um rund 50 Prozent auf 1,2 Millionen Kinder gestiegen, wie eine Studie der Tulane Universität in New Orleans im Auftrag des US-Arbeitsministeriums herausfand. In Ghana ging die Zahl der Kinderarbeiter im gleichen Zeitraum leicht auf 0,9 Millionen zurück. Die Studie beruhte auf einer Befragung von knapp 2300 Haushalten in beiden Ländern.

Kinderarbeit ist in der Elfenbeinküste eigentlich verboten: Das Tragen schwerer Lasten, etwa von Kakaosäcken, das Sprühen giftiger Chemikalien wie Insektiziden oder die Handhabung von Macheten zum Unkrautjäten oder Aufschlagen der Kakaofrüchte widersprechen dem Gesetz. Leichte Arbeiten wie Einsammeln einzelner reifer Kakaofrüchte oder die Hilfe beim Trocknen der Bohnen sind aber weiter erlaubt.

Eine der Organisationen, die sich vor Ort für Kinder einsetzen, ist die Internationale Kakaoinitiative (ICI). Sie hat in Konan Yaokro und knapp 2700 weiteren Dörfern ein erfolgreiches System zur Bekämpfung von Kinderarbeit eingerichtet, zumeist im Auftrag von Nestlé. Der Dreh- und Angelpunkt des Systems sind in den Dörfern verankerte Mitarbeiter wie Serge Alain Affian. Der 30-jährige Kakaobauer hat in Konan Yaokro für ICI jeden Haushalt besucht, um zu sehen, wie viele Menschen unter einem Dach leben und was sie machen. Dabei erklärt er, wieso Kinderarbeit schlecht ist und wie ICI ihnen helfen kann.


„In unserer Lieferkette darf es keine Kinderarbeit geben“,

„Ein Kind muss beschützt werden und gehört in die Schule“, sagt Affian. Alle Daten seiner Gespräche mit Eltern und Kindern sowie über die Besuche von Häusern und Plantagen werden von ihm penibel in einer Smartphone-App erfasst. Wenn es wie bei Moahé Fälle von Kinderarbeit gibt, arbeitet er zusammen mit ICI eine Lösung aus, etwa um die Kinder wieder in die Schule zu bringen. Für Affian ist das eine Herzensangelegenheit. Er hat als Kind auf der Plantage seines Vaters gearbeitet, als seinem Bruder die Machete ausrutschte und ihn mit voller Wucht am Unterarm erwischte. „Danach konnte ich nicht mehr in die Schule gehen. Ich konnte nicht mal mehr einen Kugelschreiber halten“, sagt Affian. „Das soll keinem anderen Kind mehr passieren.“

Um sicherzustellen, dass keine Kinder auf den Plantagen schuften, arbeitet ICI Hand in Hand mit den Abnehmern der Bauern, den Kooperativen. Der Kakao aus Konan Yaokro etwa geht über eine Kooperative im nahen N'Douci an den US-Rohstoffhändler Cargill, der den Kakao dann an Nestlé verkauft. Der Schweizer Lebensmittelkonzern kauft über das System mit ICI inzwischen nach eigenen Angaben jährlich rund 47 000 Tonnen Kakaobohnen. Das entspricht etwa 11 Prozent des weltweit pro Jahr von Nestlé gekauften Kakaos.

„In unserer Lieferkette darf es keine Kinderarbeit geben“, sagt der zuständige Nestlé-Manager, Yann Wyss. Nun gehe es darum, das 2012 mit ICI in der Elfenbeinküste begonnene System so auszuweiten, dass in einigen Jahren aller angekaufter Kakao ohne Kinderarbeit hergestellt sein würde. Zunächst solle das System auch im benachbarten Ghana zur Anwendung kommen. „Das Problem gibt es in unserer Lieferkette und wir nehmen es sehr ernst“, sagt Wyss. Nestlé machte mit KitKat und anderen Süßwaren 2016 einen Umsatz von 8,7 Milliarden Schweizer Franken (derzeit 8,12 Milliarden Euro). Für den Kampf gegen Kinderarbeit und den Bau von Schulen gab der Konzern in dem Jahr indes nur 5,5 Millionen Schweizer Franken aus.

Dass der Kinderarbeit in Westafrika so schwer beizukommen ist, liegt aber auch an strukturellen Faktoren. Die meisten Kakaobauern bebauen nur ein paar Hektar. Damit haben sie oft nicht genug Einkommen, Arbeitskräfte einzustellen, weswegen Familie und Kinder herangezogen werden. So erging es auch Sylvain Yao Kouakou. Nach dem Tod seiner Eltern kam der 16-Jährige zu seinem Onkel nach Konan Yaokro. „Seither musste ich ihm in den Kakaoplantagen helfen“, erzählt er. „Ich habe mit der Machete das Unkraut weggeschlagen und wenn der Kakao reif war, habe ich ihn in schweren Säcken nach Hause geschleppt.“

Das Durchsetzen der Regeln gegen Kinderarbeit war in Konan Yaokro zunächst schwierig. „Die Eltern haben gesagt, sie brauchen die Hilfe ihrer Kinder, sie schaffen es nicht allein“, sagt Affian. Doch die Akzeptanz stieg, sobald die Bewohner sahen, dass ICI auch Hilfe anbot. ICI hat im Land eigenen Angaben zufolge bereits rund 1400 Klassenzimmer renoviert oder neugebaut. Die Organisation kann zudem bei der Bezahlung der Schulgebühren helfen. Um zu verhindern, dass Kleinkinder mit auf die Felder genommen werden, hat ICI in einigen Dörfern auch einen Kindergarten eingerichtet.

Die Elfenbeinküste mit 24 Millionen Einwohnern gehört einem UN-Index zufolge zu den 20 ärmsten Ländern der Welt. Die Lebenserwartung liegt der Weltbank zufolge bei 53 Jahren, in Deutschland sind es 81 Jahre. Die Kakaobauern sind den Kräften des Weltmarktes ausgeliefert: Ein Tonne Kakaobohnen kostete 2014 in New York noch etwa 3200 US-Dollar, inzwischen sind es nur noch 1900 US-Dollar. Die Regierung federt die Schwankungen etwas ab. Im Vorjahr bekamen Bauern einen Fixpreis von umgerechnet knapp 1700 Euro pro Tonne, jetzt nur noch 1100 Euro.

Die niedrigen Kakaopreise „lassen die Kleinbauern verarmen“, kritisiert das Internationale Forum für Arbeitsrecht (ILRF). „Der Aufwand lohnt sich heute kaum mehr“, stimmt Kakaobauer Attalé André Yao zu. Der 32-Jährige muss seine vier Kinder ernähren und auch Schulgebühren für die Nachkommen seiner Schwestern zahlen. „Wir haben nicht mehr genug Geld, ausreichend Dünger oder Insektenschutzmittel zu kaufen, damit geht unser Ertrag weiter nach unten.“

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