Kleinhändler auf Amazon Wenn der Vertrieb über den Onlineriesen im Fiasko endet

Für kleine Händler ist Amazon eine Verheißung. Gleichberechtigte Partner werden sie nie. Für manche kommt diese Einsicht zu spät.

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Alles auf Lager: Auf Amazon gibt es fast alles. Das liegt an den vielen Mittelständlern, die hier das große Geschäft suchen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der ganze Stolz von Faruk Elem ist 420 Quadratmeter groß und liegt im Untergeschoss eines Bürohauses in einem Gewerbeviertel nahe Würzburg. Jede Wand ist hier mit Regalen zugestellt, darauf Plastikboxen voll mit Handyhüllen. Für jedes Modell und jede Ausführung gibt es eine eigene Kiste, fein sortiert: Gold. Rosa. Leder. Plastik.

Die Firma RL Media gehört Elems Frau, Faruk organisiert das Tagesgeschäft. Früher verkaufte das Paar Schmuck über das Internet. Heute sind es Handyhüllen, die Elem für ein paar Cent in China einkauft. Seine Mitarbeiter gehören alle irgendwie zur Familie, die Hunde dösen zwischen den Plastikboxen. Einer hat heute Geburtstag und bekommt zur Feier des Tages zwei Wiener Wüstchen. Die Geschäfte scheinen gut zu laufen. Elem trägt eine Breitling am Handgelenk, fährt einen Porsche Cayenne.

Drei Jahre ist es her, da sah die Sache noch ganz anders aus. Die Insolvenz rückte damals in greifbare Nähe. Elem verkaufte seine Waren früher über Amazon. Das Internetunternehmen aber sperrte sein Verkäuferkonto von heute auf morgen und leitete das Geld der Kunden zunächst auch nicht mehr an ihn weiter. Die Ware für das Weihnachtsgeschäft war da schon bestellt. Elem erinnert sich noch gut, wie er in der Küche mit einem Stapel an Rechnungen saß, die er nicht mehr bezahlen konnte. „Amazon zerstört Existenzen“, sagt er.

Dabei bietet die Plattform aus den USA gerade Mittelständlern enorme Chancen. Sie erreichen darauf ein Millionenpublikum, ohne viel Geld in einen eigenen Shop oder Werbung investieren zu müssen. Das Geschäft mit den Dritthändlern boomt und hat viele davon sehr wohlhabend gemacht. Doch Elems Beispiel zeigt: Gerade für Kleinstunternehmen kann der Ausflug in die große weite Welt des Onlinehandels abrupt enden. Wer durch bestimmte Raster des alles durchdringenden Amazon-Algorithmus fällt, sich an kleinteilige Regeln nicht hält oder gar grundlos unter Fälscherverdacht gerät, gerät geradewegs in einen kafkaesk anmutenden Kleinkrieg mit dem US-Giganten – den am Ende immer Amazon gewinnt.

Über seinen Internetshop bietet das Milliardenimperium von Jeff Bezos seit Jahren schon nicht nur eigene Waren feil, sondern gegen eine monatliche Grundgebühr von 39 Euro nebst Provisionen auch die Waren von Händlern wie Elem. Das Geschäft gehört zu einem der am schnellsten wachsenden im Amazon-Reich. Rund die Hälfte aller über die Plattform verkauften Produkte stammen inzwischen schon von solchen Drittanbietern.

Für Christian Wegner begann der Aufstieg vor 13 Jahren. Nach dem Besuch eines Antiquariats stellt der Gründer des Versenders Momox fest, dass manche Bücher bei Amazon und Ebay viel teurer sind als im Laden. Er beginnt, mit Büchern zu handeln. Vom Wohnzimmer aus stellt er jedes Buch per Hand ein.

Heute ist alles automatisiert. Ein Algorithmus entscheidet, welche Bücher oder CDs etwa Momox im Netz einkauft. Automatisch laufen die Produkte als Verkaufsartikel in die eigenen Onlineshops von Momox, bei Amazon und bei anderen Marktplätzen ein. Momox beschäftigt heute 1200 Mitarbeiter, ist in vier Ländern aktiv und setzt 150 Millionen Euro im Jahr um. Der heutige Chef Heiner Kroke sagt: „Über Plattformen wie Amazon kann ein Händler sofort extrem viele Kunden erreichen, ohne sich viel Gedanken über Technik und Marketing zu machen und darin investieren zu müssen.“ Heute ist das Unternehmen so groß, dass der Verkauf über die eigenen Webshops ins Zentrum rückt. „Die Provisionen der Marktplätze sind dann doch verhältnismäßig hoch“, sagt Kroke.

So ähnlich hatte es sich auch Faruk Elem immer vorgestellt. Eine Zusammenarbeit mit Amazon ist dabei aber keine gleichberechtigte Partnerschaft. Und für manchen Unternehmer kommt diese Einsicht viel zu spät.

Um die 3000 Euro setzt Elem nach eigenen Angaben im ersten Monat über Amazon um. Im dritten sind es schon 40.000 Euro und dann teilweise 200.000 Euro im Monat. Die Kunden bewerten seine Leistungen fast ausnahmslos positiv. Das ist die Bedingung für jeden Händler, um bei Amazon erfolgreich zu sein. Wenn Elem nachts wach wird, schaut er noch schnell am Laptop nach, ob Fragen von Kunden eingegangen sind, die er beantworten kann. Einen besonders guten Service will er liefern, das Weihnachtsgeschäft steht an. Elem bestellt Waren für 600.000 Euro. Uhren von Michael Kors laufen damals besonders gut.

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