Klimazertifikate Macht Bäume pflanzen ein Kohlekraftwerk klimaneutral?

Grünes Gewissen: Machen Millionen Bäume ein Kohlekraftwerk klimaneutral? Quelle: Getty Images

Im Onlineshop der Vereinten Nationen kann man günstig seine CO2-Emissionen ausgleichen. Doch hinter dem Versprechen steckt ein kaputtes System. Eine Spurensuche in Kalifornien und Brasilien.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit dem Newsletter-Magazin „Flip“ entstanden.

Alles beginnt mit einem YouTube-Film. Die Vereinten Nationen, die UN, zeigen darin Aufnahmen von Waldbränden und überfluteten Häusern. Eine düstere Zukunft, an der auch ich Schuld trage – durch Rindfleischburger, die ich gegessen habe, meine aufgedrehte Heizung, Flüge in den Urlaub. Der Film der UN bestärkt mich in meinem schlechten Gewissen. Und er bietet mir einen Ablasshandel an. „Wir können alle Teil der Lösung sein“, sagt Hollywoodstar Edward Norton („Fight Club“) darin, „das ist gar nicht so schwer.“ Er preist einen Trick an, mit dem ich Fleisch essen und fliegen kann, ohne dem Klima zu schaden.

Besonders geheim ist der Trick nicht. Millionen Menschen auf der Welt wenden ihn an, genau wie Unternehmen und Staaten. Der Trick heißt CO2-Ausgleich. Ich soll Geld für ein Klimaprojekt zahlen, das genau so viel CO2 einspart, wie mein Konsum an anderer Stelle verursacht. Unter dem Strich, so die Idee, ist meine Klimabilanz damit bei null.

Mit Lufthansa kann man klimaneutral fliegen, bei Shell klimaneutral tanken. Ganze Unternehmen sind klimaneutral, Google zum Beispiel, oder Microsoft. Sogar die Fußball-WM in Katar wurde klimaneutral veranstaltet. Die UN wollen, dass auch ich meine Klimasünden ausgleiche. In einer Art Onlineshop, den die Vereinten Nationen selbst anbieten. „Klimaneutral werden“, sagt Edward Norton in dem Werbespot der Weltorganisation, „ist wirklich so einfach wie eins, zwei, drei.“

Bei Edward Norton und den UN bin ich gelandet, weil ich mir einen Selbstversuch vorgenommen habe. Es geht um zwei Dinge. Erstens: Ich möchte meinen CO2-Fußabdruck bei einer seriösen Organisation ausgleichen. Zweitens: Es soll so günstig wie möglich sein. Im Onlineshop der UN finde ich beides: einen Anbieter, dem ich vertraue. Und ein Staudammprojekt in Brasilien, bei dem der Ausgleich einer Tonne CO2 nur zwei Dollar kostet. Auch meinen CO2-Fußabdruck kann ich direkt im Shop berechnen. Das Ergebnis: sieben Tonnen pro Jahr. Macht insgesamt 14 Dollar, um meine Klimasünden eines Jahres auszugleichen. Bei anderen Anbietern zahlt man für eine ähnliche Leistung um die 200 Euro. Bei den UN scheint es kinderleicht zu sein, klimaneutral zu werden. Und wahnsinnig günstig dazu. Aber hilft es tatsächlich dem Klima?

„Kapitalismus sollte uns retten“

Diese einfache Frage steht am Anfang einer monatelangen Recherche, die mich nach Brasilien und in die USA führen wird. Sie wird zeigen, wie die UN aus einer guten Idee ein kaputtes System machten, in dem dubiose Unternehmen fragwürdige Geschäfte mit dem Klima treiben. Ein System, das Unmengen unwirksamer Klimazertifikate hervorbrachte, die bis heute im Umlauf sind. Am Ende stellt sich nicht nur die Frage, ob im Onlineshop der UN ahnungslose Menschen getäuscht werden. Sondern auch, ob die Vereinten Nationen dem Klima mehr schaden, als ihm zu helfen.

Das Familienunternehmen hinter Frosch kämpft für die Umwelt und gegen Greenwashing – mit beidem hat der Reinigungsmittel-Hersteller Erfolg. Das Vertrauen der Kunden erweist sich als lohnendes Geschäftsmodell.
von Nele Antonia Höfler

Die Suche nach Antworten beginnt in Sacramento. Von Dürre und Waldbränden, die der Klimawandel Kalifornien beschert hat, merkt man in der Hauptstadt des US-Bundesstaats wenig: Mit baumbeschatteten Straßen und hübsch frisierten Vorgärten wirkt sie wie eine Oase, fernab der großen Probleme der Welt. Hier lebt Roger Sant.

Der 91-jährige Multimillionär trägt Shorts und ein Polohemd. Er hat es sich im Poolhaus seiner Villa gemütlich gemacht. In seinem Gesicht liegt ein leises Lächeln zwischen den Falten, als hätte es sich über die Jahre dort festgesetzt: „Ich hatte lange keinen schlechten Tag mehr“, sagt Sant. Er scheint immer gut drauf zu sein, einer, der keine Probleme sieht, nur Lösungen. Von Sant sagt man, er habe den CO2-Ausgleich erfunden. Noch heute macht er große Augen wie ein Kind, wenn er darüber redet. „Ich wollte“, sagt Sant, „dass der Kapitalismus uns vor uns selbst rettet.“

Sant leitet damals, 1987, einen Energiekonzern. Er baut ein neues Kohlekraftwerk, als er von etwas hört, das als Treibhausgas-Problem bezeichnet wird und ihn betrifft: Wenn seine Kraftwerke Kohle verfeuern, würden sie CO2 in die Luft pusten. Je mehr CO2 in die Luft gelange, desto wärmer würde die Erde. Irgendwann könnte sie zu warm für den Menschen sein. „Mir wurde klar“, sagt Sant, „dass wir es mit dem größten Umweltproblem aller Zeiten zu tun haben.“

Sant trommelt seine Mitarbeiter zusammen. Stundenlang überlegen sie. Am Ende hat eine junge Frau namens Sheryl Sturges die verrückteste Idee. Bäume könnte man pflanzen, sehr, sehr viele, die nehmen schließlich CO2 auf. Es lässt sich heute nicht sicher sagen, ob die Idee hier zum ersten Mal aufkam. Aber Sant setzt sie damals als Erster in großem Stil um. In Guatemala pflanzt er 52 Millionen Bäume. Sein Kohlekraftwerk wird so das erste klimaneutrale der Welt. In Sacramento, im Gespräch mit Roger Sant, verstehe ich besser, warum die Idee des CO2-Ausgleichs so eine Erfolgsgeschichte ist. Ich glaube ihm, dass er es ernst meint mit dem Klimaschutz. Gleichzeitig sehe ich ihn lachend, im Poolhaus seiner Villa, und denke: Opfern musste er eigentlich nichts.

Lesen Sie auch: 5 Gründe, warum der Klimaschutz nicht vorankommt

Zehn Jahre später, 1997, findet die Klimakonferenz in Kyoto statt. Die Staaten sollen über die Zukunft des Planeten verhandeln. Al Gore, damals Vizepräsident der USA, kommt mit Föhnfrisur und in perfekt sitzendem Anzug. Für Deutschland ist Angela Merkel vor Ort, damals Umweltministerin, mit Bob-Frisur und in kariertem Sakko. Zehn Tage soll die Konferenz dauern. Doch es gibt vor allem Streit. Die Industrieländer sollen sich erstmals verpflichten, ihre Emissionen zu begrenzen, doch sie fürchten wirtschaftliche Einbußen. Um Mitternacht des letzten Tages, die Konferenz ist eigentlich zu Ende, greift der argentinische Chefverhandler verzweifelt zu einem Trick: Er hält einfach die Uhren an. Es wird weiter verhandelt, 30 Stunden am Stück. Mit dunklen Augenringen tritt Angela Merkel schließlich vor die Kameras: „Es ist ein guter Tag für die Umwelt“, sagt sie.

Die Staaten haben sich geeinigt. Doch sie bauen ein Schlupfloch ins Abkommen, den Clean Development Mechanism, eine Art globales Gesetz zum CO2-Ausgleich. Darin steht: Statt Emissionen zu verringern, dürfen Industriestaaten diese teilweise ausgleichen, indem sie CO2-Zertifikate von Klimaprojekten kaufen. Das scheinbar Geniale: Die Projekte liegen nicht in den Industriestaaten, wo die Emissionen vor allem entstehen. Sondern in Entwicklungsländern, wo es am günstigsten ist, sie einzusparen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%