Konsumpsychologie Wie uns der Supermarkt zum Kaufen verführt

Jeder Supermarkt ist eine Konsumentenfalle. Er bringt die Kunden mit kleinen Tricks dazu, mehr einzukaufen, als sie geplant hatten. Ein Psychologe erklärt die Kniffe und beschreibt, wie Kunden sich dagegen wappnen.

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Supermarkt Hieber in Lörrach. Quelle: PR - Thomas Schindel Fotografie

Eigentlich sollten es nur Milch, Eier, Schinken, Marmelade und ein paar Flaschen Wasser sein. Doch am Ende des Supermarktbesuchs ist der Einkaufswagen gut gefüllt. Entsprechend hoch fällt auch der Betrag aus, den die Kassiererin am Ende der Warteschlange verlangt. „Das macht dann 42 Euro und 63 Cent.“.

Auf dem Kassenbon finden sich neben dem, was es für einen herzhaften Pfannkuchen braucht, Obst, Kekse, Multivitaminsaft, ein Sechserpack Bier, Aufbackbaguettes und -brötchen, Aufstrich von der Wursttheke, abgepackter Käse, eine Tafel Schokolade, Chips und Zigaretten.

Dass die meisten Supermarktbesucher am Ende mehr in ihrem Einkaufsbeutel haben als geplant, ist kein Zufall. „Es gibt eine ganze Reihe von Mechanismen, die die Kaufbereitschaft von Kunden erhöhen“, sagt Hans-Georg Häusel, Experte für Neuromarketing und Autor des Buchs „Kauf mich!“. Mit kleinen Kniffen werden die Kunden zum Kaufen verführt.

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Das ist schon im Eingangsbereich zu spüren. Ob im Edeka oder im Rewe – überall liegt die Temperatur bei circa 19 Grad. „Die Temperatur ist für den Kunden angenehm und er schwitzt nicht“, sagt Häusel. „Schwitzen ist mit körperlichem Stress verbunden und wer Stress empfindet, kauft weniger ein.“

Um Stress zu vermeiden, folgt auch der Aufbau von Supermärkten einem immer gleichen Muster: Der erste Blick fällt stets auf die Obst- und Gemüseauslage, auf frische Tomaten, saftiggrüne Limetten, wohlgeformte Kürbisse, ein Meer aus Farben. „Sehen wir frisches Obst, sondert unser Hirn das Freudehormon Dopamin aus, das auch zum Kaufen anregt“, erklärt Häusel.

Allerdings kann die Obst- und Gemüseauslage auch nach hinten losgehen. Findet sich etwa in einer schlechtgeführten Discounter-Filiale angeditschtes Obst, um das Fruchtfliegen kreisen, reagiert das Ekelmodul im Hirn. Der Käufer will so schnell wie möglich wieder raus aus dem Markt.

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Und Tempo ist schlecht für Supermarktinhaber. Je länger der Kunde im Supermarkt ist, desto mehr Produkte sieht er, was wiederum zu einer höheren Kaufwahrscheinlichkeit führt. Aus demselben Grund läuft im Supermarkt auch langsame Hintergrundmusik – sie beruhigt und entschleunigt.

Nachdem Kiwis, Äpfel und Limetten im Einkaufswagen gelandet sind, geht es vorbei an den süßen Brotaufstrichen. Marmelade ist neben der Nussnougatcreme und dem Honig platziert und in unmittelbarer Nähe dazu steht der Kaffee – das ist unserer Denkstruktur geschuldet.

Warum die Frischetheke immer hinten ist

„Genauso wie wir Waren im Alltag verwenden, wollen wir sie auch im Supermarktregal finden“, sagt Häusel. Wer Marmelade kauft, dem könnte einfallen, dass beim morgendlichen Frühstück nicht mehr viel Kaffeepulver da war, also ab in den Einkaufswagen damit. In der Psychologie heißen solche Muster „Mental Maps“, zu Deutsch: kognitive Karte. Es gibt sie etwa für das Frühstück, das Mittagessen, das Abendessen, für Drogeriebedarf.

Das trägt dazu bei, uns den Einkauf so einfach wie möglich zu machen – und Stress zu verhindern. Aus demselben Grund sind Supermärkte überall nahezu ähnlich aufgebaut. Egal, ob Kunden in Düsseldorf oder in Berlin einen Rewe aufsuchen, sie sollen sich sogleich orientieren können. „Das soll dem Kunden das Nachdenken ersparen“, sagt Häusler. Denn Nachdenken befördert ebenfalls Stress. „In dem Moment, in dem etwas kompliziert wird, wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet und die Kaufbereitschaft geht in den Keller.“

Wer hinter No-Name-Produkten steckt
Ostmann-GewürzeMartina Schneider, Autorin des Buches "Welche Marke steckt dahinter?", schreibt, dass sich die Billig-Klone der Markenprodukte für die Unternehmen lohnen: Sie können ihre Produktionskapazitäten voll ausschöpfen und haben ein zweites Standbein. Allerdings sind die Billigmarken, oft auch vertrieben durch Tochterunternehmen, nicht das Lieblingsthema der Unternehmen. Die Gefahr, dass die Kunden statt auf das Original auf die billige Kopie zurückgreifen, ist zu hoch. So spart ein Kunde, der Kräuter oder Gewürze der Marke Basta kauft, 80 Prozent gegenüber den Ostmann-Gewürzen. Dabei kommen die Würzmischungen aus dem gleichen Haus. Einziger Unterschied: Verpackung und Preis. Basta-Gewürze werden übrigens bei der Supermarktkette Norma vertrieben. Quelle: Screenshot
Gallo Cabernet SauvignonÄhnlich hoch ist die Ersparnis für Kunden, die statt dem "Gallo Cabernet Sauvignon" auf den Wein der Marke "Burlwood Cabernet Sauvignon" bei Aldi kaufen. Der Wein stammt vom selben Familienunternehmen in Californien, kostet bei Aldi aber rund 70 Prozent weniger.
ZentisDer Marmeladen- und Konfitürenhersteller Zentis produziert auch für die Rewe-Marke "Ja!". Kunden, die zur Ja!-Marmelade oder Schokocreme greifen, bezahlen für das gleiche Markenprodukt also deutlich weniger. Der Grund für die krassen Preisunterschiede ist die starke Marktposition der Discounter gegenüber den Herstellern. Aldi, Rewe und Co können Unternehmen wie Zentis zwar nicht den Preis für die hauseigenen Marken, wohl aber den Preis für die Billigmarmelade vorschreiben. Quelle: dpa/dpaweb
ToastSo kostet das Label Golden Toast von Lieken rund 59 Prozent mehr als das Lidl-Produkt "Grafschafter Butter Toast" der Firma Kornmark - dabei ist Kornmark eine Tochterfirma von Lieken. Es handelt sich also um dasselbe Weißbrot. Unter dem Namen "Mühlengold Buttertoast" verkauft die Firma Lieken ihren Toast übrigens auch beim Discounter Aldi. Quelle: Screenshot
Dickmann'sAuch das Unternehmen Storck produziert seine "Super Dickmann's" und "Schokostrolche" nicht nur unter dem eigenen Label. Das Aldi-Produkt "Scholetta Mini Schokoküsse" kommt aus der gleichen Fabrik wie alle anderen Storck-Süßigkeiten. Zu denen gehören neben Dickmann's übrigens auch Nimm2, Werther's Echte und Storck Riesen. Quelle: Screenshot
Leibniz-Kekse & CoAuch die Firma Bahlsen produziert zweigleisig: Hinter Aldis "Van Botta Keksen" versteckt sich der "Leibniz"-Keks, die "Bahlsen Waffeletten" tarnen sich beim Discounter als "Favorini Zartes Waffelgebäck" und auch die billigen Schoko-Waffelröllchen der Firma Choco Bistro stammen aus dem Hause Bahlsen. Quelle: dpa
Müller MilchreisGleiches gilt für den Milchreis der Firma Müller, der getarnt als "Gut und Günstig" bei Kaufland im Regal steht. Und auch bei Aldi gibts den Original Müller Milchreis unter anderem Namen zu kaufen - zum halben Preis. Quelle: Screenshot

Der Weg zur Milch führt an das hinterste Ende des Supermarkts, vorbei am Getränkeregal, den Aufbackwaren, Nudeln, Süßigkeiten. Auch das ist Kalkül: Die Produkte in der Kühltheke – Milch, Käse, Joghurt – sind viel gefragt, viele Kunden gehen speziell ihretwegen zum Supermarkt. Würde der Kunde sie gleich vorne finden, wäre er schnell wieder weg. So landen Saft, Bier, Aufbackbrötchen und Schokolade im Einkaufswagen, Impulskäufe. Und Milch.

Ebenfalls hinten finden sich die Frischetheken, wo Käse und Wurstwaren fein drapiert und ausgeleuchtet sind. Sie sind – vor allem im Supermarkt – wahre Kundenmagneten. Auch das regt zu weiten Wegen an und weiteren Impulskäufen. Zumindest ist der Schinken eingepackt.

Auf dem Weg zur Kasse passieren Kunden die Kühltruhen. Kunden schlagen hier am liebsten kurz vor Ende ihres Einkaufs zu – so bleibt die Ware möglichst lange gekühlt.

An der Kasse angekommen finden sich Zigaretten und Naschkrempel. „Am Ende des Einkaufs soll eine kleine Belohnung stehen – für die Kinder Süßigkeiten, für die Erwachsenen Zigaretten.“

Was sich zudem in den letzten Jahren geändert hat: Die Kassenbänder sind immer kürzer geworden, um so die Wartezeit zu verkürzen. „Der letzte Eindruck hat großen Einfluss darauf, wie der gesamte Einkauf wahrgenommen wird“, sagt Häusel. Wenn da in Erinnerung bleibt, dass es an der Kasse ewig dauerte, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde wiederkommt.

Der Kunde ist all diesen Mitteln allerdings nicht schonungslos ausgeliefert. Häusel rät: „Gehen Sie niemals hungrig in den Supermarkt und schreiben Sie vorher einen Einkaufszettel, dann sind die größten Verführungen schon einmal ausgesperrt.“

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