Konsumverhalten Das Grill-Paradoxon

Grillen ist nicht nur Geschmackssache: Es geht auch ums Prestige. Quelle: Imago

Der Sommer läuft auf Hochtouren und auf Grills im Wert eines kleinen Gebrauchtwagens brutzeln nun wieder Nackensteaks zu Schleuderpreisen. Die Prioritätensetzung erscheint kurios. Woher kommt dieses Kaufverhalten?

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Die Diskussion um die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen hat die Debatte um Fleischpreise neu entfacht. Während die Grünen einen Mindestpreis für Fleisch fordern, will der Discounter Aldi die Fleischpreise senken. Denn die Erzeugerpreise für Schweine und Rinder sind in den vergangenen Wochen stark gesunken.

„Das liegt vor allem daran, dass die Leute nicht außerhalb essen“, sagt Tim Koch, Marktanalyst für Fleischwirtschaft bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI): „Besonders die Gastronomie nimmt weniger Fleisch ab und auch die ausgefallenen Veranstaltungen führen zu einem Überangebot auf dem Markt.“ Bei den Verbrauchern kommt das allerdings nicht an: Dem Statistischen Bundesamt zufolge zahlten die Deutschen im April rund 12 Prozent mehr für Fleisch- und Wurstwaren als im Vorjahr.

„Die Preise im Einzelhandel reagieren immer zeitverzögert“, erklärt Koch: „Bis sie sich angleichen, dauert es meist ein paar Monate. Dass Fleisch aktuell so viel wie selten zuvor kostet, kommt von der enormen Nachfrage aus China.“ Im vergangenen Jahr grassierte dort die Schweinepest, woraufhin viele Tiere starben oder notgeschlachtet werden mussten. Laut Koch dürften die Preise aber bald wieder sinken. Das gibt Sparfüchsen Hoffnung, denn nach wie vor orientieren sich die deutschen an der Fleischtheke stark am Preis.

„Die Leute essen gerne Fleisch, aber die meisten möchten auch, dass es den Tieren gut ging“, sagt die Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale NRW Christiane Kunzel. Allerdings sei das an der Verpackung kaum ersichtlich, denn gerade Fleisch und Wurst würden mit den schönsten Bildern beworben: „Wenn schon beim billigsten Fleisch beste Qualität und artgerechte Tierhaltung suggeriert wird, ist für den Verbraucher kaum zu erkennen, was tatsächlich dahintersteckt“, kritisiert Kunzel. Die Leute würden deshalb letztendlich nach dem Preis entscheiden: „Wenn ich dann im Laden stehe, kaufe ich das billigste, weil ich nicht weiß, wo der Unterschied ist. Und Bio ist eben auch sehr teuer.“

Das Fleisch spielt die Nebenrolle

Ob Bio- oder Billigfleisch: „Die Grillsaison wird die Nachfrage definitiv ankurbeln“, sagt Fleischexperte Koch: „Ich glaube aber nicht, dass sie die fehlende Nachfrage in der Gastronomie ausgleichen kann.“ Auf den Saisonbeginn freut sich neben der schwächelnden Fleischbranche auch Volker Elm. Der Präsident der German Barbecue Association erwartet trotz der Ausgangsbeschränkungen ein gutes Grilljahr: „Ich glaube, dass im Privaten genauso viel oder sogar noch mehr gegrillt wird, weil die Menschen sich wegen der Kontaktbeschränkungen gerne im Garten treffen und gemeinsames Grillen sich da sehr gut anbietet.“

Das bestätigt auch Dominik Elsesser, Marketingchef des weltweit größten Grillherstellers Weber-Stephen: „Es ist allgemein ein gutes Grilljahr. Nicht ganz auf dem Niveau, wie wir es vor der Coronakrise prognostiziert hatten, nichtsdestotrotz sind wir bisher zufrieden.“ Außer in den USA verkauft das Unternehmen in Deutschland am meisten – vor allem zu Start der Saison zwischen März und Juli. Hier zeigen sich die Bundesbürger allerdings nicht knauserig – offenbar investieren sie lieber in professionelles Rüstzeug zur Zubereitung, als in hochwertiges Grillgut: Dem Kölner Institut für Handelsforschung zufolge gaben die Deutschen vergangenes Jahr insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro für Grills aus.

„Unsere Grills kosten zwischen 200 und 4000 Euro“, sagt Elsesser: „Am beliebtesten sind Grills, die zwischen 500 und 1500 Euro kosten.“ Grillexperte Elm sieht den Preis für einen guten Grill auf ähnlichem Niveau: „Mit 500 bis 1000 Euro muss man mindestens rechnen.“ Dass bei solchen Summen auf Centbeträge am Kühlregal geachtet wird, erscheint geradezu kurios. „Man braucht schon einen guten Grill, um hochwertiges Fleisch zu verarbeiten. Aber die Qualität ist natürlich auch extrem wichtig: Ein Grill für 4000 Euro und eine Bratwurst für 49 Cent passen nicht zusammen“, sagt der Fachmann. Für Laien scheint das aber dennoch in keinem Widerspruch zu stehen. Warum wird so viel Geld für einen Grill ausgegeben, aber fast nichts für das Fleisch?

„Hinter dieser Schizophrenie des Konsumentenverhaltens steht ein ganz einfaches Motiv: Der soziale Vergleich“, erklärt der Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm. Teure Gegenstände rund um die Küche, wie etwa der Grill, seien vor allem Prestigeobjekte, um sich zu präsentieren. Dabei gehe es mehr um das Gefühl, als eigentliche Zeigen: „Wenn die Möglichkeit besteht, dass es gesehen wird, reicht das schon aus“, sagt Hamm. Auch das Kochen spiele eine untergeordnete Rolle: „Beim Grillen ist das Fleisch ein Statist auf der Bühne der persönlichen Selbstdarstellung.“

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