Kontrollwahn Aldi soll Mitarbeiter gängeln

Aldi ist billig, das lieben die Deutschen. Doch jetzt macht der Discounter-König wegen Mitarbeiter-Schikane und heimlich gefilmten Kundinnen in kurzen Röcken Negativ-Schlagzeilen.

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Andreas Straub hat sich seinen Frust von der Seele geschrieben. Das Buch des ehemalige Regionalverkaufsleiter bei Aldi Süd erscheint diese Woche "Aldi - Einfach billig. Ein ehemaliger Verkaufsleiter packt aus". Auf 336 Seiten rechnet Straub mit seinem Ex-Arbeitgeber ab, beschreibt im Detail die mitarbeiterverachtenden Methoden des Lebensmittel-Discounters. Das Magazin Der Spiegel hat dem System Aldi seine aktuelle Titelgeschichte gewidmet. Bei der Lektüre stellen sich einem die Nackenhaare auf. Von Einschüchterung ist die Rede, einer Atmosphäre des Misstrauens und des Argwohns, von Kontrolle die paranoide Züge annimmt, strengster Hierarchie, Videoüberwachung, Drill.

Schwere Vorwürfe gegen das Imperium der Gebrüder Albrecht, die mit ihren Billig-Supermärkten das Kaufverhalten der Deutschen revolutioniert haben. Rund 57 Milliarden Euro Umsatz macht Aldi im Jahr, die Marke kennen 99 Prozent der Deutschen. Den Preis für diesen Erfolg bezahlen die Mitarbeiter.

Kein Platz für teure Angestellte

Aldi ist billig und zwar deshalb - so führt der Spiegel aus - weil Mitarbeiter in höheren Gehaltsstufen systematisch aus dem Unternehmen entfernt werden. Eine Sprecherin widersprach am Montag dieser Darstellung. Langjährige Mitarbeiter würden nicht entlassen und „durch 'günstigere' ersetzt“, erklärte sie. Aldi zahlt prinzipiell gut. Theo Albrecht sagte selbst einmal: "Wenn ich 30 Prozent mehr bezahle, bekomme ich die doppelte Leistung." Das setzt die Mitarbeiter aber auch unter Druck, denn sie wissen, dass es in der Branche kaum ähnlich gut bezahlte Stellen gibt. Wer es geschafft im System Aldi zu bestehen, begreift das Gehalt jedoch wohl mehr als Schmerzensgeld. Nichts bleibt bei Aldi unentdeckt. Die Kontrolle ist allgegenwärtig.

Mit festinstallierten Video-, aber auch mobilen Minikameras soll Aldi seine Mitarbeiter systematisch überwacht haben. Pikantes Detail: Mit den Videokameras im Kassenbereich ist es laut Spiegel problemlos möglich, die PIN-Eingabe an den EC-Karten-Geräten zu verfolgen. Spiegel: "Per Joystick lässt sich dieser Ausschnitt soweit heranzoomen, das jede einzelne Ziffer erkennbar wird."

Doch nicht nur die Verkaufsräume stehen unter Beobachtung. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins lauern auch in den Lagern Kameras, um Mitarbeiter und die Speditionsbeschäftigten auszuspähen. Eine rechtlich fragwürdige Methode und kaum dazu geeignet, das Verhältnis der Aldi-Mitarbeiter und Lieferanten zu ihrem Arbeit- und Auftraggebern positiv zu gestalten. Doch daran scheint Aldi prinzipiell wenig gelegen.

Warum Aldi billig ist

Aldi liebt es uniform

Spielraum für individuelle Bedürfnisse gibt es im System Aldi kaum - auch wenn das Unternehmen auf Seminaren für Führungskräfte etwas andere propagiere, berichten Aldi-Mitarbeitern dem Spiegel - der einzelne zähle bei Aldi nichts. Mitarbeiter sollten möglichst uniform und schnell austauschbar sein. So schreibt die sogenannten "Aldi-Bibel" exakt vor, wie der Schreibtisch eines Managers auszusehen hat, in welcher Reihenfolge und mit welchen Utensilien er seinen Schubladen zu befüllen - Büromaterial, Wochenberichte, Quittungen, alles hat seinen vorgegeben Platz. Doch das ist nur der Anfang.

Gepriesen sei, was billig macht

Aldi setzt nicht nur festinstallierte Kameras ein, um seine Mitarbeiter und Kunden zu überwachen, sondern auch mobile Minikameras. Konkurrent Lidl musste sich 2008 wegen Bespitzelung seiner Mitarbeiter mit versteckten Kameras vor Gericht behaupten. Quelle: dpa

Eine Kassiererin berichtet, man habe sie unter vorgeschobenen Gründen dazu gedrängt, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Sie vermutet, dass sie für das Unternehmen wohl zu teuer und zu unflexibel geworden sei, etwa weil sie als dreifache Mutter Anspruch auf Urlaub im Krankheitsfall ihrer Kinder hatte. Mit einem erfundenen Pfändungsbescheid, so die ehemalige Aldi-Mitarbeiterin, habe man sie massiv unter Druck gesetzt, stundenlang angebrüllt, bis sie schließlich ein Papier unterschrieb, von dem sie erst später erkannte, dass es ein Aufhebungsvertrag war.

Konstruierte Kündigungsgründe sollen kein Einzelfall sein. Auch ein Filialleiter in der Regionalgesellschaft Altenstadt berichtet davon. Ihm soll Ware in den Spind geschmuggelt worden sein, um ihn anschließend wegen Diebstahls kündigen zu können. Aldi Süd schweigt dazu. Steckt hinter solchen Aktionen Methode?

Aufhebungsvertrag als Mittel der Wahl

Der Verdacht liegt nahe. Führungskräfte werden bei Aldi gezielt zum Thema Kündigung geschult. Aus den Schulungsunterlagen zitiert der Spiegel: "Der Aufhebungsvertrag ist vorzuziehen, weil er nur unter strengen Voraussetzungen angefochten werden darf. Abmahnungen sind an der Tagesordnung. Regionalverkaufsleiter wie Buchautor Straub tragen die Vordrucke dazu ständig bei sich - "Abreißblock" würde er im Aldi-Jargon genannt, schreibt Straub, nur noch Name und Datum des Aufsässigen sind einzutragen, fertig ist die Abmahnung. Und die könne auch wegen Nichtigkeiten ausgesprochen werden, schreibt Ex-Manager Straub. Etwa, wegen leicht verkalkter Wasserhähne in Umkleidekabinen oder weil ein Mitarbeiter wiederholt beim Verlassen des Raumes vergessen hat, das Licht zu löschen. Kosten sparen lautet das oberste Gebot. "Es ist genau dieser Kampf um Stellen hinter dem Komma, der Aldi zu einem rücksichtslosen Arbeitgebern werden lässt", zitiert der Spiegel den Buchautoren.

Der Discounter macht sein Geschäft zu Lasten der Angestellten. Keine schriftlichen Belege für Arbeitszeiten, die rechtlich Probleme machen könnten, Teilzeitkräfte, die Vollzeit arbeiten, Praktikanten die Auszubildende ersetzen - die Liste ließe sich beliebig fortsetzten. Alles unter den Devise: Gepriesen sei, was billig macht.

Ins Dekolletee gezoomt

Vor diesem Hintergrund schockiert die Meldung, dass Aldi-Mitarbeiter in Hessen die Videoanlagen dazu missbraucht haben, Kundinnen ins Dekolletee zu zoomen und derartige Filmchen auch noch auf CDs gebrannt und an Kollegen weitergereicht haben, kaum noch. Diesen Vorwürfen geht Aldi natürlich sofort nach. Heimlich voyeuristische Aufnahmen von Kundinnen in kurzen Röcken zu machen, werde von Aldi keinesfalls geduldet und ziehe entsprechende disziplinarische sowie gegebenenfalls strafrechtliche Maßnahmen nach sich, informierte eine Sprecherin von Aldi Süd. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten.

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