Kriselnde Modeketten „Die Casualisierung der Mode ist kaum auszuhalten“

Armani trifft Primark: Die Trends am deutschen Modemarkt. Quelle: imago images

Esprit, Gerry Weber oder Tom Tailor: Die Klamotten bleiben in den Läden liegen. Viele große deutsche Modeunternehmen leiden – aber was ziehen die Menschen dann eigentlich noch an? Wer von der Krise profitiert.

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Deutsche Modehersteller haben sich fast schon daran gewöhnt, schlechte Nachrichten zu verbreiten. Die Ratinger Mittelpreis-Modekette Esprit etwa befindet sich seit Jahren im Niedergang. Der Umsatz hat sich seit dem Jahr 2009/2010 auf nunmehr 1,5 Milliarden Euro halbiert. Der Verlust lag im abgelaufenen Geschäftsjahr bei 248 Millionen Euro. Die S.Oliver-Gruppierung aus dem fränkischen Rottendorf mit den Marken S.Oliver, Comma und Liebeskind Berlin scheint schon froh über einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro. 2017 lag er noch bei fast 1,7 Milliarden; der zukünftige Chef Claus-Dietrich Lahrs, früher Chef bei Hugo Boss, soll es nun richten.

Die börsennotierte Gerry Weber AG (Umsatz: 881 Millionen Euro) aus dem westfälischen Halle ist insolvent, sie schließt Filialen. Auch die Hamburger Modekette Tom Tailor, seit diesem Sommer mehrheitlich im Besitz der chinesischen Fosun Fashion Group, vermeldete jüngst Besorgniserregendes: Im zweiten Quartal verlor die Firma 6,4 Prozent Umsatz, der Betriebsgewinn schmolz dahin. Nun kündigte Tom Tailor (Umsatz: 850 Millionen Euro) zwar an, dass man sich mit Banken und dem chinesischen Mehrheitsaktionär auf eine langfristige Finanzierungsstruktur verständigt habe. Der Aufsichtsrat aber führt derweil Gespräche mit Vorstandschef Heiko Schäfer und Finanzvorstand Thomas Dressendörfer „hinsichtlich des vorzeitigen Ausscheidens aus der Gesellschaft“. Das große Problem ist die Tom-Tailor-Tochter Bonita, deren Textilien offenbar niemand mehr tragen möchte.

Dabei kaufen die Deutschen nicht etwa weniger Kleidung. „De facto erleben wir seit mindestens zehn Jahren auf dem deutschen Modemarkt eine Umsatzstagnation“, erklärt Achim Berg, Partner der Unternehmensberatung McKinsey und zuständig für Mode und Luxus. „Das bedeutet: Jeder, der neu von außen hinzustößt oder Marktanteile hinzugewinnt, kann das fast nur auf Kosten anderer. Der Verdrängungswettbewerb ist entsprechend hart.“ Wenn Esprit, Tom Tailor, Gerry Weber und S.Oliver also schrumpfen – wer profitiert davon?

Gewinner sind nicht nur die Billigmode-Hersteller

Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Auflistung der 100 größten europäischen Modemarken-Anbieter der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“ für das Jahr 2018. Zu den größten Gewinnern zählen im vergangenen Jahr auffallend viele Luxusschneider: Der französische Mode-Konzern Kering mit den Marken Gucci, Bottega Veneta und Brioni wuchs um kraftstrotzende 26,3 Prozent (auf 13,7 Milliarden Euro), der Wettbewerber LVMH mit den Marken Louis Vuitton, Dior und Marc Jacobs um ebenfalls erstaunliche 19,3 Prozent auf 18,4 Milliarden Euro. Auch Moncler (plus 18,9 Prozent), Versace (plus 16,3 Prozent), Chanel (plus 13,4 Prozent) und Hermès (plus 7,5 Prozent) offenbarten wenig Probleme.

Dass Luxus per se jedoch kein Allheilmittel darstellt, demonstrierten Giorgio Armani (minus 9,7 Prozent) und Burberry (minus 0,4 Prozent). Dennoch sieht McKinsey-Experte Achim Berg den Trend bestätigt: Die Häufung der Krisen von deutschen Modeunternehmen sei auf eine Schwäche des mittleren Marktsegments zurückzuführen. Das sei keineswegs ein rein deutsches, sondern mindestens ein europäisches Phänomen: „Überall beobachten wir: Die Segmente Discount und Value, also preisgünstige Modemarken sowie die Luxussegmente wachsen – auf Kosten der Mitte.“ Viele deutsche Mittelklassemarken, erklärt Berg, hätten es zudem nicht dauerhaft geschafft, außerhalb ihres Heimatmarktes relevant zu sein. Kunden finden eine ähnliche Produktqualität wie im Mittelklassesegment inzwischen auch in niedrigen Preisklassen. Dadurch sind sie „natürlich weniger bereit, dafür verhältnismäßig viel zu bezahlen.“

Speziell für den deutschen Markt sind die Erfolge der Luxusmarken indes nicht entscheidend. Deren Wachstum sei nach wie vor zu einem großen Teil getrieben von Asien beziehungsweise asiatischen Touristen, erklärt Achim Berg. „Die Stärke des Luxus-Segments erklärt nicht, warum es den Mittelpreis-Vertretern so schlecht geht“, erläutert er. „Der Kunde ist heute flexibler als früher. Eine Zara-Hose in Kombination mit einer Chanel-Tasche – das war früher undenkbar. Heute ist es Standard.“

Viele Mode-Manager verstehen ihre Zielgruppe nicht

Bekannt ist schon länger die aggressive Expansion von Billiganbietern wie dem irischen Konzern Primark – auch wenn der Kette zuletzt ausgerechnet das Deutschland-Geschäft die Bilanz verdarb. Im Jahr 2018 aber verbuchte das Unternehmen einen Gesamtumsatz von 8,6 Milliarden Euro, ein Zuwachs von 6,7 Prozent. Noch kraftvoller expandierte der Danziger Bekleidungskonzern LPP mit der Günstig-Marke Reserved: Um fast 14 Prozent eskalierte der Umsatz im vergangenen Jahr auf rund 1,9 Milliarden Euro. Aber auch im Niedrigpreis-Segment gibt es Negativbeispiele wie etwa C&A, das ein Minus 1,4 Prozent verbuchte.

„Es ist ganz schön komplex“, sagt Annette Weber, ehemalige Chefredakteurin der Modezeitschrift Instyle und seit Jahren erfolgreiche Mode-Bloggerin („Glam-o-meter“). Ein Patentrezept für Erfolg gebe es natürlich nicht. Weber beobachtet den Markt seit vielen Jahren und bietet seit vergangenem Jahr auch selbst eine Modelinie an. Sie befindet: „Die Ära der Vollkollektionen geht zu Ende. Kollektionen werden deutlich spitzer.“ Wichtig sei ein „ganz klarer Fokus auf die Zielgruppe, und: auf jeden Fall online-affin.“ Das klinge zunächst selbstverständlich, aber sie beobachte etwas anderes: „Sehr viele Mode-Manager, die jetzt am Drücker sind, sind in den Fünfzigern und haben das Onlinegeschäft komplett nicht drauf. Viele Manager verstehen die Hebel der Zeit nicht mehr – und damit einen wichtigen Teil ihrer Zielgruppe.“

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