Lebensmittel Foodwatch sucht die dreisteste Werbelüge

Alkoholfreies Bier mit 0,45 Prozent Alkohol, Kindertee mit Zucker, Hackfleisch aus 30 Prozent Wasser: Für soviel Flunkern bei den Lebensmitteln sollen die Hersteller nun unter Druck gesetzt werden. Verbraucher können mitabstimmen.

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Quark ist nicht gleich Milch
Kalziumhaltige ZuckerbombenDer Hersteller Ehrmann warb für seinen Kinderfrüchtequark "Monsterbacke" mit dem Slogan "So wichtig wie das tägliche Glas Milch!" Die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs hat sich die Werbung vorgeknöpft und für irreführend befunden: Zwar enthalte der speziell für Kinder angebotene Quark so viel Kalzium wie ein Glas Milch, allerdings deutlich mehr Zucker. Nun hat auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Slogan für einen Fruchtquark "als gesundheitsbezogene Angabe grundsätzlich nicht zulässig" ist. Das Verbot folge aus der europäischen Verordnung über „nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“, so die Richter (Az. I ZR 36/11). Nach der Verordnung besteht allerdings die Möglichkeit, den Spruch EU-weit behördlich genehmigen zu lassen, wenn die Aussage in wissenschaftlichen Studien bestätigt wird. Die BGH-Richter legten den Fall noch dem Europäischen Gerichtshof vor, um klären zu lassen, ob die Genehmigungspflicht bereits im Jahr 2010 wirksam war. Eine Irreführung der Verbraucher sieht der BGH in der Aussage hingegen nicht. Den Käufern werde „deutlich gemacht, dass es sich um etwas anderes handelt als um Milch“, sagte der Vorsitzende Richter Joachim Bornkamm. Quelle: Screenshot
Viel Hack - weniger FleischDie Hackfleisch-Packungen der Netto-Eigenmarke Viva Vital tragen den Hinweis „30 Prozent weniger Fett“. Wie die Verbraucherorganisation Foodwatch mitteilte, enthalte die Packung tatsächlich aber 30 Prozent weniger Fleisch. Netto hat damit kein Problem. Die Zubereitung sei für Kunden entwickelt worden, die sich ausgewogener ernähren wollten. Das Hackfleisch „sei mit wertvollem pflanzlichem Eiweiß in Form von Weizenproteinen kombiniert“ worden. Damit habe das offiziell als „Fleischzubereitung“ deklarierte Produkt weniger Fett und Cholesterin als herkömmliches Hackfleisch, so die Edeka-Tochter. Die Verbraucherorganisation Foodwatch wertet das Hackfleisch-Produkt als eine „Fleisch-Wasser-Weizen-Pampe“, der man mit Hilfe von so genanntem textuiertem Weizenprotein zur fleischähnlichen Konsistenz und mit Rote-Beete-Saft und Paprika-Extrakt zu „möglichst viel Hackfleisch-Feeling“ verhelfe. Quelle: dpa
Kaum Fleisch, dafür schön fettigAuch bei einer Tütensuppe fühlten sich Verbraucher hinters Licht geführt - die Hühnersuppe von Knorr strotze zwar nur so vor Hühnerfett, nicht aber vor Hühnerfleisch: "Die Hühnersuppe des Herstellers Knorr beinhaltet lediglich Hühnerfett und das in sehr geringer Menge. Der Name "Hühnersuppe" ist daher für mich irreführend. Nach Inhaltsangabe besteht die Suppe hauptsächlich aus Hartweizengrießteigwaren (76 %) und enthält nicht einmal Hühnerfleisch. Die Bezeichnung Nudelsuppe mit geringanteiligem Hühnerfett würde es wohl eher treffen", schreibt Frau S. aus Leipzig auf lebensmittelklarheit.de. Der Hersteller Unilever Deutschland kontert: "Jede Hühnersuppe enthält selbstverständlich Hühnerbestandteile – dies muss aber nicht unbedingt Hühnerfleisch sein und ist es auch bei einer traditionell zu Hause hergestellten Hühnersuppe nicht immer. Entscheidend für den Geschmack der Suppe ist die Qualität des Fonds und nicht die Fleischeinlage. Geschmacksgeber ist, wie auch bei unserer Suppenliebe, das Hühnerfett."
Chili-Gurke ohne SchoteHerr S. aus Günding fühlte sich von der Aufmacher der Knax-Essigurken getäuscht: „Laut Produkt-Aufmachung handelt es sich bei dem Produkt um scharfe Gurken "mit pikantem Chili". In der Zutatenliste erscheint aber kein Chili. Auf der Webseite wird erklärt, dass in dem Aufguss eine scharf-würzige Chili Note ist, nicht aber auf dem Produkt selbst“, schrieb er dem Verbraucherportal. Die Verbrauchzentrale sah das ähnlich: „Falls Chili tatsächlich nicht im Produkt enthalten ist, sollte keine Hervorhebung dieser Zutat in Wort und Bild auf dem Etikett stattfinden.“ Der Hersteller Hengstenberg nimmt's gelassen. Die Kennzeichnung von „Hengstenberg Knax“ scharf-würzig mit pikantem Chili entspreche den  lebensmittelkennzeichnungsrechtlichen Vorgaben. Eine mengenmäßige Angabe sei rechtlich nicht erforderlich, da die Kaufentscheidung nur vom Produktversprechen „scharf-würzig“ beeinflusst würde. „Dieser Anforderung wird unser Produkt vollständig gerecht.“
Kulinarischer Ölwechsel Pesto alla Genovese besteht nach traditionellem Rezept aus Basilikum, Olivenöl und Pinienkernen. Barilla verwendet für seine Pesto jedoch hauptsächlich Sonnenblumenöl und Cashewnüsse statt Pinienkerne. Kommentar der Verbraucherzentrale: „Pesto alla Genovese mit Sonnenblumenöl und Cashewkernen erfüllt häufig nicht die Verbrauchererwartung an eine mediterrane Pasta-Soße.“ Barilla Deutschland erklärt, wie es zum Öl- und Nusswechsel kommt: „An keiner Stelle machen wir Angaben bezüglich einer stetigen Verwendung von Ölivenöl. (…) Die von uns verwendete Ölsorte gewährleistet eine hohe mikrobiologische Stabilität. Bis vor einiger Zeit haben wir Pinienkerne benutzt. Auf Grund von Befürchtungen über deren Qualität in Bezug auf die Stabilität haben wir uns entschieden, Cashewnüsse zu verwenden.“ Quelle: Screenshot
Gefrierbeere im Müslihaufen„Die Müslisorte nennt sich „Erdbeerjoghurt“, tatsächlich befinden sich in dem Müsli lediglich ein Prozent gefriergetrocknete Erdbeeren“, schreibt  Herr B. aus Münstertal. Die Verbraucherzentrale findet Herr B. hat recht.“ Gestaltung und Bewerbung des Produktes wecken Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Der Verbraucher geht davon aus, dass bei einem Erdbeer-Joghurt-Müsli ein höherer Gehalt als nur ein Prozent gefriergetrocknete Erdbeeren zu finden ist.“ Das sieht der Hersteller anders und beruft sich auf geltendes Recht, dem die Aufmachung voll entspreche. „Die Menge an gefriergetrockneten Erdbeeren von 1 % ist angegeben und durch die Produktabbildung real gezeigt. Eine Irreführung des Verbrauchers halten wir für ausgeschlossen.“ Quelle: Screenshot

Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch vergibt auch in diesem Jahr ihren „Goldenen Windbeutel“ für die dreisteste Werbelüge. Bis 18. Juni können Verbraucher auf der Internetseite abgespeist.de über fünf von Foodwatch ausgewählte Lebensmittel abstimmen, wie die Verbraucherschützer am Dienstag in Berlin mitteilten. Zur Wahl stehen eine Margarine, zwei Teesorten, Bier und Hackfleisch. Der „Goldene Windbeutel“ wird 2012 zum vierten Mal vergeben.

Anliegen des Negativpreises ist es Foodwach zufolge, gemeinsam mit den Verbrauchern Druck auf die Lebensmittelindustrie auszuüben, damit diese ihre „irreführenden Werbepraktiken“ aufgibt. Nominiert sind die Margarine Becel pro-activ von Unilever, Teekanne Landlust Mirabelle & Birne, Clausthaler Classic von Radeberger, Hipp Instant-Tees Früchte sowie Viva Vital Hackfleisch-Zubereitung mit pflanzlichem Eiweiß von Netto Marken-Discount.

Die dreistesten Mogelpackungen
Den Verbrauchern werden zunehmend trügerische Keks- und Knabberpackungen untergejubelt. Die Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen kritisiert die Produkte namhafter Hersteller in Supermärkten und Discountern, die im Schnitt 40 Prozent ihrer Packungen für Luft vorbehalten. In Packungen zwischen 75 bis 300 Gramm seien Sichtfenster angebracht, die mehr Fülle und Volumen suggerierten. Oberhalb des Sichtbereiches gibt es allerdings keine Kekse oder kein Knabberzeugs mehr - sondern nur Luft. Die kleinen Mengen werden bewusst in XXL-Packungen abgefüllt - Täuschungsversuche, die nach dem Lebensmittelgesetz nicht erlaubt sind.
Eine verdeckte Preiserhöhung von ganzen 31 Prozent schafft der Discounter Aldi Nord mit seinem Cappuccino-Pulver. In der Dose sind 200 Gramm loses Pulver - die Pappschachtel mit zehn Einzelportionen hat nur noch 125 Gramm Getränkezubereitung. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Neue Formel - aber eben auch eine neue Verpackungsgröße: Die Palmolive Naturals Flüssigseife hat statt 300 nur noch 250 Milliliter Inhalt. Der Preis ist allerdings der alte geblieben. Das entspricht einer versteckten Preiserhöhung von 20 Prozent. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Gleicher Preis, weniger drin: Das kann auch der Geschirrspül-Tabs-Hersteller Calgonit. Bei den Finish Powerballs sind neuerdings vier Spültabs weniger enthalten. Das entspricht einer heimlichen Preiserhöhung von 11 Prozent. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Als besonders dreisten Fall präsentiert die Verbraucherzentrale Hamburg den Nutella-Brotaufstrich. Das große Werbeversprechen: "Mehr drin". Die bittere Wahrheit: Ja, schon - aber dafür ist die Nougatcreme auch überproportional teurer. Das 400-Gramm-Glas kostete 1,99 Euro, die neue Packung mit 450 Gramm kostet 2,39 Euro. Eine verdeckte Preiserhöhung von immerhin 6,8 Prozent. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Mars Miniatures Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Zweimal "Persil Universal-Gel" - ein Unterschied: Während die alte Flasche (links) noch für 45 Waschladungen reichen sollte, lassen sich mit der neuen Flasche nur noch 40 Waschmaschinenladungen bestreiten. Auch bei anderen Waschmitteln der Firma Persil soll die Füllmenge - bei gleichem Preis - reduziert worden sein, heißt es auf der Internetseite der Verbraucherzentrale. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg

Die Margarine werde trotz „völlig unklarer Langzeitfolgen“ frei für jedermann im Supermarkt verkauft, monierten die Verbraucherschützer. Bei dem Teekanne-Produkt handele es sich „um einen Standard-Industrie-Früchtetee, der nur teurer verkauft wird“. Der Kindertee bringe es auf umgerechnet zweieinhalb Stück Würfelzucker pro 200-Milliliter-Tasse. Das „alkoholfreie“ Bier enthalte 0,45 Volumen-Prozent Alkohol, hieß es weiter. Beim Hackfleisch würden 30 Prozent Fleisch „durch billiges, mithilfe von Weizen schnittfest gemachtes Wasser“ ersetzt.

Die bisherigen Gewinner des „Goldenen Windbeutels“ waren Milch-Schnitte von Ferrero (2011), Monte Drink von Zott (2010) und Actimel von Danone (2009). Ferrero hatte den Preis im vergangenen Jahr abgelehnt: Es gebe keine Hinweise, dass die Verbraucher die Werbung als irreführend empfänden. Regelmäßig würden Marktforschungsstudien zu den eigenen Produkten und der Werbung durchgeführt, erklärte das Unternehmen.

Auf Tricks der Hersteller aufmerksam machen

Mit seiner Kampagnenseite abgespeist.de will Foodwatch eigenen Angaben zufolge auf Tricks und „legale Lügen“ der Lebensmittelhersteller hinweisen. Seit ihrem Start Ende 2007 seien 37 Produkte vorgestellt worden. Zu jedem Produkt habe es eine E-Mail-Aktion gegeben. Mehr als 260.000 Verbraucherbeschwerden seien auf diesem Wege direkt bei den Herstellern eingegangen. Etwa 4.500-mal hätten Besucher von der Funktion Gebrauch gemacht, ein Produkt vorzuschlagen, von dem sie sich in die Irre geführt gesehen hätten, teilte die Organisation mit. Foodwatch wurde im Oktober 2002 als eingetragener Verein mit Sitz in Berlin vom früheren Greenpeace-Chef Thilo Bode gegründet, der seither als Geschäftsführer fungiert.

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