Lebensmittel-Innovation Die schwierige Suche nach der Milch aus dem Labor

Die Milch macht's - auch die modifizierte? Bis es Labor-Milch ins Glas schafft, dürfte es noch Jahre dauern. Quelle: imago images

Die konventionelle Milchindustrie ist umstritten und stößt an ihre Grenzen – gleichzeitig steigt der Appetit auf Milch, Käse und Joghurt. Start-ups wie Legendairy Foods aus Berlin forschen deshalb an der Milch aus dem Labor.

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Im Durchschnitt hat jeder Deutsche im vergangenen Jahr 51,5 Kilogramm Milch und 24 Kilo Käse konsumiert. Damit sank zwar der Verbrauch an Milchprodukten im Vergleich zu 2017, ist aber immer noch viel zu hoch, befinden zumindest Tier- und Umweltschutzorganisationen. Denn Milchproduktion „bedeutet unendliches Leid für Kühe“ (Peta) und ist zudem umweltschädlich: Laut UN-Angaben ist die Milchindustrie global betrachtet für vier Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich (was allerdings die Fleischproduktion der Milchtiere mit einbezieht).

Und mit der Weltbevölkerung wächst auch das Verlangen nach Milch und Milchprodukten: Der weltweite Milchkonsum ist in den vergangenen zehn Jahren stetig gestiegen. Und die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, schätzt, dass der weltweite Bedarf bis zum Jahr 2027 um 22 Prozent ansteigen wird, getrieben vor allem durch Indien und Pakistan. Ähnlich wie die Fleisch- gerät damit auch die Milchindustrie unter Zugzwang, Lösungswege für eine effizientere, umwelt- und tierwohlverträglichere Produktion aufzuzeigen – und kommt dabei mitunter auf ganz ähnliche Ideen wie die zuletzt populär gewordenen Hersteller „Beyond Meat“ und Co.: Milch und Käse aus dem Labor.

Raffael Wohlgensinger ist Schweizer und als solcher, wie er sagt, „mit Käse, Raclette, Fondue und Schokolade groß geworden und ich liebe es“. Dennoch ernährt sich der 25-Jährige seit rund vier Jahren vegan. Es sollte in der Theorie kein Problem darstellen, für Milch- und Käseliebhaber wie Wohlgensinger vegane Alternativen zu finden. Schließlich gibt es seit Jahren Milch, Käse und Joghurt auf Basis von Soja, Reis, Mandeln, Kokos oder Hafer, auch wenn dieser vegane Milchersatz sich nicht „Milch“ nennen darf. In der Praxis aber gibt es sehr wohl ein Problem, das der Schweizer wie folgt auf den Punkt bringt: „Es schmeckt einfach nicht.“

Casein und Molkenprotein aus der Petrischale

Mit dieser Meinung steht Wohlgensinger keineswegs allein da – ebenso wenig mit der Feststellung, dass es „hier doch eine Lücke“ gibt. Denn derzeit forschen und werkeln zahlreiche Start-ups daran, die beiden wichtigsten Bausteine von Milch künstlich im Labor herzustellen: Casein und Molkenprotein. Dies gelingt, indem man zunächst die Gene der Kühe identifiziert, die für die Produktion jener Bausteine verantwortlich sind. Im nächsten Schritt wird der Stoffwechsel von Hefepilzen so manipuliert, dass sie die begehrten Nährstoffe in der Petrischale produzieren. Dieses Vorgehen ist nicht neu – so ließen Forscher auch schon Cannabis-Wirkstoffe oder besondere Bier-Aromen durch genmanipulierte Hefen erzeugen. Auf der Basis der so gewonnenen Nährstoffe lassen sich dann – theoretisch – allerlei Milchprodukte künstlich erzeugen, ohne dass eine Kuh involviert wäre. In Deutschland ist Wohlgensingers Firma Legendairy Foods auf diesem Forschungsfeld aktiv, die der studierte Betriebswirt zusammen mit der Wissenschaftlerin Britta Winterberg im Januar in Berlin gegründet hat. Die ebenfalls in Berlin ansässige Beteiligungsgesellschaft Atlantic Food Labs stieg zu Beginn mit 60 Prozent bei der Neugründung ein.

Aktuell, erklärt Wohlgensinger, beschäftige seine Firma vier Mitarbeiter. Man kooperiert mit der Uni Graz, zudem gibt es noch eine Forschungseinheit in Bangkok, wo Mitgründerin Winterberg derzeit lebe. In den nächsten Monaten will er aber alles in Berlin zusammenzurren. „Derzeit können wir die einzelnen Milchkomponenten in kleiner Produktionsgröße herstellen, auf deren Basis wir dann die einzelnen Milchprodukte wie Käse oder Joghurt erzeugen können“, erklärt er: „Wir sprechen hier aber noch von Gramm.“ Als erstes plant Wohlgensinger, künstlichen Mozzarella herzustellen. Im kommenden Jahr möchte er ein erstes kleines Testessen veranstalten. Eine Serienproduktion erwartet er nicht vor 2022.

Eiscreme ohne Kuhmilch

Etwas weiter fortgeschritten in der Entwicklung sind ein paar Start-ups aus den USA: New Culture, 2018 in San Francisco gegründet, konzentriert sich auf die Produktion von Casein und ebenfalls auf Mozzarella-Produktion. Mitgründerin Inja Radman erzählte der „New York Times“, ihre Firma habe bereits Blindtests durchgeführt, um zu überprüfen, ob man einen Unterschied schmeckt zwischen konventionell hergestelltem Mozzarella und dem aus ihrem Labor: „Wir hatten wirklich positive Ergebnisse“, erzählt Radman.

Wohl am weitesten ist aber wohl das Start-up Perfect Day, das bereits 2014 in Berkeley gegründet wurde. Die Jungfirma hat schon vier Finanzierungsrunden hinter sich und konnte so umgerechnet rund 55 Millionen Euro einsammeln. Im Juli brachte Perfect Day bereits eine kleine Charge an veganer Eiscreme heraus, Geschmacksrichtungen: Schokolade, Vanille-Salzkaramell und Vanille-Brombeere-Sahne. Die beiden Firmengründer Ryan Pandya und Perumal Gandhi nannten es das „weltweit erste tierfreie Eis“. Nach kurzer Zeit war es ausverkauft. Auf ihrer Webseite jubelten sie: „Unser pflanzliches Protein ermöglicht die Herstellung aller Arten von Milchprodukten ohne Kühe. Langfristig werden wir mit einigen der größten Milch- und Lebensmittelunternehmen der Welt zusammenarbeiten.“

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