Lebensmittel-Innovation Die schwierige Suche nach der Milch aus dem Labor

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Regionalität und Natürlichkeit von Labor-Milch kaum bedient

Auch Wohlgensinger gibt sich industriefreundlich: „Wir wollen nicht die Milchindustrie angreifen“, erklärt er selbstbewusst. „Vielmehr möchten wir einen Weg finden, den kranken Teil der Milchindustrie, also den Massenmarkt mit schlechter Tierhaltung, langfristig zu ersetzen – und zwar so, dass der Konsument keinen Unterschied bemerkt. Der soll nicht auf das verzichten, was er gerne mag.“ Es ist aber fraglich, ob die milliardenschweren Milchindustriefirmen auch mit den kleinen Emporkömmlingen kooperieren, wie es zunehmend in der Fleischindustrie zu beobachten ist. Hier investierte etwa die niedersächsische PHW-Gruppe (Wiesenhof) in das kalifornische Start-up Beyond Meat (mit dem populären „Beyond Burger“) und in die israelische Firma Supermeat, die künstlich erzeugtes Hühnerfleisch produzieren will.

Eine kleine WirtschaftsWoche-Umfrage unter den großen deutschen Molkereibetrieben bestätigt die erwartbare Zurückhaltung. So teilte die größte deutsche Molkereigenossenschaft, das Deutsche Milchkontor aus Bremen (Umsatz: 5,6 Milliarden Euro), mit: „Wie auch pflanzliche Alternativen zahlt die Entwicklung bei der künstlichen Milch auf diese, sich immer individueller gestaltenden Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher ein und bietet zukünftig eine mögliche weitere Option beispielsweise bei Lebensmittelintoleranzen oder Allergien.“ Da die Entwicklung aber noch ganz am Anfang stehe, richtet DMK aus, „lässt sich aus unserer Sicht derzeit noch schwer beurteilen, in wie weit diese Produkte von den Verbrauchern auch angenommen werden“. Zudem würden „die Megatrends Regionalität und Natürlichkeit (...) von Labor-Milch kaum bis gar nicht bedient. Das dürfte für diese Nische ein dickes Brett sein.“

„Erhebliche Konsequenzen für die gesamte Branche“

Die schwedisch-dänische Molkerei Arla (Umsatz in Deutschland: 1,45 Milliarden Euro) lässt ausrichten: „Um auf die sich ändernden Verbraucherbedürfnisse zu reagieren, ist es für uns jedoch selbstverständlich, die Erweiterung unseres Produktportfolios ständig weiterzuentwickeln. Derzeit hat Arla keine aktiven Pläne neue Technologien zur Herstellung von Milchalternativen in Labors zu nutzen.“ Jan Kruise, Deutschland-Chef der Molkerei Friesland-Campina, bekundet: „Letztendlich werden die Verbraucher entscheiden, wie die Produkte der Zukunft aussehen – und wir gehen dabei von einer weiteren Diversifizierung im Segment Milch/Milchprodukte aus.“ Und die Unternehmensgruppe Theo Müller (Umsatz: knapp sechs Milliarden Euro) stimmt mit Legendairy-Foods-Gründer Wohlgensinger zumindest in der Problemanalyse überein: „In der überwiegenden Anzahl der Fälle ist aus unserer Sicht bei pflanzenbasierten, so genannten Milch-Ersatzprodukten noch viel Luft nach oben, was deren Geschmack und Konsistenz betrifft.“ Müller konzentriere sich zuallererst auf „den guten Geschmack unserer Produkte“ – und erklärt: „Im Zentrum steht dabei aber wie gesagt echte Milch, nicht künstlich im Reagenzglas erzeugte.“

Für Alexander Ströhlein, Chefredakteur der „Deutschen Molkerei Zeitung“, ist die kommunizierte Skepsis der Branchengrößen nachvollziehbar: „Sofern es tatsächlich eine der großen Molkereien zu einem solchen, marktreifen und EU-rechtskonformen Produkt schaffen würde, entstünden daraus erhebliche Konsequenzen für die gesamte Branche: Absolute Marktunabhängigkeit von den Lieferanten abgekoppelt von dem Thema Tierwohl ohne unsägliche Diskussionen um die Rohmilch-Preise sowie nicht zuletzt mit Auswirkungen auf die Zulieferbranche.“ Das damit verbundene Hofsterben in der Landwirtschaft zöge „persönliche Dramen nach sich mit allen Konsequenzen auf die Marktwirtschaft.“

Milch ohne Euter ist keine Milch

Ob nun von einer Großmolkerei oder einem Start-up vorangetrieben – im Labor erzeugte Milch wäre in der EU ohnehin mit einem nicht zu unterschätzenden Problem konfrontiert: auch diese Milch dürfte nicht „Milch“ heißen, wie eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf WirtschaftsWoche-Anfrage erklärt: „Ein Produkt darf nur dann als „Milch“ bezeichnet werden, wenn es durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen wurde.“ Das Erzeugnis müsse dem Ministerium zufolge „der normalen Eutersekretion entstammen, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug“. Geregelt ist diese Abgrenzung im EU-Marktordnungsrecht. Dasselbe gilt auch für veganen Käse, weshalb sich die bereits existierenden pflanzlichen Käse-Ersatzprodukte behelfen mit Bezeichnungen wie „Pizzaschmelz“ oder „Genießerscheiben“.

Für Raffael Wohlgensinger kommt Trinkmilch aber ohnehin erst einmal nicht infrage. „Richtige Trinkmilch im Labor herzustellen, scheint wohl das Schwierigste zu sein“, sagt er. Sie sei in ihrer Zusammensetzung „enorm komplex“ mit kleinen Spuren von Fetten und Proteinen. Vor allem aber verbinde der Konsument – im Gegensatz zu den zig Käsesorten – mit Milch genau einen Geschmack: „Und wenn man den nicht genau so trifft, ist der Konsument nicht happy.“

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