Im Supermarkt sah das Gericht mit Nudeln sehr schmackhaft aus, aber wenn es zubereitet auf dem Esstisch steht, erinnert nur noch wenig an den herrlich hergerichteten Teller auf der Verpackung. Doch warum kaufen wir solche Gerichte trotzdem? Und warum glauben wir den schönen Werbebildern, die Schnitzel, Nudelgerichte und Burger in herrlich schmackhafter Anmutung erstrahlen lassen?
„Konsumenten wissen genau, was Sache ist“, sagt Professor Claas Christian Germelmann, Lehrstuhlinhaber für Marketing an der Uni Bayreuth. Er beschäftigt sich mit der Frage, was Konsumenten über die Hintergründe der Lebensmittel wissen, die sie kaufen. Zentral dabei: die Idee von „to good to be true“ („zu schön um wahr zu sein“). Auch das Thema ‚Bilder in der Werbung‘ gehört zu seinem Forschungsgebiet. Germelmann kommt zu dem Schluss, dass Verbraucher durchaus unterscheiden können zwischen dem, was ihnen die Werbung zeigt, und dem, was eigentlich auf ihrem Teller landet.
Bilder wirken stärker als Texte – vor allem auch in der Werbung. Deshalb setzen Unternehmen bei der Bewerbung von Fertiggerichten auch auf die Kraft des schönen Bildes. Der Verbraucher wird von der Industrie aber nicht belogen, so der Professor. „Konsumenten sind gewöhnt, dass die Dinge in der Werbung schöner aussehen“ und erwarten das deshalb auch so. Es entspricht dem Belohnungssystem: Wenn wir schöne Models sehen, freuen wir uns darüber. Gleiches gelte für Lebensmittel. Auch hier freuen wir uns über den schönen Anblick, auch wenn wir wissen, dass die Realität anders und meist auch nicht so schön aussieht.
Lebensmittel und die Fachwerkhaus-Idylle
Auch Professor Ulrich Nöhle, der an der Technischen Universität Braunschweig lehrt, ist sich sicher, dass Konsumenten wissen, was sie bekommen. Nöhle kann auf eine 30-jährige Berufserfahrung in der Lebensmittelindustrie zurückblicken. Sowohl Herstellungsprozesse von Lebensmitteln als auch die Kommunikation und die werbliche Darstellung auf Verpackungen gehören zu Nöhles Tagesgeschäft. Er schätzt den Begriff der Scheinwelt, die der Konsument gerne annimmt. „Wir träumen davon in einer heilen Fachwerkhaus-Welt zu leben. Der Verbraucher wünscht sich eine träumerische Idylle und die liefert ihm die Industrie auch“ – auch wenn es nur um eine appetitliche Anmutung des Fertigfischs geht.
Geschönte Verpackungen = Verbrauchertäuschung?
Die Organisation Foodwatch sieht das jedoch anders. „Wir wehren uns dagegen, dass Verbraucher getäuscht werden wollen“, sagt Andreas Winkler, Sprecher des gemeinnützigen Vereins, der sich die Rechte von Verbrauchern und die Qualität von Lebensmitteln auf die Fahne geschrieben hat. Aufgrund der geschönten Verpackungen ist die Qualität des entsprechenden Lebensmittels nur noch schwer zu erkennen, so Winkler.
Die Erfahrungen seien so, dass die bestehenden Regelungen die Unternehmer und nicht die Verbraucher schützen. Das sei aber der falsche Weg. In einem 15-Punkte-Plan gegen Verbrauchertäuschung fordert Foodwatch seit Juli 2012 Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner auf gegen den Etikettenschwindel vorzugehen. Dabei geht es auch um übertriebene Werbedarstellungen: „Werbung darf den Produkteigenschaften nicht widersprechen“, heißt es darin. Punkt drei liefert konkrete Forderungen für realistische Produkt-Abbildungen: „Die Abbildung eines Lebensmittels auf der Verpackung muss dem tatsächlichen Produkt entsprechen. Geschönte Abbildungen müssen untersagt werden.“
Fotografien von Werbung und Realität
Mit dem Unterschied zwischen Werbebildern und wirklichen Fertiggerichten hat sich auch der Künstler Samuel Mueller in seinem Projekt „Werbung gegen Realität“ beschäftigt. Er nahm 110 Fertiggerichte, bereitete sie zu und fotografierte die Ergebnisse. Diese Bilder stellte er dann den Werbebildern gegenüber. Ergebnis: Werbung und Wirklichkeit klaffen massiv auseinander. „Jeder kennt den Effekt, wenn man etwas zubereitet und es sieht überhaupt nicht so aus, wie erwartet, aber die Masse sieht man nicht. Sieht man allerdings einen Bildvergleich nach dem anderen, so ist es zunächst belustigend und dann erschreckend“, erklärt Mueller sein Projekt.
Die Idee dazu kam im eigenen Fast-Food-Alltag des Berliners: „Ich habe mit meiner Freundin in einem Schnellrestaurant gesessen die Burger-Verpackung geöffnet. Dann wandert der Blick vom Burger auf das Werbebild, zurück zum Burger und erneut zum Bild. Und das, was wir sahen, hatte einfach kaum Ähnlichkeit miteinander.“
Mueller: Sollten wir nicht darüber nachdenken?
Das inspirierte Mueller zu seiner Idee, Fertig-Mahlzeiten den Werbebildern gegenüberzustellen. Diese Bildcollagen stellte der Berliner dann ins Internet. Jeder solle selbst feststellen, ob er damit leben kann, dass er nicht das bekommt, was die Verpackung verspricht, so Mueller. Wenn sein Projekt ein Ziel habe, dann vielleicht die Aufforderung „Schaut mal her, sollte man da nicht drüber nachdenken?!“ Das Projekt soll die Verbraucher sensibilisieren.
Ob die Bestimmungen so in Ordnung seien, so dass den Unternehmen der Spielraum zu einer solchen Werbung gelassen werden, will der Künstler nicht bewerten, aber für ihn ist klar: Es geht ums Verkaufen. „Wenn die Verpackung von Fertiggerichten durchsichtig wären, dann würden es bestimmt weniger Menschen kaufen“, vermutet Mueller.
Je appetitlicher, desto eher gekauft
Diese Vermutung bestätigt die Erhebung „Saftig, lecker, knackig: Lebensmittelwerbung muss Appetit machen“ des Online-Marktforschungsinstituts Media Analyzer: „Im Zentrum soll das appetitlich hergerichtete, frische und möglichst verzehrfertig inszenierte Produkt stehen. Je appetitlicher, frischer und verzehrfertiger die Präsentation, desto besser wurde die Werbung durchgängig bewertet“, so die Auswertung. Eine große Ablehnung gegenüber Lebensmittelwerbung konnte nicht festgestellt werden: Der Aussage ‚Ich kann Lebensmittelwerbung überhaupt nicht leiden‘ stimmten demnach 30 Prozent der Männer und nur 15 Prozent aller Frauen zu.
Manager und Lebensmitteltechniker Nöhle kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Auf dem Bild sieht es sehr schön aus, wenn die Salami vor dem Fachwerkhaus liegt, was den Anschein erwecken könnte, dass sie dort auch hergestellt wird. Jeder weiß, dass dort keine Lebensmittel produziert werden – das wäre ja alleine von unseren Hygienevorschriften gar nicht zulässig. Genau wie der Verbraucher weiß, dass Erdbeeren im Februar nicht von heimischen Feldern kommen, aber kauft sie trotzdem.“ Der Verbraucher aber suche diese Idylle, obwohl er ganz genau weiß, dass er in einer Industriegesellschaft lebt und die Idylle nicht genau passe. „Die Industrie sucht natürlich auch ihre Nische um ihre Produkte abzusetzen und bedient sich dieser Nische der Idylle“.
Wenn die Diskrepanz zu groß wird
Allzu groß sollte die Diskrepanz zwischen Werbung und Realität allerdings nicht werden. Doch der Markt reagiere dann sofort: Ist der Verbraucher von der Muffin-Fertigbackmischung von Hersteller XY unzufrieden, greift er laut Marketingexperten Germelmann meist gar nicht mehr zu einem solchen Produkt.
Das schwäche einerseits die ganze Branche, könne aber bei größeren Auswirkungen für eine nachhaltige Veränderung der Produkte sorgen, da den Unternehmen nichts anderes als eine Veränderung der Produkte übrig bliebe.
Die Täuschung liegt für Germelmann nicht so sehr in den schön fotografierten Bildern, da wir den Unterschied gemeinhin kennen, sondern in den Punkten, die Verbraucher nicht mehr prüfen können. Während wir mit dem Kauf und der Zubereitung der Produkte sehen, ob sie das bieten, was das Werbebild verspricht, können wir hingegen nicht prüfen, ob es sich tatsächlich um ‚glückliche Kühe‘, den entsprechenden Fettanteil oder das richtige Fleisch handele. „Dort, wo wir die Herkunft eines Produktes etwa nicht nachvollziehen können, da besteht die Gefahr der Täuschung“, so Germelsmann.
Sind Verbraucher ehrlich, so lassen sie sich von Bildern also durchaus gerne belügen. Wenn es uns aber trotz allem schmeckt, kaufen wir es wieder. Wenn nicht, lassen wir es beim nächsten Mal im Regal – egal, was die schöne Verpackung verspricht. Fakt ist aber auch, dass Verbraucher wissen wollen, was in ihren Produkten steckt – womit der Etikettenschwindel der Werbelüge im Vergleich zu falschen Inhaltsstoffen oder Produktionsweisen die deutlich geringere Rolle spielt.