Insgesamt ist die Zahl der Lebensmittelgeschäfte dagegen spürbar zurückgegangen. Allein seit 2006 hat sich ihre Zahl von 71.000 nahezu halbiert. Woran liegt das?
In Deutschland haben wir nach wie vor eine sehr hohe Geschäftsdichte. Die Landkarte hat fast keine weißen Flecken mehr, daher ist über Flächenexpansion nicht mehr viel zu holen. Es geht vielmehr um Qualität statt Quantität im stationären Handel und damit zusammenhängend dann auch den Rückgang der Geschäftsanzahl. Der Aufschwung des Online-Handels ist sicherlich ein wesentlicher Faktor. Die Windstärke hat definitiv zugenommen. Das heißt auf der einen Seite, dass sich viel bewegt, auf der anderen Seite ist das Bestehen aber nicht unbedingt einfacher geworden. Allein im vergangenen Jahr ist die Anzahl der Geschäfte um rund 500 gesunken. Der Gesamtumsatz nimmt aber zu. Ich glaube, dass sich die Anzahl der Geschäfte wieder auf einem gewissen Niveau einpendeln wird, wenn sich das neue Mischverhältnis von Online- und Offlinehandel gefunden hat.
Wie wird dieser Mix am Ende aussehen, wird das Gros der stationären Händler über kurz oder lang verschwinden?
Die Befürchtung, E-Commerce mache den stationären Handel überflüssig, bewahrheitet sich nicht. Die Verbraucher, wie auch die meisten Händler, haben aber mittlerweile verstanden, dass es kein entweder oder gibt. Gerade, wenn Einkaufen Spaß macht, verbringen Verbraucher gerne Zeit damit. Was auf den ersten Blick paradox wirkt, ist kein Gegensatz. Auf der einen Seite wollen die Verbraucher so wenig Zeit wie möglich für ihren Einkauf aufwenden und auf der anderen Seite macht ihnen das Erlebnisshopping Spaß.
Die größten Lebensmittel-Discounter in Deutschland nach Umsatz
Diska*
Netto-Umsatz 2017: 0,24 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Quelle: EHI Retail Institute
Treff3000*
Netto-Umsatz 2017: 0,25 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Niedrigpreis (NP)*
Netto-Umsatz 2017: 0,80 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Netto (Dansk Supermarked)*
Netto-Umsatz 2017: 1,12 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Norma*
Netto-Umsatz 2017: 3,15 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Penny
Netto-Umsatz 2017: 7,40 Milliarden Euro
Aldi Nord*
Netto-Umsatz 2017: 11,73 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Netto Marken-Discount (Edeka)
Netto-Umsatz 2017: 13,10 Milliarden Euro
Aldi Süd*
Netto-Umsatz 2017: 15,30 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Lidl*
Netto-Umsatz 2017: 19,18 Milliarden Euro
* Diese Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen; alle Angaben sind Schätzwerte.
Wie wichtig ist der Verkauf von Lebensmitteln und anderen Waren des täglichen Bedarfs über das Internet?
Bis jetzt hat sich der Online-Handel mit Waren des täglichen Bedarfs auch noch nicht richtig durchgesetzt. Wir beobachten aber eine starke Dynamik, denn der Bereich wächst deutlich zweistellig. Dennoch macht er aber immer noch nur rund ein Prozent des Gesamtumsatzes aus. Die Nachfrage ist so gesehen insgesamt noch zögerlich und bislang ist das Angebot oft eingeschränkt – etwa auf bestimmte Regionen oder Produkte. Kategorien wie Tiernahrung, Baby- oder Körperpflege haben sich hingegen online bereits etabliert. Hier kommen wichtige Vorteile des E-Commerce wie Sortimentsvielfalt, Bevorratung und Convenience schon voll zur Geltung.
Was heißt das in konkreten Zahlen?
2016 hat jeder Deutsche im stationären Lebensmitteleinzelhandel rund 2.212 Euro für Produkte des täglichen Bedarfs ausgegeben. Schaut man sich das Marktvolumen des Online-Handels an, so waren es 124 Euro je Haushalt pro Jahr – Tendenz steigend. Das trifft jedoch nicht auf alle Kategorien zu, bei Frischeprodukten wie Milch gibt es noch klare Grenzen. Manche Alltagsprodukte lassen sich die Verbraucher aber besonders gerne nach Hause liefern. Dazu gehören insbesondere Kosmetik, Deodorant, Duschgel, Shampoo oder auch Schmerzmittel. In Zukunft wird sich die Auswahl an lieferbaren Produkten deutlich erhöhen. Denn die Bestellungen von standardisierten Produkten wie Milch und Mehl könnten über große Logistikzentren abgewickelt werden – ohne, dass ein Händler dazwischen stehen muss. Dadurch haben Geschäfte mehr Kapazitäten für Produkte mit hoher Sortenvielfalt wie Schokolade, Nudeln oder Saft.
Warum spielt der Online-Handel mit Lebensmitteln bisher nur eine Nebenrolle?
Die größte Barriere für den Online-Handel mit Lebensmitteln bleibt die hohe stationäre Geschäftsdichte in Deutschland, gerade auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Der Reiz, Lebensmittel online zu kaufen, ist da einfach vergleichsweise gering, wenn der nächste stationäre Händler in unmittelbarer Nähe ist. Und das hängt ja auch mit der Einkaufsroutine zusammen, die dafür durchbrochen werden muss. Dafür sind aber Konzepte notwendig, die über das einfache Aufschalten eines Online-Kanals hinausgehen. Andere Hürden wie eingeschränkte Sortimente, preisliche und zeitliche Nachteile durch hohe Lieferkosten, weite Zeitfenster, oder ein fehlendes Echtzeit-Erlebnis lassen sich da schon eher minimieren. Wenn diese Kaufbarrieren erst überwunden sind, steht dem Bereich ein enormes Wachstum bevor, gerade weil Lebensmittel vergleichsweise häufig gekauft werden.
Welches Potenzial sehen Sie langfristig im E-Food-Bereich?
Würden Hersteller beispielsweise bei Obst und Gemüse eine volle Rückerstattung sowie kostenlose Neulieferung von beschädigten Produkten anbieten, würden 60 Prozent der Deutschen in Betracht ziehen, auch frische Lebensmittel online zu kaufen. Es ist ja so, dass die meisten Verbraucher ihre Einkaufsdauer minimieren wollen, und der Online-Einkauf bietet beste Möglichkeiten dafür – zumindest in der Theorie. Denn nur, wenn es gelingt, Vorteile auf andere Kategorien zu übertragen, das Angebot zu erweitern und den Wettbewerb zu stärken, kann der E-Commerce seinen Anteil am Gesamtumsatz in den kommenden Jahren steigern. Dies ist zwar immer noch weit entfernt von den Umsatzanteilen in Großbritannien und Frankreich, wäre für Deutschland aber der Durchbruch.