Lieferengpässe im Handel „Ham wa nich, is aus, kommt auch nich wieda rein!“

Im Mehlregal eines Supermarlts klaffen Lücken. Quelle: imago images

Lieferengpässe werden zum Dauerärgernis: Einzelhändler erwarten, dass die Probleme noch über Monate anhalten werden. Bei einem Produkt ist sogar erst ab 2024 Entspannung in Sicht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Egal ob Zigaretten oder Autos – in den vergangenen Monaten kam es bei vielen Produkte zu Lieferschwierigkeiten. Wer gar versuchte, ein neues Fahrrad zu kaufen, fühlte sich schnell an die Mangelwirtschaft in DDR-Zeiten erinnert und an den Ostberliner Standardspruch des Ladenpersonals: „Ham wa nich, is aus, kommt auch nich wieda rein!“

Laut einer neuen Umfrage des Münchner Ifo-Instituts wird das auch so bleiben: „Die Lieferprobleme sind zu einem Dauerproblem für den Einzelhandel geworden“, sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. „Auch in diesem Jahr wird es zu Weihnachten wieder Lücken in den Regalen geben.“ 

So erwarten die deutschen Einzelhändler laut den Ergebnissen der Ifo-Umfrage im Schnitt, dass die Lieferprobleme noch 11,5 Monaten anhalten werden. 

Am schlimmsten sind dabei die Fahrradhändler betroffen. Sie gehen mit 18 Monaten von der längsten Dauer der Engpässe aus. Gleichzeitig gaben in dieser Gruppe 100 Prozent der Unternehmen an, dass aktuell nicht alle bestellten Waren geliefert werden könnten. Im gesamten Einzelhandel lag diese Quote bei 75,7 Prozent - das ist im Vergleich zum Mai ein leichter Rückgang.



Besonders häufig von Lieferproblemen betroffen sind auch Händler von elektrischen Hausgeräten mit gut 98 Prozent, Autohändler und Baumärkte mit je gut 90 sowie Unterhaltungselektronik und Möbel mit jeweils gut 88 Prozent. Im Lebensmittelhandel entspannte sich die Lage: Im Mai hatten hier noch fast alle Unternehmen über Engpässe geklagt. Nun waren es 77 Prozent. Im Bekleidungshandel sank der Anteil auf 54 Prozent.

Lebensmittelhandel und Bekleidung sind auch die beiden Bereiche, in denen mit 8,2 und 9 Monaten die kürzeste Dauer der Lieferprobleme erwartet wird. Die nach dem Fahrradhandel längsten Engpässe erwarten der Spielwarenhandel mit 14 und elektrische Hausgeräte mit 13,7 Monaten.

Bauernproteste in den Niederlanden und Null-Covid-Strategie

Neben dem Einzelhandel kämpfen auch andere Branchen weiter mit Lieferproblemen. Sowohl in der Elektroindustrie, im Maschinenbau und in der Automobilbranche berichten laut Ifo jeweils rund 90 Prozent der Unternehmen, dass sie nicht alle Materialien und Vorprodukte bekommen. Keine einzige Branche geht davon aus, dass sich die Lieferprobleme in diesem Jahr auflösen werden. Am kürzesten ist die erwartete Dauer der Lieferprobleme mit 7,2 Monaten in der Metallerzeugung und -bearbeitung, am längsten in der Getränkeindustrie mit 13,1 Monaten.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) befürchtet schwierige Monate mit anhaltenden Versorgungsengpässen - nicht zuletzt wegen der Probleme in China. Die Volksrepublik ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner mit einem Warenaustausch von zuletzt 245 Milliarden Euro im Jahr 2021. Die „fragwürdige Null-Covid-Strategie Chinas“ lähme den weltweiten Handel, klagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm kürzlich.

Die Effekte der inzwischen weitgehend aufgehobenen Corona-Lockdowns in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt in Form von Produktionsstaus und gestörten Lieferketten dürften in den Sommermonaten noch zu spüren sein. Unklar ist, ob auch regionale Ereignisse wie die Bauernproteste in den Niederlanden zu zusätzlichen Verzögerungen führen werden. Aus Protest gegen geplante Umweltauflagen haben Bauern in den Niederlanden Distributionszentren von Supermärkten blockiert. Auch einige Häfen wurden von Fischern blockiert, die die Landwirte unterstützen.  

Offiziellen Statistiken zeigen bereits die Auswirkungen der Lieferverzögerungen etwa für die deutsche Autoindustrie. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) knapp 1,24 Millionen Neufahrzeuge zugelassen. Das waren elf Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Auch der jahrelang kräftig gestiegene Absatz von Elektroautos gerät inzwischen immer wieder ins Stocken.

Zwar kamen laut KBA in den ersten sechs Monaten 12,5 Prozent mehr Batterie-Autos neu auf die Straße als im Vorjahreszeitraum. Doch mit Blick auf den Juni verzeichnete die Behörde einen Rückgang. Etwas mehr als 32 200 reine Elektroautos wurden im vergangenen Monat neu zugelassen und damit 3,5 Prozent weniger als Juni des Vorjahres.

Lesen Sie auch: Einzelhändler befürchten mehr Ladendiebstähle wegen steigender Preise.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%