Lobbyismus Unternehmen gründen undurchsichtige Bürgerinitiativen – und die EU finanziert sie mit

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Ein Start-up namens Facebook

Die bewusst gewählte Intransparenz ruft erste Politiker auf den Plan. „Es müsste nachvollziehbar sein, wer hinter Organisationen steckt“, fordert etwa der grüne Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht. Er weiß, wovon er spricht. Schließlich hat er die erste große Welle Astroturf in Brüssel direkt miterlebt, als er an der Datenschutzverordnung arbeitete. Bevor das Gesetz vor gut zwei Jahren verabschiedet wurde, mischte sich eine European Privacy Association in die Debatte ein. Die gerierte sich als neutraler Thinktank, der vor allem die Interessen von Mittelstand und Start-ups vertrat. In Wahrheit standen jedoch Facebook, Google und Microsoft hinter der Organisation.

Ähnliches hat sich gerade erst bei einer Gruppe namens Fairsearch herausgestellt. Die hat in Brüssel eine Beschwerde gegen Google wegen angeblicher Wettbewerbsverstöße beim Betriebssystem Android eingereicht. Dominiert wird die Organisation von den Konzernen Oracle und Naspers. Die Start-ups, deren Interessen sie angeblich in erster Linie vertritt, dürfen bei ihr zwar mitmachen, haben aber keine Stimmrechte.

Für Lobbyfirmen wie die in Washington ansässige DCI Group gehört es zum Standardangebot, authentisch wirkende Gruppen aufzusetzen. Seinen Kunden verspricht das Unternehmen ganz ungeniert, „gleichgesinnte Freunde anzuheuern“, um „größere Resonanz“ für eine Position herzustellen. DCI ist nach Europa expandiert, andere Agenturen kopieren das Modell.

Als die EU vor fünf Jahren die europäische Bürgerinitiative einführte, boten Lobbyprofis ihren Kunden prompt an, für sie Unterschriften in EU-Ländern zu sammeln und damit Gesetzesänderungen in ihrem Sinne zu fordern.

Die angeblich unabhängigen Gruppen üben ihren Einfluss subtil aus. Als etwa die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel kürzlich zu einer Diskussion zum Thema Sammelklagen lud, trat das European Justice Forum (EJF) offiziell als Mitveranstalter auf. Das hält sich selbst für die „einzige europäische Organisation, die sich ausschließlich darauf konzentriert, ein faires Justizsystem zu schaffen“. Tatsächlich handelt es sich beim EJF um einen Zusammenschluss von Konzernen und Anwaltskanzleien. Große Versicherer wie Swiss Re und Zurich lassen sich ihre Mitgliedschaft jährlich 60.000 Euro kosten.

„Wir wollen vermeiden, dass Sammelklagen amerikanischen Stils nach Europa kommen“, umschreibt EJF-Direktor Ekkart Kaske die Mission des Zusammenschlusses. Doch der offizielle Veranstaltungsbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung legt nahe, dass der Kampf weiter reicht. So schildert ein EJF-Vertreter ausgiebig die angeblichen Vorteile sogenannter „alternativer Streitbeilegungsverfahren“. Das Thema ist brisant und hoch aktuell: Als Reaktion auf den Dieselskandal will die EU-Kommission im April vorschlagen, wie Verbraucher künftig in allen EU-Staaten kollektiv als Kläger auftreten können. Die Aussicht behagt dem EJF wenig. Dabei stützt sich die Organisation auf angeblich „wissenschaftliche Untersuchungen“ – und ganz offenbar auch auf erfahrenes Lobbywissen. Wer in ihrem Sekretariat anruft, landet direkt in der US-PR-Agentur Edelman.

Die rauchen gern

„Lobbyisten sind keine dummen Leute. Sie schauen, wer Informationen am unverfänglichsten transportieren kann“, sagt der CDU-Europa-Abgeordnete Karl-Heinz Florenz. Das gilt umso mehr, je stärker eine Branche im Visier der Regulierer steht. Die Zigarettenindustrie, die unter Rauchverboten und der Pflicht zu Warnhinweisen leidet, will allzu starken Schutz von Nichtrauchern über Umwege als Gängelung darstellen. Dafür finanzieren Konzerne wie British American und Imperial Tobacco einen Zusammenschluss bekennender Raucher namens Forest. Das Akronym steht für „Freedom Organisation for the Right to Enjoy Smoking Tobacco“. Die Gruppe präsentiert sich als Verein von Genießern und Freigeistern und wirbt damit, dass der britische Maler David Hockney bei ihr Mitglied ist.

Der Schutz vor angeblicher Bevormundung ist häufig ein beliebtes Argument im Kampf der Argumente. So gibt auch das seit einem Jahr in Brüssel ansässige Consumer Choice Center vor, „mehr Wahlmöglichkeiten und Freiheit für Konsumenten“ anzustreben. Die Gruppe stellt sich auf ihrer Website als „unabhängige Einheit“ dar, die keiner politischen Partei nahesteht. Dass 90 Prozent ihres Budgets von Großunternehmen aus Branchen wie Tabak, Alkohol, Lebensmittel, Handel, Gesundheit und Pharma stammen, ist weniger transparent. „Aus Respekt für unsere Sponsoren nennen wir die Unternehmen nicht“, sagt Direktor Frederik Roeder.

Der Gesundheitsökonom beklagt, dass klassische Verbraucherschützer Innovationen verhinderten. Die stille Mehrheit, die jene Neuerungen wolle, werde von ihnen nicht vertreten. Roeders Idealbild ist eine Welt, in der kein Staat mehr den Fahrdienst Uber regulieren will, sondern mündige Verbraucher selbst entscheiden, ob sie den Fahrern vertrauen. Als 2014 in Berlin Taxifahrer gegen Uber protestierten, hat er mit zwei Freunden spontan eine Gegendemo organisiert. Dabei handelte er tatsächlich aus Überzeugung. Denn Uber, das versichert Roeder, gehöre nicht zu seinen Geldgebern.

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