„Jetzt im Bettenfachgeschäft Zurell beraten lassen und zu jedem Einkauf ein Geschenk bekommen!“ – mit dieser Push-Nachricht wirbt ein kleiner Möbelhändler.
In der Filiale warten Angelika Zurell und ihr Mann gemeinsam auf Kundschaft. Vergeblich. Eine Sogwirkung durch das via Push-Mitteilung angebotene Geschenk will sich nicht einstellen.
Enttäuscht ist Zurell nicht. „Wie viel Lehrgeld bezahlt man als Händler sonst, wenn man etwas ausprobieren will?“, fragt sie. Teilgenommen an dem Versuch haben sie und ihr Mann, um die neuen Möglichkeit auszuprobieren. „Wir wollen so herausfinden, was den Kunden interessiert und welche Botschaften ankommen – vor allem bei den Jüngeren.“ Dass das nicht funktioniert könnte an der falschen Ansprache liegen, vielleicht auch am Produkt selbst: Große Möbelstücke sind selten etwas, das Kunden spontan kaufen. Trotzdem: Spannend findet sie den Service weiterhin.
Was bedeutet überhaupt Multi-Channel?
Kaum ein Begriff wird in der Handelsbranche derzeit so intensiv diskutiert, wie das Multi-Channel-Retailing (Mehrkanalhandel). In der Diskussion, wie auch in den Medien, werden unter dem Oberbegriff dabei verschiedene Ausprägungen synonym verstanden. Ein kurzer Überblick.
Quelle der Begriffsdefinitionen: HandelsMonitor 2014. (R)Evolution des Mehrkanalhandels, dfv Mediengruppe
„Beim Multi-Channel-Retailing setzen Handelsunternehmen parallel mehrere Kanäle zur Distribution ein, die einheitlich markiert sind und einen wesentlichen Sortimentszusammenhang aufweisen. Die Kunden können somit zwischen den alternativen Absatzwegen eines Handelsunternehmens wählen.“
Beispiel: Der Kunde kann ein Produkt sowohl online als auch im laden kaufen.
„Das Cross-Channel-Retailing geht durch die integrative Verknüpfung der einzelnen Kanäle zur Schaffung eines nahtlosen Einkaufserlebnisses über alle Kanäle hinweg einen Schritt weiter als das Multi-Channel-Retailing. Hierdurch wird den Kunden proaktiv ein Kanalwechsel zu jeder Zeit des Kaufprozesses und über alle Touchpoints hinweg ermöglicht.“
Beispiel: Der Kunde bestellt ein Produkt online und holt es im Laden ab.
„Omni-Channel-Retailing bezeichnet die vollständige Integration aller Kanäle über alle Prozesse hinweg. Den Kunden wird die parallele Nutzung von Kanälen durch die ganzheitliche Verknüpfung in jeder Kaufphase ermöglicht.“
Beispiel: Der Kunde scannt im Geschäft mit der Shopping-App des Händlers auf seinem Smartphone des Barcode eines Produktes, und erhält so zusätzliche Informationen und Online-Kundenbewertungen.
Handelsexperten sind sich einig, dass der Verknüpfung der Kanäle in Zukunft eine hohe Bedeutung zukommen wird und dass sie stationären Händlern eine Chance im Wettbewerb mit reinen Online-Anbietern gibt.
Dass standortbezogene Shopping-Apps noch mehr Potenzial haben, sagt Jürgen Seitz, Professor für Marketing, Medien und Digitale Wirtschaft an der Hochschule der Medien Stuttgart und Mitbetreuer des Projekts: „Wir kratzen aktuell natürlich nur an der Oberfläche.“
Zukünftig ließen sich etwa Interessensprofile über Angaben innerhalb der App von Gelbe Seiten erstellen, sodass die Kunden auf sie zugeschnittene Nachrichten erhalten – sofern sie denn wollen. Wer etwa bestimmte Schuhe sucht, würde dann keine Push-Mitteilungen für Kräuter mehr kriegen, dafür aber den Hinweis aus einem Geschäft, an dem er vorbei läuft, das ebenjenes Paar gerade vorrätig hat. Durchaus ein Mehrwert. Ebenso ist es möglich, Kunden spielerisch zu gewinnen. „Gamifcation“ nennt Seitz das.
Ob das genügt, um das Filialgeschäft zu retten?
Markenstrategie-Professor Mahrdt glaubt daran nicht so recht: „Location-based Services lösen nicht die Probleme des Einzelhandels, jedoch sind solche Dienste ein wichtiger Ansatz.“ Sie brächten Vorteile in die Filialen, die bis dato Online-Shops vorbehalten waren – zum Beispiel künftig die Möglichkeit, Kundenprofile zu bilden.
Die eigentlichen Probleme des Handels seien andere: Höhere Preise, geringere Sortimentsbreite und Produktverfügbarkeit sorgen dafür, dass der klein- und mittelständische Einzelhandel gegenüber den Online-Händlern und den großen Ketten das Nachsehen hat. Und da helfe auch eine App nicht.
Zudem wisse ein Online-Händler , wann ein Nutzer nach welchem Buch geschaut hat, wie oft er sich einen Fernseher angeguckt hat, ohne ihn zu kaufen und kann entsprechend mit Angeboten locken.
Diesen Vorsprung werden die Händler mit Shopping-Apps wohl vorerst nicht aufholen. „Technologisch sind zwar die gleichen Analysemöglichkeiten wie im E-Commerce denkbar“, sagt Mahrdt. „Sie werden aber aktuell noch nicht ausgenutzt.“ Die Händler würden sich zu wenig mit Analysetools auseinandersetzen.
Ob und inwiefern in Durlach die Umsätze durch die App angekurbelt geworden sind soll sich in den nächsten Monaten zeigen. Anfang Juli will Seitz die ersten Ergebnisse zum Feldversuch liefern. Für ihn und Theiß, den Geschäftsführer von Gelbe Seiten Marketing steht aber fest: Das war nur ein erster Schritt.