WirtschaftsWoche Online: Herr Asdecker, leidet Deutschland wirklich am Rückschick-Wahn?
Björn Asdecker: Wir sind zumindest bezogen auf die Quote Retouren-Weltmeister. Laut unseren Berechnungen wurden 2012 rund 286 Millionen Pakete zurückgeschickt – bei über eine Milliarde Bestellungen. Nehmen wir an, ein Paket ist im Durchschnitt 40 Zentimeter lang. Dann ergeben die Rücksendungen hintereinander gelegt eine Länge von 114.400 Kilometern. Die Kette würde 2,86 Mal die Erde umrunden.
Was geht denn besonders häufig zurück?
Im Modebereich ist die Entwicklung extrem. Beim Rechnungskauf gehen über die Hälfte aller Pakete zurück. Bei Schuhen liegt der Retouren-Anteil nochmal höher. Im Modebereich senden Frauen mit einer signifikant größeren Wahrscheinlichkeit zurück als Männer. Elektronik-Artikel oder Bücher gehen hingegen deutlich seltener zurück.
Zur Person
InDr. Björn Asdecker ist Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern erhebt er Daten zum Rücksendeverhalten der Deutschen und wertet diese aus. An die Gruppe ist auch ein Expertenpanel mit Produzenten, Händlern und Logistikern angeschlossen. Die Forschungsergebnisse werden auf retourenforschung.de veröffentlicht.
Dabei entstehen sicher hohe Kosten.
Klar. Auf der Prozessebene muss zunächst ein Paketdienstleister das Produkt in ein Warenzentrum bringen. Dort wird die Ware begutachtet und im Anschluss wieder neu verpackt, aufbereitet oder anders verwertet. Im Schnitt kostet die Bearbeitung einer Rücksendung sieben bis acht Euro. Textilien sind billiger, bei Elektronik wird es schnell sehr viel teurer. Hinzu kommt der Wertverlust, da sie manche Retouren nur noch mit einem Preisabschlag verkaufen können. Solche Beispiele sieht man immer wieder bei den Amazon Warehousedeals. Den Wertverlust haben die befragten Versandhändler auf circa sieben Euro geschätzt. Macht in der Summe etwa 15 Euro.
Retouren - Was wird häufig zurückgeschickt?
Im Rahmen einer Verbraucherbefragung hat die Forschungsgruppe Retourenmanagement Rücksendewahrscheinlichkeit eines Pakets (Alpha-Retourenquote) gemessen. Befragt wurden 538 Konsumenten im Alter von 14 bis 29 Jahren. Für die drei umsatzstärksten Produktkategorien wurden folgende Durchschnittswerte ermittelt.
Männer: 13,85 Prozent
Frauen: 14,40 Prozent
Männer: 36,38 Prozent
Frauen: 44,02 Prozent
Männer: 8,93 Prozent
Frauen: 8,99 Prozent
Die Onlineshops werden die Zusatzkosten kaum selbst zahlen.
Die Händler kalkulieren die Retouren mit ein und schlagen sie auf die Preise. Kunden, die wirklich bestellen, was sie wollen und brauchen, bezahlen das Verhalten der Viel-Retournierer also mit. Im Grunde ist die kommunizierte „kostenlose Retoure“ ein Marketingschwindel. In Wahrheit verbirgt sich dahinter ein riesiges Subventionsmodell, in dem der bewusst einkaufende Kunde – ketzerisch ausgedrückt – der Zahlmeister ist. Auch wenn es viele nicht hören wollen, wäre ein Modell mit niedrigeren Preisen und verursachungsgerechten Rücksendegebühren da deutlich gerechter.
Heißt: Viele Onlineshopper sind Schmarotzer?
Schmarotzer würde ich nicht sagen. Ich halte es durchaus für gerechtfertigt, sich drei T-Shirts zu bestellen, sie anzuprobieren und zwei wieder zurückzusenden. Das ist im Warenhaus auch möglich. Wenn ein Mangel vorliegt, ist der Kunde ohnehin zur Retoure gezwungen. Ungerechtfertigt wird es zum Beispiel immer dann, wenn Kunden in Wahrheit gar kein Kaufinteresse haben, sondern die Ware nur während der Widerrufsfrist nutzen möchten. Sie bestellen dann bereits mit der Absicht, es wieder zurückzuschicken.