Logistikexperte Björn Asdecker Die Deutschen und der Rückschickwahn

Weltweit schickt niemand so viele Pakete zurück wie die Deutschen. Der Betriebswirt Björn Asdecker hat das Phänomen in seiner Dissertation untersucht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die dreisten Gründe bei Bestell-Retouren
Ein schicker Ball steht bevor - aber das Abendkleid dafür ist so teuer. Und dann zieht man es ja auch nur einmal an. Bei der Retoure von Abendkleidern müssen die Händler ganz genau hinschauen: Profis sind darauf geschult, Gebrauchsspuren wie Schweiß- oder Zigarettengeruch sofort erkennen. Quelle: Focus.de Quelle: AP
Genauso die Männer: Für ein schickes Event brauchen sie schnell und nur für wenige Tage einen neuen Anzug. Danach wird der zurückgeschickt.
Die war schon so? Wenn die Händler den Kunden mit den Gebrauchsspuren konfrontieren, reden sich die Kunden häufig damit raus, dass sie die Kleidung bereits in diesem Zustand erhalten hätten.
Das Paket ist zwar da, aber es ist nichts drin? Manche Kunden geben an, dass zum Beispiel die Schmuckschatulle leer gewesen sei. Tatsächlich haben sie den zugehörigen Ring, die Kette oder die Ohrstecker einfach behalten. Dagegen können sich die Versender oft nicht wehren, denn ein Diebstahl könnte auch in der Produktion oder im Versand passiert sein.
Ein Kunde bestellt noch mal exakt dasselbe, wie vor einem Jahr? Auch da werden die Händler vorsichtig. Dieser Artikel könnte in der Retoure landen und soll möglicherweise kostenfrei durch einen neuen ersetzt werden.
Es ist WM und man hat die Kollegen zum Fußball-Gucken eingeladen. Vielleicht will der Kunde deshalb mit einem großen Fernseher protzen. Nach zwei Wochen sagt er einfach, das Gerät würde ihm nicht gefallen. Für die Händler ist das ein großes Problem, weil sie gebrauchte elektronische Geräte nicht mehr für den gleichen Preis verkaufen können. Quelle: dpa
Das passiert auch bei kleineren Elektronik-Geräten. Eltern „leihen“ sich zum Beispiel einen Camcorder für die Geburtstagsparty der Kinder. Quelle: REUTERS

WirtschaftsWoche Online: Herr Asdecker, leidet Deutschland wirklich am Rückschick-Wahn?
Björn Asdecker: Wir sind zumindest bezogen auf die Quote Retouren-Weltmeister. Laut unseren Berechnungen wurden 2012 rund 286 Millionen Pakete zurückgeschickt – bei über eine Milliarde Bestellungen. Nehmen wir an, ein Paket ist im Durchschnitt 40 Zentimeter lang. Dann ergeben die Rücksendungen hintereinander gelegt eine Länge von 114.400 Kilometern. Die Kette würde 2,86 Mal die Erde umrunden.

Was geht denn besonders häufig zurück?
Im Modebereich ist die Entwicklung extrem. Beim Rechnungskauf gehen über die Hälfte aller Pakete zurück. Bei Schuhen liegt der Retouren-Anteil nochmal höher. Im Modebereich senden Frauen mit einer signifikant größeren Wahrscheinlichkeit zurück als Männer. Elektronik-Artikel oder Bücher gehen hingegen deutlich seltener zurück.

Zur Person



Dabei entstehen sicher hohe Kosten.

Klar. Auf der Prozessebene muss zunächst ein Paketdienstleister das Produkt in ein Warenzentrum bringen. Dort wird die Ware begutachtet und im Anschluss wieder neu verpackt, aufbereitet oder anders verwertet. Im Schnitt kostet die Bearbeitung einer Rücksendung sieben bis acht Euro. Textilien sind billiger, bei Elektronik wird es schnell sehr viel teurer. Hinzu kommt der Wertverlust, da sie manche Retouren nur noch mit einem Preisabschlag verkaufen können. Solche Beispiele sieht man immer wieder bei den Amazon Warehousedeals. Den Wertverlust haben die befragten Versandhändler auf circa sieben Euro geschätzt. Macht in der Summe etwa 15 Euro.

Retouren - Was wird häufig zurückgeschickt?

Die Onlineshops werden die Zusatzkosten kaum selbst zahlen.
Die Händler kalkulieren die Retouren mit ein und schlagen sie auf die Preise. Kunden, die wirklich bestellen, was sie wollen und brauchen, bezahlen das Verhalten der Viel-Retournierer also mit. Im Grunde ist die kommunizierte „kostenlose Retoure“ ein Marketingschwindel. In Wahrheit verbirgt sich dahinter ein riesiges Subventionsmodell, in dem der bewusst einkaufende Kunde – ketzerisch ausgedrückt – der Zahlmeister ist. Auch wenn es viele nicht hören wollen, wäre ein Modell mit niedrigeren Preisen und verursachungsgerechten Rücksendegebühren da deutlich gerechter.

Heißt: Viele Onlineshopper sind Schmarotzer?
Schmarotzer würde ich nicht sagen. Ich halte es durchaus für gerechtfertigt, sich drei T-Shirts zu bestellen, sie anzuprobieren und zwei wieder zurückzusenden. Das ist im Warenhaus auch möglich. Wenn ein Mangel vorliegt, ist der Kunde ohnehin zur Retoure gezwungen. Ungerechtfertigt wird es zum Beispiel immer dann, wenn Kunden in Wahrheit gar kein Kaufinteresse haben, sondern die Ware nur während der Widerrufsfrist nutzen möchten. Sie bestellen dann bereits mit der Absicht, es wieder zurückzuschicken.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%