Luftfahrt Wie Air Baltic mit der Air-Berlin-Strategie das Comeback gelang

2011 war die lettische Airline pleite. Im vergangenen Jahr erzielte sie Rekordgewinne – mit einem Geschäftsmodell, mit dem Air Berlin scheiterte.

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Das Flugzeug des kanadischen Herstellers Bombardier ist eng mit dem Erfolg der lettischen Airline verknüpft. Quelle: Reuters

Berlin Der Begriff „Hybrid“ ist in der Luftfahrt verpönt. Steht er doch für ein unklar abgegrenztes Geschäftsmodell zwischen Ferien-, Billig- und Netzwerk-Airline, an dem die deutsche Air Berlin am Ende scheiterte. Martin Gauss scheut das Wort dennoch nicht. „Wir sind ein Carrier mit einem Hybrid-Modell“, sagte der CEO von Air Baltic dem Handelsblatt am Rande der Reisemesse ITB in Berlin.

Gauss muss nicht fürchten, dass ihm diese Aussage um die Ohren geschlagen wird. Die Geschichte von Air Baltic ist eine Art Märchen aus Riga. Als Gauss 2011 bei der Fluggesellschaft den CEO-Posten übernahm, stand die Airline vor dem Aus. Im September 2011 meldete das Unternehmen Insolvenz an, nur mit Hilfe des Staates wurde der Betrieb damals aufrechterhalten. Eine harte Sanierung begann.

Gauus machte aus dem reinen Billigflieger eine Fluggesellschaft, die auf der einen Seite mit Niedrigstpreisen im Ultra-Lowcost-Geschäft unterwegs ist. Gleichzeitig gibt es aber eine Business-Klasse, bei der wie etwa bei Lufthansa der Mittelsitz freibleibt, ein eigener Kabinenmitarbeiter sich um die Top-Kunden kümmert und es schon vor dem Flug das erste Getränke gibt, dazu kostenlose Zeitungen und Magazine und später ein warmes Essen. Und: Wie Lufthansa betreibt Air Baltic in Riga ein Drehkreuz mit einem Umsteigeranteil von rund 50 Prozent.

„Unsere Wettbewerber sind Ryanair, Wizz Air und Norwegian. Gleichzeitig gibt es eine Klientel, die Wert auf Komfort und Zuverlässigkeit legt und dafür zahlt“, begründet Gauss das Geschäftskonzept. Es scheint zu funktionieren. Zwar steht der Geschäftsabschluss für das vergangene Jahr noch nicht, aber so viel verrät der Air Baltic-Chef schon mal: „Wir haben im vergangenen Jahr Rekordzahlen beim Betriebsergebnis erzielt.“ Gleichzeitig wurde das Angebot um 20 Prozent ausgeweitet, die Zahl der Passagiere stieg um 22 Prozent auf über drei Millionen. 2016 waren 2,9 Millionen Fluggäste mit der Airline geflogen.

Das beeindruckende Comeback hat mehrere Gründe. Zum einen hilft die Vergangenheit. Zwar führte die aggressive Expansion unter dem Vorgänger von Gauss in die Insolvenz, sie sorgte aber dafür, dass die Airline im Heimatmarkt Riga einen Marktanteil von über 50 Prozent erobern konnte. In der Luftfahrt gilt: Wer an einem Flughafen die Marktführerschaft besitzt, kann sich relativ sicher sein, dort auch entsprechend Erlöse zu erzielen – wenn die Kosten stimmen.

Zum anderen fällt Air Baltic durch Innovationsfreude auf. Grundsätzlich verkauft die Airline zum Beispiel alle Sitze im Flugzeug zum Economy-Tarif. Erst wenn das erste Business-Klasse-Ticket gekauft ist, wird eine Reihe für die Topkunden freigemacht. Auch beim Thema Flotte ist die Airline offen für Neues. Air Baltic zählte zu den wenigen Kunden, die sich für die C-Serie entschied, der erste Mittelstreckenjet, den der kanadische Hersteller Bombardier auf den Markt brachte. Mehr noch: Air Baltic war auch die erste Airline, die zeigte, dass der Jet mit seiner geräumigen Kabine bei einer engeren Bestuhlung auch ein ideales Gerät für Billig-Anbieter ist.

Die Flugzeugwahl ist insofern überraschend, als dass Airlines üblicherweise sehr darauf achten, dass etwa die Wartung sichergestellt ist und die Betriebskosten stimmen. Hier vertrauen viele Einkäufer eher den großen Anbietern Airbus und Boeing. Als mutig will Gauss die Entscheidung gleichwohl nicht bezeichnet wissen. „Das war eine rein rationale und kalkulatorische Entscheidung“, sagt er. Man habe alle Faktoren abgewogen.


Flotte soll komplett umgerüstet werden

Gut ein Jahr ist die C-Serie nun im Linienbetrieb. Da Air Baltic parallel mit der Boeing 737-300 mit gleicher Sitzzahl auf den gleichen Strecken fliegt, hat Gauss eine ideale Datenbasis für einen Vergleich: „Die Treibstoffkosten der C-Serie sind 22 Prozent niedriger. Selbst wenn man berücksichtigt, dass unsere Boeings schon abgeschrieben sind, haben wir bei jedem Start der C-Serie einen Kostenvorteil.“

Gauss will die Flotte deshalb sukzessive komplett auf das Modell von Bombardier umrüsten. Dass Airbus sich mittlerweile bei dem Modell eingekauft hat, sieht er dabei als zusätzliche Bestätigung. Aktuell arbeite man am nächsten großen Expansions-Schritt, so Gauss, ohne Details nennen zu wollen. Nur so viel lässt er sich entlocken: „Unser Kernmarkt, das Baltikum, wird irgendwann zu klein sein.“ Ob dabei Deutschland künftig eine größere Rolle spielt, lässt der Air Baltic-CEO offen. Fest steht: Deutschland ist ein wichtiger Markt für die Airline. Hier fliegt man etwa Frankfurt, Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München an. Auch Stuttgart kann sich Gauss als Ziel vorstellen.

Doch nach der Erfahrung von 2011 weiß der Airline-Manager, dass Erfolg vergänglich ist. „Die Rahmenbedingungen sind aktuell gut und werden es wohl auch noch ein wenig bleiben“, sagt er. Gleichwohl will er nicht jeder Versuchung des Marktes erliegen. Zwar könne man angesichts der Nachfrage im Sommer locker auch größere Jets, etwa einen 220-Sitzer füllen: „Aber da ich das in Riga im Winter nicht kann, bleibe ich beim 150-Sitzer.

Der wirtschaftliche Erfolg ist mittlerweile so groß, dass der seit zwei Jahren laufende Privatisierungsprozess an Zeitdruck verloren hat. Im Zuge der Insolvenz hatte Lettland 99,8 Prozent der Anteile übernommen. 2015 verkaufte die Regierung dann 19,95 Prozent der Anteile an den deutschen Investor Ralf-Dieter Montag-Girmes. Der gab das Paket im April vergangenen Jahres an den dänischen Investor Lars Thuesen weiter, der ein breites Portfolio hat das von Bier bis in die Luftfahrt reicht.

Vor zwei Jahren beschloss die damalige lettische Regierung, den Staatsanteil auf rund 50 Prozent zu reduzieren und für das Aktienpaket einen strategischen Investor zu suchen. Die Investmentbank Lazard hat zwar nach Informationen aus Branchenkreisen mittlerweile verbindliche Angebote eingeholt. Aber die eigentlich für Dezember vergangenen Jahres erwartete Entscheidung steht noch aus. Gauss will das Verfahren nicht kommentieren. „Das ist eine Entscheidung der Regierung, die wird sich das alles sicher genau anschauen.“

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